Schauspieler *7. Januar 1964

Nicolas Cage ist eines der großen Mysterien unserer Zeit – je mehr man über ihn weiß, desto weniger Sinn ergibt er. Gelegenheits-Kinogänger kennen ihr als käsigen Action-Star aus Con Air (1997) und den National Treasure-Filmen (2004, 2007). Die Internet-Generation kennt ihn aus unendlichen Memes von Wutausbrüchen und irren Grimassen als den König des Overactings.

Nicolas Cage in WORLD TRADE CENTER
Nicolas Cage in WORLD TRADE CENTER (© Paramount)

Echte Fans erzählen sich Anekdoten aus seinem Leben: Wie er mal einen Dino-Schädel, eine zweiköpfige Schlange und ein bayerisches Schloss kaufte; wie der Patricia Arquette bei ihrem ersten Treffen einen Heiratsantrag machte, den sie erst 15 Jahre später annahm; wie er sich für seine Rollen Zähne ohne Betäubung ausreißen und heißen Joghurt über die Füße gießen ließ. Und wahre Kenner ringen um eine Beschreibung seiner Schauspieltechnik und werfen dabei mit Begriffen um sich wie Kabuki, Expressionismus, Jazz, «Nouveau Shamanic» oder «Mega-Acting».

Tatsächlich muss man ins Jahr 1987 zurückgehen, um Cage zu verstehen. Damals stand ein 23-jähriger Nicolas Coppola, der seinen berühmten Nachnamen aufgegeben hatte, um es auf eigenen Beinen in Hollywood zu schaffen, an einem Wendepunkt seiner Karriere. Anders als die «Brat Pack»-Schauspieler seiner Generation hatte er kein Interesse an Partys, Drogen – oder am Realismus. Stattdessen liebte er Comics, Stummfilme und Elvis: epische Posen, große Gesten, Pathos und Drama. All das durfte er bereits als menschliche Cartoonfigur in Arizona Junior (1987) und als überdramatischer Pizzabäcker in Mondsüchtig (1987) ausleben. Und nun sollte er Vampire’s Kiss (1988) drehen, die Geschichte eines Yuppies, der entweder ein Vampir oder verrückt wird, oder beides.

Die «Methode Cage»

Und für diese Rolle entwickelt Cage seine eigene, völlig originelle Schauspieltechnik: Scheinbar willkürlich (aber in Wahrheit genau geplant) brüllt oder flüstert er seine Dialoge, rollt und reißt die Augen auf wie ein Irrer, stolpert heulend und stöhnend durch die Straßen. Es ist eine Jahrhundert-Performance, die keinerlei Preise, sondern nur Spott und Internet-Infamie erntet; ein künstlerischer Amoklauf, von dem man die Augen nicht abwenden kann. Nicolas Cage, der Performer, ist geboren.

Nicolas Cage in GOD OF WAR (© MGM / 20th Century Fox)
Nicolas Cage in GOD OF WAR (© MGM / 20th Century Fox)

Es gibt in den folgenden 35 Jahren durchaus Rollen, in denen Cage zurückrudert. In Filmen wie Adaption (2002), Leaving Las Vegas (1995) oder Tricks (2003) zeigt er, wie präzise und subtil er spielen kann. Aber die restlichen gut 100 Werke in Cages Filmographie kann man darin unterteilen, ob die Geschichte und seine Mitdarsteller mit seiner monströsen Methode mithalten können. Das Drogendelirium-durchtränkte Bad Lieutenant-Remake (2009)? Wie für Cage gemacht. Die psychedelische Blutorgie Mandy (2018)? Eine Performance für die Ewigkeit. Die durchgeknallte Action-Extravaganza Face/Off (1997)?

Ein Performer wie kein anderer

Cage passt wie die Faust aufs Auge. Aber wenn er in sonnendurchtränkten Liebesdramen auftaucht, in beiläufigen Alltagskomödien oder ernsthaften Politthrillern, dann sticht seine absurde Intensität immer heraus. Cage ist so einzigartig, dass er jeden Film sprengt, der für ihn zu klein ist.

Was also ist Nicolas Cage? Ein Spinner, ein Radikaler, ein Troll, ein Meme, ein Genie? Ein millionenschwerer, oscarprämierter Superstar, der trotzdem sträflich unterschätzt ist? Sein Kollege Ethan Hawke meinte einmal, Cage wäre der erste Darsteller seit Marlon Brando, der die Schauspielkunst wirklich weiterentwickelt hätte. Mit 60 Jahren ist Nicolas Cage unbestritten ein allseits geschätztes Unikat– vielleicht nimmt er sich ja mal etwas Zeit, um dem Nachwuchs die «Methode Cage» beizubringen und aus seiner eigenwilligen Technik eine echte Strömung zu machen.

Daniel Bickermann

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2024, der noch viele weitere spannende Textbeiträge und Portraits von Filmschaffenden enthält.