1962 macht John Frankenheimers Politthriller The Manchurian Candidate – Botschafter der Angst die Paranoia im Kino salonfähig

Was, wenn das größte Schlachtfeld des Kalten Krieges nicht in der Ferne lag, sondern daheim? Was, wenn die erste Welt den Kampf um ideologische Vorherrschaft nicht mit der roten Gefahr austrug, sondern dem einzigen Gegner, den sie wirklich fürchtete: sich selbst.

Laurence Harvey in BOTSCHAFTER DER ANGST (USA 1962), © OFDb Filmworks

Schon bevor US-Kriegsgefangene im Koreakrieg dazu genötigt wurden, die imperialistischen Gebaren ihrer Heimat öffentlich zu verdammen – eine PR-Katastrophe, die man sich nur mit dem Kampfbegriff «Gehirnwäsche» erklären konnte – war die Heimatfront zum Schauplatz eines spirituellen Konflikts um die Deutungshoheit der Realität geworden: Ein lustvolles Spiel mit der Angst, die nicht nachlassen durfte, da sie der Treibstoff war, der nicht nur militärische Industrie am Laufen hielt. Demagogen wie Hexenjäger Joseph McCarthy oder Machtpolitiker wie der kalifornische Senator Richard Nixon schürten aus Überzeugung oder Opportunismus ein Klima zwischenmenschlichen Argwohns. Ausgerechnet der Traumfabrik schien es zu jener Zeit schwerzufallen, das krankhafte Misstrauen im Herzen der Gesellschaft zu bebildern. Wie auch? Die wagemutigsten Kreativen standen auf schwarzen Listen und hatten Berufsverbot. Ausgerechnet die Schmuddelkinder des B-Kinos sollten den richtigen Ton treffen. Aus sicherer Pulp-Deckung heraus entstanden kleine Klassiker von bemerkenswerter Hellsicht. Don Siegels Invasion of the Body Snatchers (1956), Christian Nybys The Thing (1951) oder Kurt Neumanns The Fly (1958) bebilderten die Nervenkrise einer Nation, die sich selbst nicht traut, da sie weiß, wozu sie fähig war, und ahnt, wozu sie noch fähig ist.

Angela Lansbury in BOTSCHAFTER DER ANGST (USA 1962), © OFDb Filmworks

Dem 32-jährigen John Frankenheimer, einem Regie-Wunderkind mit Vision und handwerklichem Geschick, sollte es 1962 gelingen, die B-Movie-Bissigkeit massentauglich aufzubereiten. Die Verfilmung von Richard Condons 1958er Bestseller The Manchurian Candidate ist der Urknall modernen Paranoia-Kinos und einer der Wegbereiter der amerikanischer New Wave. So wusste er in seinem Thriller um einen Koreakriegsveteran (Laurence Harvey), der im Einsatz von der Roten Gefahr gefangengenommen und gehirngewaschen wurde, welches Maß moralischer Desorientierung dem Publikum zuzumuten war. Die Subversion anzudeuten, dass die eigene Seite es mit anderen Mitteln ganz genauso macht, war dennoch riskant. So war der Verstand des traumatisierten Heimkehrers schon vor seiner Gefangennahme von einer pathologisch kontrollsüchtigen Mutter (Angela Lansbury) in Beschlag genommen. Dass das fiese Muttertier und ihr Gatte, ein schimmerloser Senator, an das Hexenjäger-Gespann Roy Cohn und Joseph McCarthy angelegt waren, ist ein deutliches Statement. Generations-konflikte, Probleme mit der Obrigkeit und der Kampf um die Freiheit des Geistes waren schon in Frankenheimers bisherigen Werken Die jungen Wilden (1961) und Der Gefangene von Alcatraz (1962) wiederkehrende Motive, die hier auf ein dramatisches Fanal zusteuern. Vom Kriegshelden zum verwirrten Einzeltäter ist es kein allzu weiter Weg.

Düstere Aussichten zwar, doch konnte sich Frankenheimer über einen Fan an höchster Stelle freuen. Präsident John F. Kennedy, ein Freund der schönen Künste, der sich mit Schauspielern, Autoren und der liberalen Intelligenzija umgab, war begeistert und suchte die Nähe des Regisseurs. Nicht ohne Hintergedanken: Ein Roman hatte es dem belesenen POTUS angetan und sollte von Frankenheimer verfilmt werden: Der Politthriller Seven Days in May von Charles W. Bailey II und Fletcher Knebel. Irgendetwas schien den Staatsmann am populären Schmöker über einen schwelenden Putsch unzufriedener Militärhardliner gegen einen allzu friedliebenden Präsidenten zu faszinieren.

