Sassan Niasseri über die Arbeit an seinem Zombie-Buch Shoot `em in the Head
Ich hatte mein Konzept fertig, die ersten Interviewpartner schon im Sinn. Also: Zombies, let‘s go! Und dann … hat meine Verlegerin mächtig Druck aufgebaut. Sie tat es, ohne es zu ahnen. Denn mit dem Okay, dieses Buch bei ihr veröffentlichen zu können, äußerte sie auch einen Wunsch, den ich als grundsätzliches Kompliment verstehen möchte: »Können wir also gerne umsetzen. Wenn es denn in einem Ton geschrieben ist, der genauso humorvoll ist, wie der in Ihrem Buch davor.« Zweimal las ich ihre Antwort. Ich schrieb ihr nicht zurück. Ich starrte für einige Minuten auf meinen Bildschirm. Als meine Frau Stunden später von der Arbeit nach Hause kam, wartete ich schon an der Tür: »Ines, es könnte ein Problem geben.«
Frau Schüren, falls ich Sie enttäuscht haben sollte – es tut mir leid! Sie wollten mich ja ermuntern. Ich verspürte nicht etwa nicht jenen Druck, der aus Angst entsteht, ein Buch zu schreiben, das ohne jeden Witz daherkommt. Ich scheute mich schlicht davor, ihnen zu sagen, dass ich keinesfalls plante, belustigt, also in Wirklichkeit professionell distanziert, über Zombies zu schreiben. Zombies sind für mich eine todernste Angelegenheit. Ich bin 47 Jahre alt.
Mein erstes Buch im Schüren Verlag, A Lifetime Full of Fantasy: Das phantastische Kino – Aufstieg, Fall und Comeback, behandelte meine Träume. Shoot `em in the Head – eine Film- und Seriengeschichte der Zombies behandelt meine Albträume. Der Antrieb, ein Buch zu schreiben, ob Fiktion oder Sachbuch, hängt immer mit Kindheitserlebnissen zusammen, die uns zu dem machen, was wir sind. Kein Autor sollte etwas anderes behaupten.
Ich machte mich an die Arbeit. In meinem Buch versuchte ich die Faszination der Menschen für Untote zu ergründen, ich bespreche die wichtigsten Filme und Serien, und ich habe mich sehr darüber gefreut, sehr wichtige Protagonisten des Zombiekinos für Gespräche gewonnen zu haben. Ich interviewte Judith O’Dea, die erste Hauptdarstellerin in einem Zombiefilm (Night of the Living Dead), die ersten ‹Girls with Guns› des Zombiekinos (Gaylen Ross aus Dawn of the Dead und Lori Cardille aus Day of the Dead), ich interviewte Schwarze Helden des Zombiekinos (Terry Alexander und Eugene Clark), und besonders begeistert hat mich, dass John A. Russo Zeit für ein Gespräch hatte.
Der 1938 geborene Drehbuchautor, Schriftsteller und Regisseur gilt als Erfinder des fleischfressenden Zombies. Davor waren Zombies keine Carnivoren, sie waren abkommandierte Knechte. Gäbe es Russo nicht, hätte sein Freund George A. Romero wohl kaum 1968 Die Nacht der lebenden Toten erfinden können. Dass ich mein Buch mit Interviews andicken konnte, die ich in meiner Tätigkeit als Redakteur für den ‹Rolling Stone› führte (ein Set-Bericht von den Dreharbeiten zu Z Nation in Spokane, ein Gespräch mit Matthias Schweighöfer zu Army of Thieves) war für mich Bestätigung genug, dass die schlurfenden Leichen längst Einzug in die Popkultur gefunden haben.
