Nach den Atombomben-Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 entstand ein neues Genre: das Atombombenkino. Sassan Niasseri wirft einen Blick auf dessen ikonisch gewordenen Bilder.
Falls Ihnen aufgefallen sein sollte, dass die Bilder nuklearer Explosionen in vielen Filmen gleich aussehen, brauchen Sie ihre Wahrnehmung nicht zu hinterfragen. Sie täuschen sich nicht. Es sind dieselben Bilder.

Diese Abbildung (nachträglich koloriert) entstammt dem Trinity-Test 1945.
In den meisten der bis in die 1980er-Jahre gedrehten Arbeiten wird im Augenblick der Zündung und der daraus entstehenden Kettenreaktion auf vertraute Einstellungen zurückgegriffen: der Moment der Feuerballdruckwellenbildung, die alles planierende Feuerwalze und die seltsam ruhige, in ihrer Abgehobenheit vom chaotischen Bodengeschehen durchaus ästhetische Entstehung der Pilzwolke und ihre stolze, sehr widerwillige, langsame Verflüchtigung in den Himmel; ihr Stamm eine Säule aus dem Geröll und Schutt einstiger Bauten, Natur und verbrannter Menschen. Abgebildet nicht durch Spezialeffekte, sondern Doku-Material.
Bekannte Bilder
Angefangen mit The Beginning or the End (1947), über Dr. Seltsam (1964) und Zwischenfall im Atlantik (1965), bis hin zu Straße der Verdammnis (1977) oder The Day After (1983) wurde die inoffizielle Tradition der Abbildung einer Ereignisabfolge durch die immer gleichen Archivbilder über Jahrzehnte weitergetragen.
Diese Entscheidung für die Einbindung von Realbildern dürfte nicht allein auf Gründen der Kostenersparnis beruhen. Echte Aufnahmen von Militärtechnik und militärischem Personal machten Statisten und Equipment zwar überflüssig und dienten als Showcase für die U. S. Army. Der Rückgriff auf Dokus war jedoch auch der Idee geschuldet, das wahre Grauen der Atombombe zeigen zu wollen.
Oppenheimers Zweifel
In Oppenheimer offenbart der namensgebende Trinity-Chef, gespielt von Cillian Murphy, seine Angst. Er befürchtet, dass die Detonation der ersten Atombombe nicht nur den Boden des Testgebiets Jornada del Muerto zerstört, sondern zur «ultimativen Katastrophe» führt. Eine nukleare Kettenreaktion, in der die Stickstoff-Atome der Luft entzündet werden und ein prometheischer Flammenball die gesamte Atmosphäre vaporisiert, alles Leben beendet.

Diese Abbildung zeigt den 200 Meter hohen Feuerball 16 Millisekunden nach der Zündung
und entstammt dem Trinity-Test 1945.
Über die Skrupel des Physikers wird bis heute gestritten. Wie wir wissen, verwarf er seine Furcht vor der ultimativen Katastrophe, die sich im Blockbuster-Kino gut gemacht hätte, sehr schnell. Die Wahrscheinlichkeit des Endes der Welt per globalem Höllenfeuer berechnete er auf unter ein Prozent. Beruhigend, oder?
«Wir wussten, dass die Welt nicht mehr dieselbe sein würde», sagte Oppenheimer über seine Empfindungen in den ersten Sekunden nach der Trinity-Zündung. Der Nachthimmel war so hell wie die Sonne. «Ein paar Leute lachten, ein paar Leute weinten. Die meisten Menschen waren still.»
Religiöse Erleuchtungen
Das Potenzial dieser Waffe war allen Beteiligten auf Anhieb klar. In Militär-forschungsberichten, Stellungnahmen der Regierung sowie Zeitungsartikeln wurde Trinity als eines der bahnbrechendsten Menschheitsereignisse gefeiert. «Das größte Event seit der Geburt von Jesus», titelte Life.
US-Präsident Harry S. Truman beschrieb Amerika als bescheidene Nutznießerin dessen, was die Beschaffenheit des Alls frei und scheinbar vorherbestimmt im Kampf gegen böse Mächte offeriere. «Die Atombombe ist eine Nutzbarmachung der Grundkraft des Universums. Die Kraft, aus der die Sonne ihre Energie schöpft, ist auf diejenigen losgelassen worden, die den Krieg in den Fernen Osten gebracht haben.»

