Schauspielerin *6. August 1962

Es ist wohl kaum übertrieben, Michelle Yeoh als absolute Powerfrau zu bezeichnen. Allerdings als Powerfrau, für die nicht alle bereit waren, weswegen die erste Hälfte ihrer Karriere auch die deutlich ergiebigere ist. Die zierliche, zerbrechlich wirkende Yeoh, heute vor allem aus Serien wie Star Trek: Discovery (ab 2017), Strike Back (2015) oder Cameo-Auftritten in Hollywood-Blockbustern wie Guardians of the Galaxy Vol. 2 (2017) bekannt, bewies schon früh, dass Frauen genauso tough sind wie Männer. Schon lange bevor in den USA an Frauen in Actionrollen zu denken war, tobte die 1,63 große Mimin grazil über die Leinwand, teilte mit atemberaubender Akrobatik aus und brachte traditionelle Geschlechterrollen ins Wanken.

Michelle Yeoh in Tiger & Dragon (TW/HK/USA/CHN 2000), © Arthaus

Michelle Yeoh wurde am sechsten August 1962 als Michelle Yeoh Choo-Kheng in Ipoh, Malaysia geboren und hatte bereits in frühen Jahren Energie für drei: Sie verbrachte zahllosen Wochenende mit Schwimmen und Tauchen und probierte sich in vielen weiteren Sportarten aus, was zur Teilnahme an einer Reihe von internationalen Wettbewerben führte. Ihre wahre Liebe galt aber dem Tanz, mit Schwerpunkt auf dem Ballett. Laut ihrer Mutter tanzte Michelle, noch bevor sie zu laufen anfing. Mit vier Jahren begann sie ein Ballett-Training. Eine Liebe, die sie mit 15 Jahren, nachdem die ganze Familie ihren Wohnort nach England verlagerte, an der Royal Academy of Dance weiterverfolgte, jedoch aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung aufgeben musste. Yeoh widmete sich anderen Interessen, gewann dann allerdings eine Reihe von Schönheitswettbewerben, was ihr Leben veränderte, denn infolgedessen trat sie 1983 in einem Fernsehwerbespot mit Martial-Arts-Superstar Jackie Chan auf, wodurch die frisch gegründete Produktionsfirma D&B-Films auf sie aufmerksam wurde und ihr einen Vertrag anbot.

Yeohs erster Auftritt in The Owl vs. Bumbo (1984) war noch eine eher typische Frauenrolle ohne Action, aber die Jungdarstellerin beobachtete neidisch ihre männlichen Kollegen beim Actiondreh und äußerte den Wunsch, auch solche Rollen zu spielen, was nach intensivem Kung-Fu-Training zu einer Hauptrolle als furchtlose Polizistin im heute noch sehenswerten und beeindruckenden Action-Film Yes, Madam (1985) führte. Yes, Madam, hierzulande als Ultra Force 2 veröffentlicht, lag voll am Puls der Zeit: Immer mehr Frauen in Asien fanden das Hausfrauendasein unbefriedigend und sehnten sich nach neuen, aufregenden Aufgaben, die Anerkennung brachten, also entschieden sich immer mehr für den Polizeiberuf, was wiederum dazu führte, dass viele Frauen in diesem Bereich steile Karrieren machten. Das regte die Fantasie eifriger Filmemacher an. Bereits Anfang der 1980er gab es erste entsprechende, aber vorerst noch kleinere, weibliche Rollen. Bei Yes, Madam dominierten endgültig die Frauen (Yeoh wurde die mindestens ebenso wendige Cynthia Rothrock, eine spätere Ikone des amerikanischen B-Actionfilms, an die Seite gestellt), die in Sachen halsbrecherische Stunts und knallharten Fights ihren männlichen Kollegen in nichts nachstanden.

Michelle Yeoh in The Lady (F/GB 2011)

Die Darstellerin schaffte es mit diesem und mit weiteren Filmen dieser Art zum Superstar und zum Vorbild, ein Erfolg, den sie 1997 mit einem eindrucksvollen Auftritt desselben Zuschnitts in einem Teil der James-Bond-Reihe (Der Morgen stirbt nie, 1997) nicht wiederholen konnte. Weitere Rollenangebote aus Hollywood blieben aus, man war offenbar noch nicht bereit für eine Frau wie sie, weswegen ihre bemerkenswerten Auftritte in den folgenden Jahren (Tiger & Dragon, 2000; The Lady – Ein geteiltes Herz, 2011) in Filmen außerhalb Amerikas stattfanden.

Thorsten Hanisch

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2022. Auch der Kalender für 2023 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.