Burt Lancaster und Kirk Douglas in SIEBEN TAGE IM MAI (USA 1964), © Paramount

Manche Fans lässt man nicht warten: In Twilight Zone-Schöpfer Rod Sterling als Autor sowie dem Darstellergespann Kirk Douglas/Burt Lancaster fanden sich Kollaborateure, mit denen das Projekt zügig Gestalt annahm. Heraus kam ein amerikanisches Königsdrama über die Sorte Macht, die nicht den Wählern überlassen wird, sondern die mit Gewalt umverteilt wird, wenn Interessen kollidieren. Die Premiere sollte ausgerechnet Kennedy nicht mehr erleben. Er fiel dem Attentat eines verwirrten Einzeltäters ohne Hintermänner zum Opfer.

Paranoide Brüder im überreizten Geist

Die Schüsse von Dallas hallen noch heute durch die Elm Street, die Schulbuchlagerhäuser in der Dealey Plaza und die Korridore amerikanischer Geschichte und haben einen Chor an Zweiflern angestimmt. Filmisch wurde das Thema zunächst nur selten aufgegriffen. Mal verklausuliert wie in William Richerts Philadelphia Clan (1979, Romanvorlage erneut von Richard Condon), mal überraschend deutlich wie im von Blacklister Dalton Trumbo verfassten Unternehmen Staatsgewalt (1973). 28 Jahre sollten vergehen, bis sich Oliver Stone, gesegnet von einer Reihe Hits und der Rückendeckung eines der namhaftesten Ensembles der 1990er, am Mordfall K. abarbeitete. Basierend auf Ermittlungen des selbst in Verschwörungstheoretiker-Kreisen umstrittenen Staatsanwalts Jim Garrison, der sich auf der Spur einer Kabale aus tiefem Staat, Geheimdiensten und Exil-Kubanern glaubte, orchestrierte er mit fast experimenteller MTV-Montage eine wahre Paranoia-Oper. Verschiedene Ebenen von Realität, Vermutung, Wahn und Fiebertraum, die Kameravirtuose Robert Richardson in gleißendes Licht setzte, scheinen einander zu überlagern, aufzuheben und zu zersetzen. Paranoia bei Stone ist ein bewusstseinserweiternder Rausch.

Rock Hudson in DER MANN, DER ZWEIMAL LEBTE (USA 1966), © Paramount

In den Jahren nach dem Attentat selbst schien zunächst ein diffuses Gefühl von Ernüchterung zu herrschen, dem sich Frankenheimer in seinem 1966er Psychothriller Der Mann, der zweimal lebte widmete. Eine zwielichtige Organisation macht einem farblosen Bankangestellten ein verlockendes Angebot: Er soll mit neuem Gesicht (von Schönling Rock Hudson) neu anfangen und das verhasste alte Leben hinter sich lassen. Auch wenn das neue Leben seine süßen Seiten hat, versinkt der Wiedergeborene in Leere, Einsamkeit und Depression. Der Mann, der zweimal lebte ist eine filmgewordene Sinn- und Lebenskrise der Post-JFK-Jahre. Wirklich aufgegeben hatte sich Frankenheimer dennoch nicht. Neben Big-Budget-Extravaganzas wie Grand Prix (1966) dreht er auch Wahlwerbespots für Robert Kennedy, zu dem er seit dem Tod dessen Bruders eine enge Freundschaft pflegte. Am Abend des 6. Juni 1968 waren sie sogar verabredet, um den Wahlerfolg in Kalifornien zu feiern. Er sollte über das Autoradio erfahren, dass RFK den Schüssen eines verwirrten Einzelgängers ohne Hintermänner zum Opfer fiel.

Hat Nixon die Nation paranoid gemacht, oder die Nation Nixon?

