Wie gehen Filmfiguren mit einem Stromausfall um? Denis Newiak ergründet die Frage in Blackout – Nichts geht mehr am Beispiel des Films Into the Forest (2015)

Die beiden Schwestern Nell und Eva von Into the Forest (CA 2015) leben zu Beginn des Blackouts zu dritt mit dem fürsorglichen Vater in einer schmucken Waldvilla. Leider ist das Dach nicht ganz dicht, sodass es hineinregnet, und da es bald keine Arbeitsteilung und damit auch kein Handwerk mehr gibt, wird das noch zum Problem werden. Eigentlich könnte die dreiköpfige Familie den bedrohlichen Zusammenbruch der landesweiten Stromversorgung hier ganz gut aussitzen, doch es fehlt an Benzin für den Generator und für die kleine Solarzelle wurde der Umrichter noch nicht geliefert. Kleine Fehler rächen sich nun: Nell, die Medizin studieren will, hat nachts den Kofferraum offengelassen, als sie zu Beginn des bundesweiten Blackouts eine Taschenlampe aus dem Auto geholt hat – am nächsten Morgen springt der Wagen nicht an, die Batterie ist leer. Auch die Ersatzbatterie ist spannungslos und die drei sitzen in ihrer Hütte fest.

Welche Auswirkungen hat ein flächendeckender Stromausfall und wie gehen die Figuren in Filmen und Serien damit um? Hier: Die Charaktere in FIN (‘Ende’, S 2012) entdecken das Ausmaß des weltweitem Blackouts.
Aufrechterhalten gewohnter Routinen als Bewältigungsmechanismus

Nach zehn Tagen ohne Strom, als aus dem Radio nur noch Rauschen kommt, hat der Vater eine kluge, aber verhängnisvolle Idee: Er startet das Auto mithilfe des Motors einer umfunktionierten Kettensäge, aber als er diese später wieder zum Fällen eines Baums nutzen will, löst sich eine nicht ausreichend fest zugedrehte Mutter und die Kette fliegt ab. Der Vater verblutet, die Töchter bleiben trauernd allein zurück und Nell leidet schrecklich darunter, dass sie durch ihre Fahrlässigkeit mit der Kofferraumtür eine verheerende Kette von Zufällen ausgelöst zu haben scheint. Während sich Eva mit exzessivem Balletttraining (ohne Musik, nur zum Metronom) abzulenken versucht, verfällt Nell in Depressionen – nur das Lernen für die Aufnahmeprüfung, die wohl nie stattfinden wird, gibt ihr einen gewissen Halt. Als es nur noch Reis und Bohnen gibt, wird jede Erinnerung an die unbeschwerten modernen Zeiten nun zu einem Heiligtum: die letzten Kaugummis, ein Stück Schokolade – und natürlich die Videoaufnahmen von den glücklichen Tagen mit Mom und Dad, bevor sie eine schwere Krankheit trennte.

Die Schwestern Eva (Evan Rachel Wood) und Nell (Elliot Page) schwelgen in der Vergangenheit
(INTO THE FOREST, Regie: Patricia Rozema, CA 2015)

Nach Monaten des disziplinierten Verzichts opfern sie einen Teil ihrer knappen Benzinreserven, um mithilfe der Videokassette für einige Minuten die Erinnerungen an die Moderne und die verlorene Gemeinschaft aufleben zu lassen. Doch die kurzzeitige Ablenkung kann nicht davor schützen, dass allmählich die Nachmoderne in ihren zuvor geschützten Kosmos eindringt. Nach einiger Zeit taucht Nells Freund auf und erzählt von den kursierenden Verschwörungstheorien, wie es zu dem Blackout gekommen sein könnte, und von den psychisch aufgelösten Stadtmenschen, die weiterhin jeden Morgen zum Briefkasten gehen, obwohl es keine Post mehr gibt – «wie eine dissoziative Fugue», eine psychische Krankheit, erklärt Nell, bei der die Erinnerung an die eigene Vergangenheit ausgelöscht ist.

Die beiden jungen Frauen verlieren hingegen allmählich die Erinnerung an das moderne Leben, als es keine Konserven mehr gibt, im Reis die ersten Maden kriechen und Eva von einem Fremden vergewaltigt wird. Mit der Erfahrung des gesellschaftlichen Verfalls stirbt auch die Hoffnung auf eine Rückkehr zu modernen Verhältnissen. Nells Freund weckt im Mädchen zwar kurz die Abenteuerlust, mit ihm nach Osten zu ziehen, wo es angeblich wieder Strom gebe, aber im letzten Moment wendet sie sich von der Traumvorstellung ab und kehrt zu ihrer Schwester in das elterliche Haus und damit in die nachmoderne Realität zurück.

Loslösung von den nostalgischen Erinnerungen

Als Eva bemerkt, dass sie von der Vergewaltigung schwanger ist, müssen sich die beiden jungen Frauen darauf einstellen, das Kind allein und ohne moderne Hilfsmittel großzuziehen. Nell hat wieder einen Anlass, ihr Selbststudium
der Medizin aufzunehmen und sie lernen, essbare von ungenießbaren Waldpflanzen zu unterscheiden, Fleisch in Salz einzulegen und Seife herzustellen. Doch das Haus wird zunehmend vom eindringenden Regen aufgefressen, das
Holz ist morsch und Schimmel macht sich breit. Als Nell und Eva wortwörtlich die Decke auf den Kopf zu fallen droht und das Haus unbewohnbar wird, möchte Eva das Haus abfackeln: Menschen gebe es seit hunderttausenden von Jahren, Elektrizität erst seit eineinhalb Jahrhunderten. Solange sie einander hätten, könnten sie auf die vergammelte Hütte verzichten. Sie nehmen nur ein paar Decken und Bücher über das Leben in der Wildnis mit und ziehen sich in einen Baumstumpf zurück – alle Erinnerungsstücke an Früher bleiben im Haus zurück.

Als das Anwesen in Flammen aufgeht, ist der letzte Funken naiver Hoffnung auf eine Wiederkehr der Moderne endgültig überwunden, was die beiden in diesem Moment als Befreiung erleben, denn mit der Nostalgie an vergangene moderne Zeiten verschwindet auch die unbegründete Sehnsucht, dass sich die Vergangenheit zurückholen ließe. Ob die beiden die Herausforderung eines vormodernen Lebens unter freiem Himmel überstehen werden, bleibt am Ende des Films trotz eines hoffnungsvollen Untertons ungewiss, aber zumindest haben sie mit dem Ende der Moderne endlich ihren Frieden gemacht, denn es gibt sowieso kein Zurück mehr.

Denis Newiak

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