Horst Peter Koll über sein Buch mit liebgewonnenen Kinder- und Jugendfilmen.

Ein Buch über liebgewonnene Kinderfilme und Jugendfilme zu schreiben, ohne verpflichtende Vorgaben, ohne (vorrangig) pädagogische Absichten und ohne jeden Zwang zur Kanonbildung mit den vermeintlich wichtigsten, unterhaltsamsten oder sogar «besten» Filmen: Das ist ein Glücksfall.

Ein blondes Mädchen schaut die Betrachterin durch einen Haarwickler an.
Auf- und Ausbruch in ein Abenteuer, das sogar die hilflos verharrenden Erwachsenen tröstet und vielleicht auch verändert: ROMYS SALON (2019 © farbfilm)

Gewiss werden nicht wenige die Stirn runzeln und dies eher als übertriebenen Luxus ansehen, weil Kinderfilme in ihren Augen gar kein «richtiges Kino» sind. Entsprechend müsse man sie weder inhaltlich noch künstlerisch ernst nehmen. Doch (Film-)Kultur – gerade für Kinder und Jugendliche – ist alles andere als ein Luxus, sondern vielmehr eine Notwendigkeit.

An dem nun erschienenen Buch Drachen reiten, Freunde finden, älter werden. Entdeckungen für junge Filmfans ist, natürlich, ein Stück weit Corona «schuld». Rückblickend könnte man denken, dass es die Pandemie-Zeit mit ihren Einschränkungen, Entbehrungen und Verboten nicht gegeben hat, so wenig wird sie noch thematisiert. Dabei hatte sich im März 2020 nahezu alles geändert: Großveranstaltungen waren verboten, Geschäfte mussten dicht machen, Schulen und Kitas wurden geschlossen. Das kulturelle Leben wurde auf «Stopp» gestellt, Ausstellungen, Musik oder Kino fanden nicht mehr statt.

Angebote machen, Interesse wecken

In den Tagen, in denen das Wort «Pandemie» offiziell wurde, erreichte mich auf dem vertrauten, aber schon unsicheren Weg zum Wochenmarkt ein Anruf aus dem Kulturressort des Kölner Stadt-Anzeiger: Frank Olbert, damals verantwortlicher Feuilleton-Chef, hatte die Idee, dass man Kindern und Jugendlichen Angebote machen müsse, damit sie der Tatenlosigkeit in der erzwungenen Isolation möglichst kreativ und selbstbestimmt begegnen könnten.

Screenshot aus dem Kinderfilme AMELIE RENNT: Ein dunkelhaariges Mädchen steht vor einem Bergpanorama und streckt die Arme weit aus
Berge und andere Hindernisse in einem der besten deutschen Kinderfilme: AMELIE RENNT
(2017 © Lieblingsfilm)

Daraus entstand der Plan für eine wöchentliche Beilagen-Seite: «Filme für Kids» empfiehlt Filme, die junge Menschen daheim sehen können, vorzugsweise gemeinsam mit anderen Familienangehörigen. Solch konstruktives Gegenangebot zu den üblichen «Berieselungsmedien» sollte so lange veröffentlicht werden, wie die Pandemie dauerte, wobei wir nicht ahnten, wie viele Kids-Filme zusammenkommen würden – und erst recht nicht, dass die Kolumne heute immer noch existiert.

Das Vorhaben war mir spontan sympathisch. Entdeckungen für junge Filmfans (wie jetzt der Untertitel des vorliegenden Buches lautet), das bedeutet, deren Interesse an unterhaltsamen, aber auch künstlerisch und thematisch attraktiven Filmen und Geschichten zu wecken. An Filmen, die Kids tatsächlich etwas angehen, weil sie ihnen vertraute Lebenssituationen aufgreifen und künstlerisch verdichten, mal komisch, mal dramatisch, stets altersgerecht, respektvoll und auf Augenhöhe. Solche Kinderfilme können lustig und komisch sein, aber auch tieftraurig und bewegend, abenteuerlich und turbulent, kritisch und nachdenklich – im besten Fall alles zugleich.

Denn in Kinderfilmen ist nahezu alles möglich, und genau das macht sie so besonders. Ob von Liebe oder Freundschaft erzählt wird, von Verrat oder Mobbing, von Verlust oder Tod, von Selbstfindung, Respekt oder einfach «nur» von Abenteuern und der magischen Kraft der Fantasie: Stets greift ein guter Kinderfilm einfühlsam Erfahrungen und Empfindungen auf, die Kinder in ihrem eigenen Alltag erleben.

