Der Blog des Schüren Verlags über Kino, Medien, Filme und was sonst so betrachtet werden kann

Monat: September 2021

Aufstieg, Fall und Comeback des phantastischen Kinos

Sassan Niasseri über die Fantasy- und Sci-Fi-Filme, die seine Kindheit prägten

Meine Kindheit endete nicht mit dem ersten Kuss. Sie endete viel früher, mit 10 Jahren. Schuld daran war Chuck Norris.

Jeder, der in den 1980er-Jahren wissen wollte, was in den kommenden zwölf Monaten in die Kinos kommt, griff zum «Film-Jahrbuch» der Zeitschrift «Cinema». Das «Film-Jahrbuch» war meine Bibel. Sie war auch meine Kindheit. Die Umschläge dieser jährlich erschienenen Kompendien setzten sich aus verschiedenen Filmbildern zusammen. Und in den Jahren 1981 bis 1985 war meine Welt noch in Ordnung, war die Kinowelt noch in Ordnung, war meine Kindheit noch in Ordnung – weil die «Cinema»-Fotos, eine strenge Auswahl anstehender Highlights, mir bewiesen, dass es nicht Wichtigeres im Kino gibt als Fantasy-und Sci-Fi-Filme. Am wichtigsten war das Foto in der Mitte. 1981 prangte Superman auf dem Cover. 1982 Conan der Barbar. 1983 E.T. 1984 duellierten sich Luke Skywalker und Darth Vader mit ihren Lichtschwertern. 1985 gab’s das Supergirl, ein schlimmer Streifen, aber das konnte man ja nicht wissen, die Jahrbücher waren keine Bilanzen, sie waren Vorschauen auf die nächsten zwölf Monate. Heute erfahren wir nicht erst zwölf Monate, sondern schon zwei Jahre vorher, dass die Dreharbeiten zu einem neuen Dune beginnen, der dann wiederum erst vier Jahre später ins Kino kommen würde. Aber damals gab es kein Internet. Es gab nur die dicken Wälzer von «Cinema» . Und deren Redakteure fuhren mehr oder weniger auf Sicht.

Und dann kam Chuck Norris. Für 1986 erhielt nicht eine Fantasy-Figur, sondern der ehemalige Martial-Arts-Star den prominenten Platz auf dem größten Foto des Jahrbuchs. Aufgeknöpftes Jeans-Hemd, eine Uzi links, eine Uzi rechts, es könnte sein Auftritt in Delta Force gewesen sein. Ich fand es faul, mit Norris aufzumachen. Das war Action, nicht Fantasy. Mir dämmerte da was. Ich konnte es nicht in Worte fassen, heute würde ich mit viel Pathos sagen: «Die Ära der Fantasy-Filme neigte sich dem Ende zu». Und die «Cinema» hatte darauf reagiert, mit Chuck Norris. Das war nicht mehr mein Kino. Ich war erledigt, mit zehn Jahren schon.

Der Anfang vom Ende: Chuck Norris in Delta Force, 1986 (© Yoni S. Hamenahem)
Weiterlesen

Wie du mir, so ich dir!

Ein Einblick in die Kunst der Slapstick Serien

Viele Menschen in Ost und West denken gerne an die Slapstick-Serien im Vorabendprogramm, die bis Ende der 1990er-Jahre regelmäßig ausgestrahlt wurden.
Norbert Aping erinnert in seinem neuen Buch an die beliebten Stummfilmklassiker und Slapstickfilme im deutschen Fernsehen, an Väter der Klamotte, Die kleinen Strolche, Hier wackelt die Leinwand, Es darf gelacht werden, Spaß mit Charlie Chaplin, Wenn die Korken knallen u.v.a.

Ist das Kunst?

Vertauschte Kleidungsstücke, emotionale Ausbrüche und allerlei größere und kleinere Vergeltungsaktionen. Die Filme des Komiker-Duos Laurel und Hardy muten oft recht banal an. Viele der Witze gehen dabei auf Kosten des umfangreicheren Hardy, der immer wieder auf kuriose Weise verletzt wird – was nicht selten mit einem brennenden Hinterteil endet. Gerade der Körperbau der beiden äußerlich ungleichen Männer sorgt beim Publikum für Lacher, etwa wenn Hardy nach einem Gefängnisausbruch in der Hose Laurels zu fliehen versucht, ohne dass diese platzt – und Laurel versucht die Hose Hardys beim Rennen nicht zu verlieren. Mit dem zeitlichen Abstand wirken die beiden Melone tragenden Komiker zumindest aus der Zeit gefallen. Doch sind die Filme und Serien wirklich nur etwas für kleine Kinder oder Lückenfüller im Kinovorprogramm?

