1972 revolutionierte Francis Ford Coppola den Gangsterfilm – mit bis heute weitreichenden Folgen für Hollywood und die Popkultur

Wie krempelt man ein altbackenes Hollywood-Genre um, läutet eine neue Ära von Schauspielern und Filmemachern ein, beeinflusst Fernsehserien, Rap-Videos und echte Mafiosi für Jahrzehnte und kriegt ganz nebenbei noch alle Oscars? Eigentlich ganz einfach: Man nehme einen reißerischen Groschenroman, einen 31-jährigen Jungregisseur, einen Kameramann, der nur schwarze Bilder liefert, einen Hauptdarsteller ohne Filmerfahrung und ein Filmstudio, das den eigenen Film an jeder Ecke zu sabotieren versucht. Der Pate hat eine der kuriosesten Entstehungsgeschichten der Filmhistorie – und ein ebenso kurioses Vermächtnis.

Marlon Brando (r.) und Salvatore Corsitto in DER PATE (USA 1972), © Paramount
Gangster-Klischees, Sex und Gewalt

Alles begann mit Mario Puzo. Der wuchs im New Yorker Stadtteil Little Italy als Sohn armer italienischer Einwanderer auf, diente als Soldat im Zweiten Weltkrieg und wurde danach ein angesehener, mäßig erfolgreicher Autor. Aber wie alle Literaten träumte er heimlich davon, einen rasend erfolgreichen Schundroman zu schreiben. Und nach vier ernsthaften Büchern über das italoamerikanische Milieu war es dann soweit: Aus einigen autobiographischen Details, jeder Menge Gangster-Klischees und einem ordentlichen Schuss Sex und Gewalt bastelte er 1969 den Bestseller The Godfather: Die Geschichte des heimkehrenden G.I. Michael Corleone, der in die blutigen Machenschaften seiner Familie hineingezogen und schließlich selbst zum Paten wird.

Puzo hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass es ihm beim Schreiben hauptsächlich ums schnelle Geld ging. Insofern sollte sich niemand wundern, dass das Filmstudio Paramount ganz ähnliche Ziele verfolgte, als es eine Verfilmung des Buches anschob. Nur leider wollte kein Regisseur den Paten anfassen: Von Peter Yates über Constantin Costa-Gavras bis Arthur Penn wurde das Projekt ganzen zwölf Filmemachern angeboten, die allesamt absagten. Denn trotz einiger Schwarzweißklassiker wie White Heat (1949), Little Caesar (1931) oder Scarface (1932) galt der Gangsterfilm in den 1960ern und 1970ern als billiges Exploitation-Genre – und Puzos Roman war da keine Ausnahme. Selbst der glückliche Kandidat Nummer 13, ein aufstrebender Jungregisseur namens Francis Ford Coppola, las dieses «sensationalistische Paperback» und dachte: «Mein Gott, das will ich nicht verfilmen.»

Al Pacino in SCARFACE (USA 1983), © Universal

Aber Coppola, der damals mit Frau und drei Kindern in einer winzigen Wohnung hauste, brauchte das Geld und sagte zu. Er wusste nicht, auf was für eine Achterbahn er sich da eingelassen hatte. Von Anfang an gab es Streit mit dem Studio. Dass der Regisseur seine eigene Familie besetzte (vor und hinter den Kulissen waren seine Schwester, sein Vater, seine neugeborene Tochter und diverse Cousins und Cousinen tätig), ließ man ihm noch durchgehen. Aber beim Casting gab es Ärger: Coppola wollte doch tatsächlich italoamerikanische Schauspieler für die italoamerikanischen Rollen besetzen. Marlon Brando war bereits damals als Unruhestifter am Set verschrien und konnte vom Regisseur nur nach viel Mühen und Screen Tests durchgesetzt werden. Und dann war da noch ein junger Broadway-Darsteller namens Al Pacino, der es Coppola angetan hatte. Pacino aber hatte nicht nur kaum Filmerfahrung, sondern sah auch nicht so aus wie Hauptdarsteller in Millionen-Dollar-Filmen damals aussahen – das Studio wollte lieber die blonden, blauäugigen Robert Redford oder Ryan O’Neal als Italiener besetzen.