Keine Filmkritiken, eher Schwärmereien

Sich an die Filme der eigenen Kindheit zu erinnern, ist nostalgisch schön, zumindest so lange, wie es einen nicht dazu verleitet, es beim Schreiben über Kinderfilme als Maß aller Dinge zu verstehen, während man andere Inspirationswege vernachlässigt. Genau das aber kann man von einem «wilden», fantasievollen, fröhlich über die Stränge schlagenden Kinderfilm lernen: dass nicht immer alles erklärt und verstanden werden muss.

Am Ende ist es wohl der ständige Spagat zwischen Analyse und Empathie: sich einem Kinderfilm, der nun wahrlich nicht für einen selbst gedreht wurde, aufrichtig und offen zu nähern, sich in ihn hineinzudenken und einzufühlen, um junge Menschen (wie auch ihre Eltern) dazu anzuregen, einen Film selbstständig zu entdecken – und zu genießen.

Vielschichtig, abgründig, seelenvoll und künstlerisch niveauvoll: DER DRACHE MEINES VATERS
(2022 © Cartoon Salon)

«Filmkritiken» im eigentlichen Sinne sind die Texte in meinem Buch eher nicht. Dafür sind sie meistens zu leidenschaftlich unkritisch und parteiisch: Lieber habe ich mich vorbehaltlos auf die Seite eines Films gestellt, auch wenn ich dabei die eine oder andere Schwäche stillschweigend unerwähnt lasse. Was seine Grenzen hat, aber aus meiner Sicht hat kein wirklich schlechter Film den Weg ins Buch gefunden. Andererseits fehlen etliche Filme, für die ich gerne auch noch geschwärmt hätte, doch irgendwann war der Platz schlicht ausgeschöpft.

Tatsächlich funktioniert das Buch für mich wie eine Wunderkammer, in deren Regalen und Vitrinen man beliebig und ungeordnet stöbern kann, um Filme mit grundverschiedenen Temperamenten, Sujets und Stilformen zu entdecken. Wunderkammer, das ist ein altmodisch schönes, fast schon magisches Wort. Bevor es aus der Mode kam, benannte es einen Raum, in dem Besonderes oder auch Kurioses aufbewahrt wurde.

Gegen das Eis im Herzen

Einfühlsam und respektvoll staunend hat der Schriftsteller Andreas Steinhöfel solch ein gemeinsames Seherlebnis schon der Allerjüngsten beschrieben, als er selbst einmal Jury-Mitglied bei der Berlinale war:

»Zur ersten Kurzfilm-Runde überfluteten gestern die Dötzeken den Zoopalast. Unüberschaubares Gewimmel und Gewusel, ein Meer von sicherheitsblinklichternden Jacken und Mützen, unüberhörbares Gekiekse und Gekreisch. Der Kinosaal verwandelte sich in einen einzigen Hort gespannter, erwartungsvoller Aufregung, und wenn die Dötzeken aufgeregt sind… Ich drückte mich in meinen Sitz und überlegte, was wohl passiert, wenn nur ein Viertel der kleinen Brüllwürfel während der Vorstellung beschließt, dass es ganz, ganz dringend und ganz, ganz gleich aufs Klo muss.«

Am Ende schaut Steinhöfel dann wieder in den erhellten Kinosaal:

»Ende der Vorstellung, Lichter an. Ich blicke vorsichtig über die Schulter. Hinter mir sitzt das Dötzeken auf seinem Thron, die kleinen Hände auf den Knien, ein verklärtes Lächeln im Gesicht. Kann sein, das war’s mit der Angst vor der Dunkelheit, für immer. Ich drehe mich wieder um und schließe die Augen. Muss ja keiner sehen, dass ich fast heule.

Manchmal wächst einem Erwachsenen Eis ums Herz, ohne dass er es merkt, hier ein bisschen und dort ein bisschen. Man spürt es nicht wachsen, aber man merkt, wenn es taut.«

Was kann man noch mehr sagen: Kinderkino und Kinderfilme als ein grandioses Stück Herzensbildung.

Horst Peter Koll

Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Buch über die «Pixar Shorts».

Und hier gibt es drei Besprechungen zu Kinderfilmen mit dem Thema
Zweiter Weltkrieg und Flucht.

Hier gibt es alle Infos zum Buch Drachen reiten, Freunde finden, älter werden.