* 6. November 1970

Whatever Happened to the Nineties? Nicht, dass man Eurodance, Diddl-Mäuse oder Plateau-Sneaker vermissen würde, doch irgendwas fehlt. Vielleicht ist es die eingeschnappte Verweigerungshaltung des Grunge, mit ihrer herzlich-naiven Teenage Angst und der ebenso trotzigen wie zum Scheitern verurteilten Entscheidung, nie beim großen Mittelmaß des Erwachsenendaseins mitzumachen. Während anderswo das Ende der Geschichte gefeiert wurde, verschränkten die letzten Jahrgänge der Generation X bockig die Arme und weigerten sich, in den geschmacklosen Taumel der Spaßgesellschaft einzusteigen. Ein Posterboy von einst und eine Erinnerung an die verstrubbelte Unzufriedenheit mit dem allzu seichten Lauf der Dinge war, ist und bleibt Ethan Hawke. Als sinnkriselnder Musterschüler Todd Anderson in Peter Weirs Club der toten Dichter lieh er noch in den späten Eighties den inspirierenden Ausführungen von Lieblingslehrer Robin Williams sein Ohr und nahm sich dessen Credo „Seize the Day“ anscheinend auch nach Drehschluss zu Herzen. Wie Todd schien auch Hawke zu wissen, dass nicht nur der Tag, sondern auch die Karriere zu wertvoll sind, um sie mit Mittelmaß und Stumpfsinn zu vergeuden.

So lieh er bald schon einer ganzen Generation trotziger angry young men ein glamouröses Antlitz, als er sich in Ben Stillers Regiedebüt Reality Bites zerknirscht und mit adoleszenter Arroganz durch die Szenen quälte. Jung, dagegen und gutaussehend. Natürlich ließ sich diese Haltung nicht ewig aufrechterhalten, doch zeigte der von Hawke gespielte Antiheld (mit Betonung auf „Anti“) Troy, dass die Akzeptanz des Ernsts des Lebens zwar eine kleine Kapitulation, jedoch keinen Verrat an sich selbst bedeuten muss. Und überhaupt: Wenn es selbst einem Beau wie Hawke/Troy passiert, führt am Erwachsenwerden wohl echt kein Weg vorbei.

Tüchtig und vielbeschäftigt – 81 Filme in 35 Jahren drehen sich nicht von selbst – doch auch voller Sorgfalt gestaltete Hawke eine Ausnahmekarriere mit erstaunlich wenigen Fehltritten, dafür jedoch mit einem guten Blatt moderner Klassiker. Sei es der ambitionierte Klon in Gattaca, der unverdorbene Rookie-Cop an der Seite eines manisch aufspielenden alten Hasen Denzel Washington in Antoine Fuquas Training Day oder sogar Hamlet, der Protogrübler und Verweigerungsprofi höchstselbst im 2000er Shakespeare-Remix. Hawkes Anwesenheit vor der Kamera darf meist als Qualitätssiegel gelten.

Boyhood von Richard Linklater (USA 2014)

Schon früh erkannte er in Richard Linklater, einem der einst jungen wilden Sundance-Kids und Indie-Bilderstürmer, einen Bruder im Geiste, mit dem er 1995 die legendär-entspannte Before-Trilogie begann. In Boyhood, ihrer nun schon achten Zusammenarbeit, begleitet man Hawkes Leinwandpersona, den Vater des jungen Mason, über 12 Jahre (2001 bis 2013). Vom gescheiterten, verantwortungslosen Post-Grunger, der in manchen Momenten an Troy aus Reality Bites erinnert, hin zu einem leicht zerknirschten, doch angekommenen Mittvierziger im Frieden mit sich und der Welt. Das endgültige Ende der langen 1990er Jahre? Vielleicht.

Doch auch wenn Hawke in diesem Jahr seinen Fünfzigsten feiert, beweist er mit mutigen Rollen wie in Paul Schraders Glaubensdrama First Reformed oder in der federleichten Tragikomödie Juliet, Naked, dass auch die fortgeschrittenen Jahre zu wertvoll sind, um sie mit Mittelmaß zu verschwenden.

Carpe diem. Seize the day. Make your life extraordinary.

Dieser Beitrag wurde von Robert Cherkowski für den Filmkalender 2020 geschrieben. Auch in der aktuellen Ausgabe des Kalenders finden sich lesenwerte Porträts und Beiträge