Aus seinen Lebenskrisen hatte Frankenheimer nie einen Hehl gemacht und auch dass der Alkoholismus, der sein Leben über die kommenden Jahrzehnte begleiten sollte, ihn viel Kraft und Ehrgeiz kostete, ist kein Geheimnis. Keine Fantasie schien zu krude, um nicht grausige Realität zu werden. So verschwendete er sein Talent in den folgenden Jahren mit Filmen unter seinem Niveau und war nur Zaungast der New Hollywood-Bewegung, die die Siebziger zu einem der prägendsten amerikanischen Filmjahrzehnte machte. Die Paranoia, die er als einer der ersten in den Mittelpunkt rückte, sollte zum neuen Mainstream werden. Es half, dass sich sowohl in Sidney Pollacks Die drei Tage des Condor (1975), als auch in Alan J. Pakulas paranoidem 70s-Tryptichon – Klute (1971), Zeuge einer Verschwörung (1974) und Die Unbestechlichen (1976) – die größten Stars von Robert Redford über Jane Fonda bis Warren Beatty zusammenfanden.

Max von Sydow (l.) und Robert Redford in DIE DREI TAGE DES CONDOR (USA 1975),
© Arthaus/StudioCanal

US-Präsident Richard Nixon gab eine dankbare Zielscheibe für kollektives Misstrauen ab. Ahnte man seit je her, dass dem Ekel im Weißen Haus jede Schandtat zuzutrauen ist, bestätigte sich die Ahnung schon bald in der Watergate-Affäre, die in seinem Rücktritt gipfeln sollte. Dass die gesichtslosen Hintermänner vielleicht mehr Aufmerksamkeit verdienen, ahnte Francis Ford Coppola schon in seinem 1974er Glanzstück Der Dialog. Im Auftrag eines von Misstrauen zerfressenen Konzernchefs (Robert Duval im Nixon-Modus) bespitzelt Abhörnerd Gene Hackmans ein vermeintlich argloses Paar und merkt zu spät, dass er in einem Machtpoker ohne Unschuldige agiert, während aalglatte Kräfte im Hintergrund (ein verdächtig gut rasierter Harrison Ford) an der Neuanordnung der Macht arbeiten.

Gene Hackman in DER DIALOG (USA 1974), © Arthaus/StudioCanal

21 Jahre später widmete sich Oliver Stone mit Nixon 1995 der Paranoia-Symbolfigur, den Anthony Hopkins als tragischen Schurken darstellt, der weiß, welche Kräfte und Interessengruppen sich in den Schatten der Macht bewegen. Er selbst hat lang genug mit ihnen paktiert. Als er sich auf dem Höhepunkt seines Einflusses von ihnen lösen und sein politisches Lebenswerk mit Entspannungspolitik krönen will, setzt sich eine Mechanik in Bewegung, die ihn schließlich über einen drittklassigen Einbruch zu Fall bringen wird. Bei Stone wird Tricky Dick zu Richard III.

Alte Angst in neuem Antlitz

Frankenheimer, in den Siebzigern am Tiefpunkt seiner Alkoholsucht angelangt, wollte nicht in den Jubel vom besiegten Tyrannen einstimmen und sah Jahrzehnte des Terrors nahen, in denen diffuse Ängste in Form mörderischer Spektakel real werden. In seiner 1977er Thomas Harris-Verfilmung Schwarzer Sonntag braucht es längst keine Hirnwäsche mehr, um einen verkrachten Piloten (Bruce Dern) zur Umsetzung eines Anschlags auf den Superbowl zu verleiten, sondern lediglich die richtige Mischung aus Burnout und verletztem Stolz. Es war nicht die Geschichte, die die Welt im Jahr von Star Wars sehen wollte.

