Boyz N the Hood ist im Jahre 1991 prägend für den Ghettofilm und das New Black Cinema

Dass der Begriff des New Black Cinema im Zusammenhang mit einer Reihe von Filmen, die das Leben der afroamerikanischen Bevölkerung zu Beginn der 1990er thematisierten, aufkam, kann auf mehrere sich ergänzende Weisen ausgelegt werden. So markierten diese Filme eine Abkehr von einer ersten Welle schwarzen Kinos aus den 1970ern, dem Blaxploitation-Film. Dessen Initialzündung Sweet Sweetback‘s Baadasssss Song (1971) ging zwar auf den schwarzen Regisseur und Hauptdarsteller Melvin Van Peebles zurück, viele Folgefilme waren aber von weißen Regisseuren und Produzenten gedreht worden. Außerdem war der Blaxploitation-Film umstritten, gerade beim Zielpublikum: Einerseits fanden schwarze Menschen nun verstärkt souveräne Identifikationsfiguren auf der Leinwand, andrerseits waren dies oft Drogendealer, Pimps oder Vigilanten, die Klischees über die afroamerikanische Bevölkerung ausschlachteten. Während die Coolness und der Swagger der Blaxploitation-Helden in schwarzen Action-Heroen in Werken wie Beverly Hills Cop (1984), Action Jackson (1988) und Bad Boys (1995) weiterlebten, waren diese Filme Mainstream für einen möglichst großen Massenmarkt. Das New Black Cinema erneute dagegen den Appeal des Blaxploitation-Kinos, war zudem aber auch insofern neu, als dass sich viele junge und schwarze Filmemacher daran versuchten, oft außerhalb des Studiosystems.

Der wohl bekannteste und vielleicht erfolgreichste dieser Filme ist Boyz N the Hood, das Regiedebüt John Singleton, der dafür mit 24 Jahren als bisher jüngster Kandidat und erster Afroamerikaner für den Regie-Oscar nominiert wurde. Im Zentrum des Films steht der junge Tre Styles (Cuba Gooding Jr.), der bei seinem geschiedenen Vater Furious (Laurence Fishburne) aufwächst. Seine engsten Freunde sind die Nachbarsjungen Ricky (Morris Chestnut) und Doughboy (Ice Cube), anhand derer Regisseur und Drehbuchautor Singleton typische Schicksale schwarzer Männer in Großstädten durchspielt. Ricky hat bereits in jungen Jahren Frau und Kind, Doughboy verhält sich aggressiv und verfällt zunehmend dem Reiz der Ganggewalt. Furious arbeitet im Gegenzug daran, dass sein Sohn weder durch eine zu frühe Familiengründung noch durch Vorstrafen davon abgehalten wird, sich etwas aufzubauen. Durch seinen Schauplatz ist Boyz N the Hood nicht nur ein Vertreter des New Black Cinema, sondern auch jenes Genres, das wahlweise als Hood- oder Ghettofilm bezeichnet wird.

Ice Cube (l.) und Cuba Gooding Jr. (r.) mit Regisseur John Singleton (M.)
am Set von Boyz N the Hood (1991) © Sony
Zwischen Film und Realität

Diese zu Beginn der 1990er boomende Bewegung behandelte junge Schicksale, setzte sich aber vom Teenfilm der 1980er ab, in dem es meistens um weiße Jugendliche aus der Vorstadt ging, die erste Erfahrung mit Sexualität und/oder der Suche nach dem Traumpartner bzw. der Traumpartnerin machen (Highschool-Comedys) oder von maskierten Mördern gejagt werden (Slasher). Sex, Liebe und Tod sind auch zentraler Bestandteil der Hood-Filme, doch diese sind urban, betrachten vor allem das Leben marginalisierter Gruppen und sind merklich realistischer. Vorzeitiges Ableben droht den Protagonisten nicht durch die Hand von Jason, Michael oder Freddy, sondern durch übereifrige Polizisten oder schießwütige Gangs. Gewalt ist keine Ausnahmesituation, sondern trauriger Bestandteil eines Alltags, der von Rassen- und Klassenunterschieden geprägt ist. Die Aktualität dieser Thematik wurde kurz vor dem Kinostart von Boyz N the Hood noch einmal schmerzlich bewusst, als vier weiße Cops den schwarzen Verkehrssünder Rodney King bei seiner Festnahme am 8. März 1991 schwer verprügelten. Als die Polizisten trotz eines Videos des Zwischenfalls, das die Runde durch die Medien machte, 1992 freigesprochen wurden, entlud sich die Wut der schwarzen Community in schweren Aufständen, den Los Angeles Riots.

