Kamerafrau Agnès Godard über Perspektive und Inspiration

Die am 28. Mai 1951 geborene Agnès Godard wurde für Der Fremdenlegionär mit dem Filmpreis «César» ausgezeichnete und ist vor allem durch ihre langjährige Zusammenarbeit mit der Filmemacherin Claire Denis bekannt.

«Eine Perspektive einnehmen.» – Was bedeutet das in Bezug auf Ihre Arbeit?

Agnès Godard Wenn wir über Bilder sprechen, dann dient der Begriff der Perspektive zunächst einmal dazu, bestimmte Abstandsverhältnisse zu bezeichnen. Im Falle eines Filmbildes geht es dabei um den Abstand zwischen der Kamera und dem gefilmten Objekt. Es ist der Abstand der Blickreichweite. Mit der Etablierung einer Per­spektive wird jedoch immer auch ein bestimmter Standpunkt eingenommen. Das heißt, dass beispielsweise eine weitere Entfernung vom Objekt – etwa in einer Totale – auf einen eher distanzierten Beobachter schließen lässt, während die Nähe der Kamera zum Objekt eine große Intimität erzeugt. Insofern wirkt sich die Perspektive, der Standpunkt der Kamera, unmittelbar auf den Standpunkt des Erzählers aus. Wir nehmen also immer im doppelten Sinne eine Perspektive ein, im rein technischen Sinne, aber auch im erzählerischen, inhaltlichen.

Das Kino, so sagt die Theorie, neigt zur Perspektive des Voyeurs…

Ja, das ist eine große Gefahr im Kino. Dass man die Figuren beobachtet, ohne dass sie es wissen, und man so zu einem Voyeur wird. Ich versuche, dieser Gefahr gemeinsam mit den Regisseuren, mit denen ich arbeite, immer wieder entgegen zu wirken.

Agnès Godard
(Foto: Archiv Agnès Godard)

Wie finden Sie Ihren Standpunkt? Können Sie diesen Prozess beschreiben?

Man probiert viel aus. Und man merkt an unterschiedlichen Orten, dass die Kamera unterschiedliche Geschichten erzählt. Alles hängt vom Standpunkt ab. Es gibt hunderttausend Möglichkeiten, jemanden, der einen Raum betritt, zu filmen. So viel ist sicher: Jeder einzelne dieser Wege wird einen Sinn haben wird. Man kann nicht pauschal sagen, dass es besser ist, mit der Kamera einer Figur zu folgen oder ihr vorauszugehen – beide Möglichkeiten generieren ihre eigene Bedeutung, ihren eigenen Sinn.

Gibt es Filme ohne Perspektive?

Ich glaube nicht. Denn das Bild an sich bedeutet noch nichts. Oder sagen wir lieber: Es gibt kein Bild, ohne dass ihm eine Absicht, ein Blick, ein bestimmtes Denken zugrunde liegt. Ein Bild ist immer das Resultat eines bestimmten Eindrucks, der wieder einen Ausdruck findet. Es ist ein Ausdrucksmittel. Insofern gibt es kein Bild ohne einen Standpunkt.

Keinen Standpunkt zu haben, bedeutet tot zu sein?

Zumindest einmal bedeutet es, im Nichts zu sein …

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Filmmagazins Ray

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