Wie der Held aus Der Mann, der zweimal lebte hatten sich die USA neuerfinden lassen. Es galt, zu vergessen und nach vorn zu schauen. Mit einem textsicheren Schauspieler mit gewinnendem Lächeln fand sich der richtige Mann im Weißen Haus ein, um den ungebrochenen Amerikaner vom alten Schlag zu spielen. Als Vize stand ihm ein ehemaliger CIA-Chef zur Seite. Man war wieder wer. Alte Ängste jedoch wollten nicht weichen, manifestierten sich in Form von Remakes der perfiden B-Movies der 50er. Junge Wilde wie Philip Kaufman, John Carpenter oder David Cronenberg veredelten den Trash von einst zu State-of-the-Art-Meisterwerken über Identitätsverlust (Invasion of the Body Snatchers, 1978), geistvergiftendes und körperverformendes Misstrauen (The Thing, 1982) und den Wunsch nach körperlicher Optimierung, der sich in eine Orgie aus Krankheit und Tod steigert (The Fly, 1986). Der Mann, der zweimal lebte-Darsteller Rock Hudson und Hexenjäger Roy Cohn erfuhren letzteres am eigenen Leib und wurden zu den ersten prominenten AIDS-Toten. Mainstream-Genrefilme mit misstrauischer Note wie John Badhams WarGames (1983) oder Das fliegende Auge (1983) warnten derweil vor den technischen Errungenschaften des militärisch-industriellen Sektors, erzielten beim Publikum jedoch oft nur Staunen über die neuesten High Tech-Meilensteine.

Jean Reno (l.) und Robert de Niro in RONIN (USA 1998), © MGM/20th Century Fox

Das siegreiche Ende des Kalten Krieges schien den Falken Recht zu geben. Nun sollten gute Jahre beginnen, in denen ein freier Markt eine freie Welt ordnet. Doch wohin mit der Angst, ohne die man nicht leben will? Im Actionkino der Neunziger wimmelt es von ausgemusterten Agenten, die sich als Kriminelle verdingen, oder wie in Renny Harlins Tödliche Weihnachten (1996) Terroranschläge mit Muslimen als Sündenböcken aushecken, um Bedarf für ihre Dienste herzustellen. Auch Frankenheimer hetzte in Ronin (1998) Ex-Geheimdienstler auf Ganoventour durch Frankreich.

Verschwörungstheoretiker waren sympathisch-harmlose Spinner. In Richard Donners Fletchers Visionen (1997) etwa konfrontiert Mel Gibson seine Umwelt als verschrobener Kauz mit seinen Ideen über das Treiben der Geheimdienste, was so lange witzig ist, bis echte Düstermänner vorstellig werden. Eine seiner Theorien ist wahr, doch welche? Wo laufen die Fäden zusammen? Wer mit wem? Cui Bono und wen verdächtigt Mad Mel privat? Ohne konkreten Feind starrte man in den Nineties wie Fox Mulder (David Duchovny) aus Akte X in die Sterne und hoffte, dass zumindest dort ein Schurke lauern würde. Ein schwäbischer Trash-Meister träumte bereits von der flammenden Zerstörung amerikanischer Wahrzeichen durch extraterrestrischen Terror.

Mel Gibson in FLETCHERS VISIONEN (USA 1997), © Warner Bros.

Als sich die morbiden Sehnsüchte im Herbst 2001 verwirklichten, wurde nur noch jene Form von Paranoia geduldet, die sich gegen Muslime richtete. Nicht einmal Oliver Stone wollte sich die Finger verbrennen und hatte der Gegenwart hatte weder mit World Trade Center (2006) noch dem Abschluss seiner Präsidenten-Trilogie, dem faden W. – Ein missverstandenes Leben (2008), Nennenswertes hinzuzufügen. Zumindest auf dem TV-Bildschirm schien Paranoia noch ihren Reiz zu haben, doch erschöpften sich sowohl die Gegenterror-Schlachtplatte 24 als auch die Patriot-Act-Soap Homeland in rassistisch-revanchistischen Gewaltfantasien und selbstmitleidiger Rechtfertigung totaler Überwachung.

John Frankenheimer erlebte weder den Irak-Krieg noch das 2004er Remake des Manchurian Candidate durch Jonathan Demme, das die Bedrohung des Kommunismus mit der Vermischung industrieller und militärischer Interessen austauscht. Er erfuhr nie von NSA-Überwachung. Er sah nicht, wie die Russen als Feindbild wiedererstarken, oder dass eine Hälfte der Nation der Ansicht war, sich einen „Manchurian Candidate“ im Weißen Haus gefangen zu haben. Neue Medien, Russiagate, QAnon, Pizzagate und Epstein blieben ihm erspart. Er starb 2002, 40 Jahre nachdem er die Welt mit dem guten alten Freund Paranoia vertraut macht. Seine Albträume vom Verstand des Individuums als Schlachtfeld der Demagogen sind lebendiger denn je.

Robert Cherkowski

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2022Auch der Kalender für 2023 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.