Auch Boyz N the Hood thematisiert das Gewaltproblem in den Armenvierteln: Einige Nebenfiguren sterben, andere greifen selbst zur Waffe und werden zu Tätern. Doch Singletons Film greift weitere Themen benachteiligter Communitys auf: Die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, Drogensucht, die Vernachlässigung von Kindern, um nur ein paar zu nennen. Vor allem ist Boyz N the Hood auch das Portrait einer teilweise vaterlosen Gesellschaft, denn viele Männer haben die Familie verlassen, sind im Gefängnis oder wurden bereits getötet – viele Kids im Ghettofilm müssen bereits in jungen Jahren „der Mann im Haus“ sein. Und doch ist Boyz N the Hood gleichzeitig ein Coming-of-Age-Film, der nicht einfach nur Elend und Benachteiligung beklagt, sondern zeigt, wie Menschen mit der Situation umgehen, was sie fühlen, wovon sie träumen. Hier ist die Herkunft der Regisseure des New Black Cinema durchaus wichtig: Ihre Figuren sind nicht bloß Studienobjekte für sie, sondern sie fühlen sich filmisch in sie ein.

Von Musikvideos zu Spielfilmen

Zu den Filmemachern, die im Rahmen dieser Welle bekannt wurden, gehören auch die Zwilling Allan und Albert Hughes. Diese begannen ihre Regiekarriere mit Musikvideos für Hip-Hop-Künstler wie Tone Loc oder Tupac Shakur, ehe sie mit Menace II Society (1993) im Alter von 20 Jahren ihr Spielfilmdebüt vorlegten. Auch dieser Film ist die Studie einer schwarzen Freundesgruppe, die in den Kreis von Ganggewalt abrutscht, vor den Augen einer weißen Gesellschaft, die sie gemäß Titel eh als Bedrohung wahrnimmt. 1995 legten sie mit Dead Presidents nach, der Geschichte einer Gruppe schwarzer Vietnamveteranen, die ihrer Armut durch einen Raubüberfall entkommen wollen, der eher eine Verzweiflungstat ist. F. Gary Gray startet seine Laufbahn ebenfalls mit Rap-Videoclips und legte mit der Hood-Komödie Friday (1995) ein fast schon entspanntes Spielfilmdebüt vor, in dem es zwar auch am Rande um Kriminalität und Benachteiligung geht, sich vor allem aber auf das Rumhängen der Freunde Craig (Ice Cube) und Smokey (Chris Tucker) konzentriert.

Larenz Tate und Tyrin Turner in Menace II Society (1993) © Kinowelt

Grays zweiter Spielfilm Set It Off (1996) hingegen bringt frischen Wind ins Genre, indem er die Probleme der schwarzen Community mit weiblichen Protagonistinnen in den Blick nimmt. Vier Freundinnen schuften zu miesen Konditionen für ein Reinigungsunternehmen und leben im Ghetto, weshalb sie mit Banküberfällen die Knete für ein neues Leben verdienen wollen. Mit den Mitteln des Actionthrillers erzählt Gray die Geschichte von Armut, welche die Frauen zum Äußersten treibt und für einige von ihnen böse endet. Noch mehr Wert auf Genre legte Schauspieler Mario Van Peebles, der Sohn von Blaxploitation-Initiator Melvin, bei seinem Regiedebüt New Jack City (1991): Eine Gruppe von Polizisten versucht das Imperium des Drogen-Kingpins Nino Brown (Wesley Snipes) zu stürzen, der ganze Apartmentkomplexe in Crack-Höllen verwandelt, was nicht ohne bleihaltige Cop-Action abläuft.

Queen Latifa, Kimberly Elise, Vivica A. Fox und Jada Pinkett-Smith in Set It Off (1996) © MAWA/VLC
Einflüsse und Nachwirkungen

All diese Filme kamen bei ihrem Zielpublikum gut an, obwohl es Debatten über ihren Einfluss gab, gerade im Falle von New Jack City: In einigen Sälen zerlegte das Publikum euphorisch die Sitze, während es gelegentlich sogar zu Morden in oder vor Kinos kam, da sich auch Gangmitglieder das Crime-Epos ansahen. Während Van Peebles sein Werk als Antigangfilm verteidigte, sahen manche Kritiker das Gegenteil darin. Es mag vielleicht auch daran liegen, dass viele Gangster aus den Hood-Filmen eine Faszination ausübten, die gar nicht gewollt war, die aber auch das gewaltsame Ende dieser Filmfiguren oft nicht auslöschen konnte. Schließlich hatte sich auch Brian De Palmas Scarface (1983) zuvor als Kultfilm für die Gangsta-Rapszene erwiesen, obwohl Tony Montana am Ende als von Kugeln durchlöchertes Drogenwrack draufgeht.