Diese Abbildung zeigt die durch die Druckwelle erschütterten Bäume
in der Kernwaffentestserie Operation Upshot-Knothole in Nevada, 1953.
In sein Tagebuch schrieb Truman, wohl erleuchtet nach einer Mitteilung durch den Allmächtigen: «Wir haben die schrecklichste Bombe in der Geschichte der Welt entdeckt. Es könnte die Feuerzerstörung sein, die in der Euphrat-Ära, nach Noah und seiner sagenhaften Arche, prophezeit wurde.» Sein religiöses Erlebnis sollte ihn vielleicht wie einen Kreuzritter erscheinen lassen, der für den Sieg des Guten bereit ist, über Leichen teuflischer Gegenspieler zu gehen.
Auch General Leslie R. Groves, militärischer Leiter des Trinity-Projekts und in Kinodarstellungen meist als raubauziger Wachhund Oppenheimers runtergestuft, bemühte sich um poetische Sinnbilder, allerdings ohne die Zerrissenheit seiner Gefühlslandschaft zu negieren.
«Die Auswirkungen könnten als beispiellos, großartig, schön, überwältigend und erschreckend bezeichnet werden. Nie zuvor hatte es ein von Menschenhand geschaffenes Phänomen von solch enormer Kraft gegeben. Die Lichteffekte spotteten jeder Beschreibung. Das ganze Land wurde von einem gleißenden Licht erhellt, das ein Vielfaches der Intensität der Mittagssonne hatte.
Es war golden, purpurn, violett, grau und blau. Es beleuchtete jeden Gipfel, jede Spalte und jeden Grat der nahe gelegenen Gebirgskette mit einer Klarheit und Schönheit, die nicht beschrieben werden kann, sondern die man gesehen haben muss, um sie sich vorstellen zu können. Es war die Schönheit, von der die großen Dichter träumen, die sie aber nur unzureichend beschreiben können.
Dreißig Sekunden nach der Explosion kam zuerst der Luftstoß, der hart gegen die Menschen und Dinge drückte, um fast unmittelbar darauf von dem starken, anhaltenden, Ehrfurcht gebietenden Gebrüll gefolgt zu werden, das den Jüngsten Tag ankündigte und uns spüren ließ, dass wir, wir mickrigen Dinge, blasphemisch sind, wenn wir es wagen, uns an den Kräften zu schaffen zu machen, die bisher dem Allmächtigen vorbehalten waren. Worte reichen nicht aus, um denjenigen, die nicht dabei waren, die physischen, mentalen und psychologischen Auswirkungen zu vermitteln. Man muss es selbst erlebt haben, um es zu begreifen.»
(General Leslie R. Groves)
Welcher Filmemacher mit dem Wunsch, den Trinity-Test zu visualisieren, würde nicht vor diesen Worten einknicken – und sich gleich danach der Herausforderung
stellen wollen?
Robert Lewis, Co-Pilot der Enola Gay, war der erste Amerikaner, der die Kernwaffe nicht auf Testgebiet, sondern über der Großstadt Hiroshima explodieren sah, in 600 Metern Höhe. Er bemühte sich nicht um Erleuchtungsmetaphern. Er war nicht ergriffen. Er sagte: «Mein Gott, was haben wir getan.»
«Lediglich eine weitere Waffe»
Bekannter als Lewis’ Entsetzen wurden die unzähligen, bis an sein Lebensende zu Protokoll gegebenen Beteuerungen Trumans, wegen Hiroshima und Nagasaki keine schlaflosen Nächte verbracht zu haben. Sein Mantra wurde zur Staatsdoktrin. «Die Atombombe war keine ‹große Entscheidung›. Sie war lediglich eine weitere mächtige Waffe im Arsenal der Rechtschaffenheit», sagte er 1953, im letzten Jahr seiner zwei Amtszeiten währenden Präsidentschaft.
Im Jahr 1963 schob Truman im Ruhestand hinterher, was auch manche Historiker zur Verteidigung der Abwürfe vorbringen: «Ich wusste, was ich tat, als ich den Krieg beendete, der eine halbe Million junger Menschen auf beiden Seiten getötet hätte, wenn diese Bomben nicht eingesetzt worden wären. Ich bereue es nicht und würde es unter den gleichen Umständen wieder tun.» Truman sprach von Hunderttausenden gefallener Soldaten, die eine Invasion nach sich gezogen hätte.
Eine menschenverachtende Argumentation. Nach Abwurf beider Bomben in Hiroshima und Nagasaki sind nur wenige Soldaten gestorben – dafür aber Hunderttausende Zivilisten.
Sassan Niasseri
Ein gekürzter Auszug aus DEFCON 1: Die Geschichte des Atombombenkinos.
Wie Hollywood die Atombombenabwürfe filmisch darstellte, wie sich diese Darstellungen entwickelten und wie somit ein gänzliche neues Filmgenre entstand, können Sie im Buch nachlesen.

Und hier schreibt Sassan Niasseri über die Entstehung seines Buches über Zombiefilme.
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