Lexikon der Slapstickserien

Norbert Aping hat die Slapstick-Serien von den Anfängen bis heute untersucht. Mit Es darf gelacht werden legt er ein Lexikon «Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte» vor, das die Entwicklung des Genres nachzeichnet und die wichtigsten Stationen und ihre prägenden Figuren vor­stellt. Es darf getrost als Standardwerk bezeichnet werden, das nicht nur für ausgewiesene Slapstick-­Liebhaber*innen in­te­ressante Einblicke in die Entstehungsgeschichte einer Filmgattung gewährt, die weitaus komplexer ist, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint.

Weiterlesen

Hans Zimmer zum Geburtstag

Komponist und Produzent * 12. September 1957

»Im Deutschen habe ich einen englischen Akzent – aber in der Musik habe ich einen deutschen Akzent!« Der in Frankfurt a.M. geborene Komponist und Produzent hat den Großteil seines Lebens in Hollywood gelebt; trotzdem sei die Perspektive, aus der er komponiere, immer die eines Europäers, der als Ausländer auf Amerika blickt. Im Lauf seiner Karriere hat Hans Zimmer Musik zu weit über 150 Filmen geschrieben. Gerne erzählt der erklärte Technikliebhaber, dass er außer zwei Wochen Klavierunterricht im Grundschulalter keinerlei musikalische Ausbildung erhalten habe und keine Noten lesen könne: Seine Kompositionen entstehen am Rechner, unter Rückgriff auf ein eigens befülltes Samplearchiv. Unermüdliches Ausprobieren und Kollaborieren waren seine Schule – angetrieben von einer großen Liebe zur Musik und dem kompromisslosen Verfolgen seines Traums: »Ich habe alles auf diese Karte gesetzt: Ich werde Musiker. Es war schlimm am Anfang, die ganzen Klischees: Kein Geld, kein Erfolg, jeder hat gehasst, was ich gemacht habe.«

Hans Zimmer bei Vorbereitungen für Interstellar Live (2015)
Weiterlesen

Das richtige Bild

Gedanken zur Gestaltung von bewegten Bildern

»Michael, I do not know, when do I have to move the camera?« eine beherzte Frage aus dem Auditorium der Columbia University, von jemandem, der seinen ganzen Mut zusammengenommen hat, »Maybe it is a silly question«. Ich bin hier, zum zweiten Mal schon, als guest lecturer für die Studentinnen und Studenten dort, die alle Regie, Drehbuch oder Produktion studieren. Vor mir sitzen aber hauptsächlich die Regieleute. Eine Kameraklasse, Bildgestaltung gibt es an der Columbia nicht. Unheimlicher Respekt vor der Arbeit, dem Handwerk, der Kunst der Bildgestaltung. Daher die anfänglichen Berührungsängste, auch die Frage wird mir gestellt: Wie spreche ich überhaupt mit einem DoP (Director of Photography). Aber nachdem ich einige der Student:innen im one to one kennengelernt hatte, wo wir ihre Drehbücher unter den dramaturgischen, aber auch technischen Gesichtspunkten der Bildgestaltung durchgearbeitet haben (Lichtdramaturgie, Auflösung, Farbgestaltung) und sich herumgesprochen hat, dass man sich mit Kameraleuten, Directors of Photography durchaus unterhalten kann, füllt sich der Terminkalender und die beiden freien Tage sind perdu. Dann die Abendveranstaltung, der »Indie-Hit«, von dem alle träumen, wie die Regiekollegin meinte, die Projektion von Mostly Martha, der in New York und anderen amerikanischen Städten ein, genau, »Indie-Hit« war, die Stimmung ist gelöst und die Diskussion nach dem Film, wie immer mit Filmstudierenden, erfrischend, herausfordernd und anstrengend.
When do I have to move the camera? Die Frage erwischt mich kalt.

Weiterlesen

© 2024 FILMgeBlätter

Theme von Anders NorénHoch ↑