Rapmusik gehörte auch zu den zentralen Einflüssen von Ghettofilm und New Black Cinema. Nicht nur hatten einige Filmemacher bereits entsprechende Videoclips inszeniert, in vielen Werken traten Künstler wie Ice-T, Tupac Shakur und Queen Latifah als Schauspieler auf, die für die nötige Street Credibility sorgten. Dabei bewiesen die Filme trotz ihrer Zielgruppe ein Crossover-Potential: Nicht nur Gangsta-Rap wurde langsam zu Mainstream, den auch weiße Vorstadtkids hörten, sondern Werke wie Boyz N the Hood, Menace II Society oder New Jack City waren dort ebenfalls beliebt. Parallel zu den Filmen über afroamerikanisches Leben in den USA fanden auch andere Werke den Weg ins Kino, die sich mit dem Leben von Minderheiten beschäftigten. Filme wie Stand and Deliver (1988), Meine Familie (1995) oder Blood In Blood Out (1993) etwa beschrieben das Leben hispanischer Communitys. Letzterer ähnelt anfangs Boyz N the Hood und dekliniert anhand dreier verwandter Chicanos, die Teil der Jugendgang Vatos Locos sind, Schicksale durch: Der erste steigt durch einen Knastaufenthalt ins organisierte Verbrechen ein, der zweite wird nach vom Gericht verordneten Militärdienst Rauschgiftfahnder und der dritte endet als drogensüchtiger Künstler.

Ein wichtiger Vorreiter des New Black Cinema war Spike Lee, der sich schon in seinen ersten Filmen wie She’s Gotta Have It (1986) und Do the Right Thing (1989) mit Klassenunterschieden, Benachteiligung und Kriminalität in afroamerikanischen Communities auseinandersetzte, oft aber mehr auf Witz und weniger auf Ganggewalt setzte als der Hood-Film, der in den frühen 1990ern das New Black Cinema dominierte. Während Lee sich und seinen Themen seine Karriere hindurch treu blieb, ebbte die Welle der Ghettofilme gegen Ende der Dekade langsam ab. Protagonisten wie Singleton, Gray und die Hughes-Brüder drehten zunehmende mainstreamigere Genrestücke, in denen man hin und wieder noch Elemente ihrer sozialkritischen Vergangenheit sah. Vielleicht ließen die Wahlsiege der demokratischen Präsidenten Bill Clinton und (nach achtjähriger Bush-Pause) Barack Obama an eine Besserung der Verhältnisse glauben. Spuren hinterließ das New Black Cinema dennoch, denn Werke wie die preisgekrönte Hit-Serie The Wire (2002-2008) vom (weißen) ehemaligen Polizeireporter David Simon sind klar von den Gesellschaftsanalysen der Hood-Filme geprägt.

Renaissance des New Black Cinema
Storm Reid und Jharrel Jerome in When They See Us (2019) © Netflix

Als jedoch Vorfälle wie der Mord an Trayvon Martin im Jahr 2012 deutlich machten, dass viele von Boyz N the Hood und Co. angesprochene Probleme immer noch nicht der Vergangenheit angehörten, beschäftigten sich wieder mehr Filmemacher mit der Thematik. In The Hate U Give (2018) wird sich eine schwarze Eliteschülerin ihrer Privilegien bewusst, als ein Jugendfreund bei einer Polizeikontrolle vor ihren Augen erschossen wird, die Netflix-Miniserie When They See Us (2019) rollt den Fall der Central Park Five auf, die aufgrund ihrer Hautfarbe fälschlicherweise angeklagt und verurteilt wurden.

Amandla Stenberg in The Hate U Give (2018) © 20th Century Fox

When They See Us-Regisseurin Averna DuVernay gehört wie Dee Rees (Mudbound) zu den afroamerikanischen Filmmacherinnen, die eine weibliche Perspektive ins schwarze Kino bringen. Auch mancher Protagonist kehrte zu seinen Wurzeln zurück wie etwa F. Gary Gray, der mit Straight Outta Compton (2015) ein sozialkritisches Biopic über die Hip-Hop-Formation NWA vorlegte, zu der auch Original-Hood-Boy Ice Cube gehörte. Während John Singleton im Kino zuletzt eher Massenware gedreht hatte, setzte er bei Fernseharbeiten verstärkt auf sozialkritische Ansätze, etwa bei der von ihm mitkreierten Serie Snowfall (seit 2017), die sich mit der Crack-Epidemie in den 1980ern und deren Auswirkungen auf urbane Communitys beschäftigt. Singleton starb am 29. April 2019 an einem Schlaganfall, aber das Erbe seines bekanntesten Werks Boyz N the Hood lebt im gegenwärtigen Kino und Fernsehen weiter.

Nils Bothmann

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2021. Auch der Kalender für 2022 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.