Vom Schundroman zum Meisterwerk

Coppola konnte sich nur durchsetzen, weil das Risiko nicht hoch war: Das Studio erwartete schließlich einen billigen Gangsterstreifen. Doch dann schrieb Coppolas Puzos Drehbuch um, strich die ganzen sexuellen Nebenplots (die sich hauptsächlich um Sonny Corleones riesiges Gemächt drehten) sowie die lange Vorgeschichte der Familie – und machte stattdessen aus dem billigen Kolportage-Roman ein glorioses Familien-Epos um Macht, Moral und Minderheiten. Urplötzlich stieg das Budget von zwei auf über sechs Millionen Dollar und trotz Streichungen steuerte Coppola auf vier Stunden Filmmaterial zu. Da wurde das Studio dann doch misstrauisch – Coppola stand die ersten Wochen der Dreharbeiten unter Dauerbeobachtung und wurde täglich mit Entlassung bedroht. Ein weiteres Problem war, paradoxerweise, der anhaltende Erfolg des Romans: Aus dem Überraschungserfolg wurde ein literarischer Dauerbrenner und Millionen-Bestseller – und die Verfilmung wurde zunehmend zum vielbeachteten Prestigeprojekt. Plötzlich bereute es Paramount, einen gerade mal 31-jährigen Regisseur mit einem Haufen dunkelhaariger Niemande diesen Film drehen zu lassen.

Als die ersten Aufnahmen zurückkamen, war das Entsetzen dann noch größer: Der Film war so dunkel, dass man kaum was erkennen konnte! Der ebenso brillante wie eigenwillige Kameramann Gordon Willis hatte die Figuren in tiefe Schatten gelegt, aus denen oft nur einzelne Gesichtsteile auftauchten. Marlon Brandos Augen waren praktisch im ganzen Film nicht zu sehen, da das Oberlicht schwarze Schatten in seine Augenhöhlen warf. Was heute als brillante Darstellung des moralischen Zwielichts gefeiert wird, galt damals bestenfalls als dunkelster Film aller Zeiten und schlimmstenfalls als technisches Versagen und brachte Willis den Spitznamen «Der Fürst der Finsternis» ein. Selbst das Filmteam drang angesichts solcher Ergebnisse hinter Coppolas Rücken auf dessen Entlassung – bis er in einer Paten-würdigen Vergeltungsaktion gleich vier der «Verräter» am Set feuerte.

Erst gegen Ende der Dreharbeiten dämmerte dem Studio, was sie da an der Hand hatten. Paramount hob die eigene Beschränkung auf 135 Minuten auf und verlangte eine 150-Minuten-Fassung – bitte mit noch mehr Al-Pacino-Szenen. Die Zuschauer und die Kritik übertrafen die neue Zuversicht dann sogar noch: Aus der schnellen Auftragsarbeit war ein veritables Meisterwerk geworden, das 1972 zum finanziell erfolgreichsten Film des Jahres wurde und elf Oscar-Nominierungen einfuhr, darunter für Pacino, Brando, Puzo und Coppola.

Fragwürdige Auswirkungen

Dieser unerwartete Triumph hatte zwei sehr unterschiedliche Nachwirkungen. Zum einen etablierte Der Pate eine Generation italoamerikanischer Schauspieler und Filmemacher, die die nächsten Hollywood-Jahrzehnte maßgeblich prägen sollten: Aus den damals fast unbekannten Al Pacino und Robert de Niro (der auch als Micheal Corleone im Gespräch war und stattdessen in der Fortsetzung den jungen Vito spielte) wurden legendäre Stars; und die Karrieren von Martin Scorsese (der als Regisseur für die Fortsetzung im Gespräch war und später mit GoodFellas (1990) das moderne Gegenstück zu Der Pate schuf) und Brian de Palma (der mit Pacino 1983 den Gangster-Klassiker Scarface als Einwanderer-Tragödie neu drehte) wären ohne Coppolas Meisterwerk kaum denkbar.

Joe Pesci, Ray Liotta und Robert De Niro in GOODFELLAS (USA 1990), © Warner Bros.

