Vor 60 Jahren feierte Sergio Leones Kult-Western FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR Premiere. Zeit für einen Blick auf dessen schönste Drehorte in Spanien.
Die Provinz Almería in Andalusien verfügt über so unterschiedliche und außergewöhnliche Landschaften, dass ihr mimetisches Potenzial fast unbeschränkt zu sein scheint: Nordafrika, naher Orient, Mountain States und Südstaaten der USA, Mexiko, Fantasylandschaften, hier wird für fast alle Genres etwas geboten.
Dort konnte man Jesus in die Wüste schicken (König der Könige), Moses sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft führen lassen (Exodus: Götter und Könige) oder einen römischen Soldaten auf den Weg des Glaubens lenken (Auferstanden). Man kann die Nordafrikafront im Zweiten Weltkrieg inszenieren (Taxi nach Tobruk) und dabei ganze Panzerschlachten nachstellen (Patton) oder über den Algerienkrieg erzählen (Sie fürchten weder Tod noch Teufel). Ebenso konnten hier Landschaften für Conan der Barbar und Game of Thrones gefunden werden, die das Publikum in Traumwelten versetzten.
Allerdings gibt es eine Gattung, die mehr als alle anderen von Almería geprägt wurde und der Region zu filmischem Weltruhm verholfen hat: der Western – darunter der Klassiker Für eine Handvoll Dollar von Sergio Leone.
Auftakt in San José
In dem kleinen Ort San José, rund 30 Kilometer östlich von Almería und nur zwei Kilometer vom Mittelmeer entfernt, reitet Clint Eastwood auf einem Maultier in Für eine Handvoll Dollar in die Filmgeschichte ein. Lange bevor wir das Gesicht des Reiters – im Film Joe genannt – zu sehen bekommen, ist er an seinem berühmt gewordenen Poncho zu erkennen.
Er bewegt sich auf einen Brunnen vor zwei weiß getünchten Gebäuden zu, um dort etwas zu trinken. Dabei beobachtet er, wie eine junge Mutter – interpretiert von der deutschen Schauspielerin Marianne Koch – offenbar dort gefangen gehalten und von ihrer Familie getrennt wird.
Der Brunnen selbst ist ein Aufbau, die Häuser hingegen bilden den Cortijo El Sotillo, der heute noch existiert, auch wenn er deutlich erweitert wurde. Das linke Haus wurde zu einem 4-Sterne-Hotel ausgebaut, der Innenraum aber ist noch wiederzuerkennen, zumal man eine Ecke so belassen hat, wie sie im Film zu sehen ist, als Joe die Wachen niederschießt, um die Frau zu befreien. Der Drehort mit den beiden von einem kleinen Hof getrennten Häusern ist perfekt ausgewählt, um die dramatische Spannung – links die Mutter, rechts Vater und Kind – räumlich erfahrbar zu machen.
Szenenwechsel zwölf Kilometer nördlich
Dann hört Joe einen Glockenschlag und schaut in Richtung der vermeintlichen Stadt, die, wie der Film suggeriert, hinter dem Cortijo liegt. Die Glockenschläge bilden jedoch nur einen lautlichen Übergang, um einen räumlichen Sprung zu vertuschen: Denn Joe reitet nun unter einem Galgen in ein Dorf ein, Los Albaricoques, das sich zwölf Kilometer nördlich von San José befindet.
Der Blick zwischen die Häuserreihen mit großer Tiefenwirkung erweckt den Eindruck, dass wir uns in einem echten mexikanischen Dorf befinden. Eines der Häuser auf der rechten Seite existiert noch heute relativ unverändert. Die Straße wurde mittlerweile auf den Namen Calle Clint Eastwood umgetauft.
‹Für eine Handvoll Dollar› (5’) © LEONINE
Während die schwarz gekleideten Frauen des Dorfes in ihre Häuser fliehen, als ein anderer Reiter am Ende der Straße erscheint, setzt Joe seinen Weg fort. Kommt es zu einem Duell? Wie so oft lässt Leone den Zuschauer zunächst im Unklaren. Erst als der Reiter vorüber ist, sieht man ein Blatt Papier, das man ihm auf dem Rücken befestigt hat – Adiós Amigo steht darauf. Ist er der Verurteilte? Aber wo sind dann die Vollstrecker? All das bleibt offen, deutlich wird nur eines: Dieser Ort ist vom Tod gekennzeichnet.
Die Golden City in Madrid
Joe zieht kurz an der Krempe seines Hutes, reitet weiter und kommt dann in die fiktive Stadt San Miguel. Aber die befindet sich nicht mehr in Andalusien, sondern in Hoyo de Manzanares (Madrid), wo 1962 die Westernstadt Golden City aufgebaut wurde. Fast die ganze Handlung wird sich nun dort abspielen; einige Innenaufnahmen entstanden in Madrid selbst, weitere Einstellungen am Fluss Alberche bei Aldea del Fresno.
und in ‹Für eine Handvoll Dollar›
© Icestorm Distribution / LEONINE
Kaum jemand rechnet damit, dass Madrid neben den Drehorten in Andalusien das Zentrum der europäischen Westernproduktion in den 1960er-Jahren gewesen ist. In der Nähe der Hauptstadt lagen und liegen mit den Felsformationen von La Pedriza, der grünen Weidelandschaft der Dehesa de Navalvillar, die im Sommer der Serengeti ähnelt, den Wäldern von Valsaín sowie den Ufern der Flüsse Alberche, Henares und Jarama verschiedene Landschaften, die denjenigen der Vereinigten Staaten sehr ähneln.
Mit Golden City kam 1962 die erste Westernstadt Spaniens hinzu und schuf eine attraktive Infrastruktur für das Genre: Madrid besaß einen Flughafen, Filmlabore und hochwertige Hotels, von denen aus man morgens einfach zu den Drehorten fahren konnte. Es folgten weitere Westernstädte, Forts und zahlreiche vorübergehende Aufbauten und Kulissen, die an die 200 Westernproduktionen nach Madrid lockten.
Auftakt für Almería
Almería ist somit im ersten Teil der Dollar-Trilogie nur ein Auftakt. Die wenigen Reitszenen aus der Tabernas-Wüste, die später im Film noch zu sehen sind, stammen vom Second Unit. Clint Eastwood wurde dabei durch ein Double ersetzt, das u. a. durch die Rambla Indalecio galoppiert, wobei in der Dunkelheit weder Landschaft noch Figur im Detail zu erkennen sind (vgl. 1’01 u. 1’07).
Erst in seinem nächsten Film, Für ein paar Dollar mehr, sollte Leone dann endgültig Almería zum Schauplatz machen, und nichts weniger als seine eigene Westernstadt dafür bauen lassen.
Ralf Junkerjürgen und Annette Scholz
Auszüge aus den Filmreiseführern Andalusien und Madrid und Umgebung.
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