Pablo Hagemeyer stellt das ‘Schalenmodell der Persönlichkeit’ vor

Damit Filmfiguren komplex und lebendig werden, benötigen sie eine individuelle Kombination bekannter Persönlichkeitseigenschaften. Hierzu schlage ich das Schalenmodell der Persönlichkeit vor. Darin schichten sich wie die Schichten einer Zwiebel, ein Storytelling-Modell wie es Autoren geläufig ist, oder wie ein Globus mit seinen Schichten aus Erde und Gestein, die sich um einen in der Tiefe liegenden Kern aufschichten.

Das Schalenmodell der Persönlichkeit

Jede Schicht kennzeichnet eine bestimmte Gruppe psychischer Charaktereigenschaften und ist das psychische Material, aus dem menschliche Psyche und in einer vereinfachten Übertragung ein Filmcharakter geformt ist.

Diese Schichten gehen nicht nur in die Tiefe, sondern sind auch in sich wie ein komplexes Zahlenschloss verschiebbar. So können bestimmte Bereiche (Merkmale) eng beieinanderliegen und sich unmittelbar aktivieren und in Resonanz geraten. Zudem kann der Bereich innerhalb einer einzelnen
Schicht an Größe variieren. Beispielsweise sind die Merkmale nicht gleichverteilt in der Schicht der «Affektpersönlichkeit», sondern unterschiedlich angelegt. Freude, Trauer, Überraschung, Ärger/Wut, Furcht/Angst, Ekel, Verachtung (die sieben universellen Grundemotionen nach Paul Ekman) sind individuell verteilt.

Die Schichten der Zwiebel schälen

Die Grafik des Schalenmodells der Persönlichkeit schafft eine schnelle Übersicht über die relevanten Komponenten. Im Kontakt mit der Außenwelt liegt die Schutzpersönlichkeit. Der emotionale und charakterliche Stil ist gut erkennbar durch seine typischen Marker und Reaktionsweisen. Es schützt wie eine oberflächliche Fassade im Kontakt mit anderen und stellt auch dar, wie der Charakter typischerweise geformt ist. Unter der Oberfläche können sich toxische Persönlichkeitsanteile im Schatten verbergen, die sich bei dauerhaften Kontakt erst zeigen.

Tieferliegend und damit eher unbewusst, liegen innere, wirksame psychische Konflikte, die aus dem Gleichgewicht geraten können. Konflikte können auf eine gesunde, kompromisshafte, «normale» oder auf eine einseitige, pathologische «maladaptive» Weise stabilisiert werden. Konflikte aktivieren grundsätzlich immer Affekte, die zur Handlung und zur Erfüllung des zentralen Bedürfnisses anregen. Maladaptives Schema beschreibt den komplexen aber ungünstigen Bewältigungsversuch, wirksame innere Konflikte zusammenzuhalten und Affekte abzureagieren. Schema spannt sich wie eine Faszie über innere Spannungsfelder, ist starr, veränderungsresistent und verschärfend.

Nur mit großer Mühe kann ein Schema aufgelockert und entschärft werden. Da Bedürfnisse häufig zurückgehalten und nicht immer realisiert werden, um die Aktivierung von Konflikten zu vermeiden, liegen sie ganz im Zentrum verborgen.

Das zentrale Bedürfnis kann als Wunsch formuliert werden. Das zentrale Bedürfnis ist das «Was» im «Wer braucht was von wem?» Das Bedürfnis kann ein zurückgehaltener, ganz ursprünglicher Persönlichkeitsanteil sein, der sich durch Anpassung an die Außenwelt in der Tiefe verbarg und sich jetzt zeigen will. Oder es ist eine noch nicht entfaltete aber identitätsstiftende Persönlichkeitsfacette, die sich noch durchsetzen muss. Damit aktiviert es von Innen heraus den Konflikt und das kompensierende Schema. Trauma-Hotspots sind psychische Verletzungen und Zerstörungen der Struktur. Traumatisierungen (seelische Wunden) torpedieren das Bemühen der Selbstentfaltung durch heftige Traumareaktionen, in denen sich die Figur verfängt. Kompetenzen hingegen sind hilfreiche Ressourcen auf dem Weg der Selbstentfaltung.

Für eine individuelle Ausgestaltung des Charakters wären beispielsweise Angst zu 40 % und Ekel zu 30 % stark ausgeprägt, dazu noch Wut mit 20 % und Verachtung mit 10 %. Hingegen könnten nahezu Freude und Trauer fehlen. Dies scheint eine Affektlage einer antagonistischen und unsympathischen Figur zu sein. Das Schalenmodell und seine einzelnen Schichten so konkret vor Augen zu haben, hilft, die komplexe Emotionalität einer definierten Filmfigur unmittelbar zu erkennen.

Pablo Hagemeyer

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Filmfiguren lebendig machen