Eine zweite Nachwirkung des Paten war Coppola dagegen nicht so angenehm. Er hatte die Verwandlung des Michael Corleone vom braven Kriegshelden zum ruchlosen Gangsterboss als abschreckende Parabel gesehen. Tatsächlich legte er mit diesem korrumpierten Anti-Helden den Grundstein für legendäre Serien wie Die Sopranos oder Breaking Bad – aber genau wie diese kämpfte Coppola mit einem paradoxen Problem: Die Zuschauer mochten seine Hauptfigur zu sehr. Irgendwo zwischen der nervenzerreißenden Spannung von Michaels erstem Mord und der gloriosen Montagesequenz der Taufe, während der seine Mörder die rivalisierenden Clan-Chefs ausschalten, hatten die Zuschauer ihre Moral aufgegeben und waren dem Glanz der Gewalt und dem Charme des Bösen erlegen. Als Michael am Ende seine Frau anlügt und aussperrt, während seine Unterlinge ihm die Hand küssen, applaudierten die Zuschauer, anstatt entsetzt zu sein.

Immerhin bekam Coppola eine zweite Chance. In Der Pate II (1974) verarbeitete er die zuvor gestrichene Vorgeschichte der Familie in Italien und New York, während er gleichzeitig Michaels Aufstieg in die Politik und Wirtschaft weiterführte. Und alle, die die Corleones bewundert hatten, konnten hier sehen, wie der im ersten Teil so integre und väterliche Vito seine kaltblütigen Morde verübt und anschließend seinen neugeborenen Sohn Michael küsst. Und wie Michael, in dieser blutigen Familientradition gefangen, vollends zum Monster wird: Nachdem seine Ehe in Gewalt und Hass explodiert ist und er sogar den eigenen Bruder umbringen lässt, bleibt der Antiheld als erbärmliche Hülle eines Mannes zurück, allein und verloren. Nicht nur aufgrund dieser Drastik wird der zweite Teil oft als erste Fortsetzung der Filmgeschichte gefeiert, die noch gelungener ist als das Original.

Al Pacino (r.) und John Cazale in DER PATE II (USA 1974), © Paramount

Aber der Geist war aus der Flasche, und es waren nicht nur Filmfans, die von den Bildern von Ruhm und Reichtum verführt waren. Von Rappern bis Wirtschaftsbossen wollten alle den Glanz des Aufstiegs und des Respekts zelebrieren, wie ihn die Helden in Der Pate oder Scarface erreichen (wobei das blutige Ende dabei gerne ausgeblendet wird). Noch heute preisen Musikvideos ebenso wie Ratgeberbücher wieder und wieder das rücksichtlose Der Pate-Dasein als Erfolgsgeheimnis an. Berichten zufolge adaptierten selbst viele echte Mafiosi die in Wahrheit eher halbgar zusammengesponnenen Rituale, die Puzo und Coppola auf der Leinwand gezeigt hatten, wie den eigentlich unüblichen Handkuss und die schlecht recherchierte «Don»-Anrede.

Andy Garcia in DER PATE III (USA 1990), © Paramount

Rückblickend ist Der Pate vor allem ein Stück Filmgeschichte. Wie andere Regisseure aus der «New Hollywood»-Ära legte Coppola ein vergessenes Genre neu auf, mit realistischer Drastik und komplexer Moral. Und wie die anderen hatte er in den 1970ern eine Handvoll weitere Meisterwerke (Apocalypse Now, 1979; Der Dialog, 1974) – während in den 1980ern seine Versuche, das Musical (Einer mit Herz, 1982) oder das Magnaten-Epos (Tucker, 1988) neu zu etablieren, beinahe zu seinem Ruin führten. Der Pate III (1990) wurde dann auch ein etwas müder Versuch, fast zwanzig Jahre später an alte Größe anzuknüpfen, konnte aber weder inhaltlich noch inszenatorisch mit den legendären Vorgängern mithalten. Am Ende war Coppolas Tätigkeit als Produzent und Weinmacher sogar noch erfolgreicher als seine manchmal etwas durchwachsene Regie-Karriere. Aber Der Pate wird immer sein Meisterstück bleiben – das grandiose Epos, mit dem ein blutjunger Regisseur ein Genre neu erfand, ein übermächtiges Studio besiegte, eine neue Generation Filmemacher und Schauspieler in Hollywood etablierte und einen der besten und erfolgreichsten Filme aller Zeiten drehte.

Daniel Bickermann

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2022. Auch der Kalender für 2023 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.