Alles in allem also genug Material, um sich der Frage zu widmen, warum Zombies die heute beeindruckendsten Geschöpfe des Horror-Genres sind, weit vor Vampir und Werwolf. Die Menschen, die ich interviewte, sagten lauter kluge Sachen. Sie sprachen von atavistisch begründeten Ängsten, die Frage nach einem Leben nach dem Tod, die Frage, ob wir nicht längst schon Untote sind, gefangen in Konsumversprechen, verändert durch Pandemien, enttäuscht von den Verheißungen der Religionen, die uns ein wunderschönes Leben im Jenseits versprechen. Ich habe viel von diesen Menschen gelernt. Sie sind Filmschaffende, von denen die meisten schon über 70 Jahre alt sind, und die mit großem Ernst über eine Filmgattung reden, in der Blut spritzt, weil Köpfe platzen. Sie sind keine Nerds. Sie sind Philosophen. Sie nahmen die Filmrollen nicht etwa an, weil es nichts anderes für sie gab. Sie nahmen die Rollen an, weil sie etwas über das Leben erfahren wollten, indem sie gegen den hungrigen Tod kämpften, obwohl der Kampf aussichtlos erscheint.
Und dennoch, schon im ersten Interview, das ich selbst für Shoot `em in the Head gab, war weniger mein Rechercheaufwand für das Buch, die vielen Gespräche mit Zombie-Koryphäen, sondern vor allem ein Satz aus meinem Nachwort von großem Interesse: »Wenn es nachts an meiner Haustür scharrt, denke ich nicht an Einbrecher. Ich denke an Zombies«. Ich schreibe in Shoot `em in the Head nur wenig über meine Empfindungen, die Ich-Form ist mir als Journalist sowieso ein Gräuel. Aber ich nehme dem Reporter diese Fokussierung auf meine Person, ausgelöst durch meine persönliche Mitteilung im Nachwort, keinesfalls übel. Er hat mir zugetraut, dass meine Fantasie derart groß ist, dass ich an Menschen, die nach ihrem Tod wieder anfangen zu leben, tatsächlich glauben könnte. Das meint, wenn ich mir gegenüber diese großzügige Deutung an den Tag legen darf, vielleicht eine transzendentale Leistung, zu der ich in den Augen eines anderen fähig bin.
Auf die Frage, warum uns bestimmte irrationale Vorstellungen ängstigen, habe ich noch keine einzige befriedigende Antwort gelesen. Jedenfalls nicht von Wissenschaftlern. Was Freud schreibt, ist ein Witz. Fragen Sie stattdessen mal Kinder, ihre Antworten sind die besten. Nie würden sie sagen: »Ich weiß schon, dass es die eiskalte Hand, die nachts nach meinem Fuß greift, nicht gibt.« Sie gehen davon aus, dass es Monster eben doch gibt – und fragen sich stattdessen, was sie zur Gefahrenabwehr tun könnten. Nichts können sie tun. So sehen echte Antworten aus. Denn man kann, das ist keine Frage des Alters, gegen diese Ängste schlichtweg gar nichts tun.
Deswegen dreht sich mein Buch auch nicht um die Frage, warum Zombies Angst machen könnten. Sie drehen sich um die Frage, für welche Art Ängste sie stehen. Für mich ist die Frage einfach zu beantworten, und ich möchte hier aus meinem Text zitieren: Der Untote macht mir Angst, weil er der Tod ist, von dem wir wissen, dass er uns ereilt, obwohl er noch weit entfernt ist – nicht nur buchstäblich, gemessen in räumlicher Distanz. Sinnbildlich steht er für das langsame Fortschreiten der Zeit und damit für unseren gemächlichen, aber kontinuierlichen Alterungsprozess. Wir wissen, dass wir sterben, aber das ist noch lange hin. Hoffen wir. Wir blenden den natürlichen Tod aus, so wie wir den Zombie ausblenden. Der Schlurfer ist der Tod durch Altersschwäche oder all die unzähligen Krankheiten, die uns im höheren Alter befallen. Er quält sich, mit jedem Schritt, wie ein Greis am Ende seines Lebens. Der langsame Zombie steht für den Tod, an dem die meisten Menschen – in unserer Gesellschaft – sterben. Mit der Ignoranz dieses schleichenden Todes behaupten wir unsere Unsterblichkeit.
Wir sind aber nicht unsterblich.
Einige der Menschen, die mein Buch vorab lasen, konnten an vielen Stellen lachen. Ich habe die Hoffnung, dass Frau Schüren, als sie meinen Text las, wenigstens ein einziges Mal was zum Lachen hatte.
Vielleicht lachen manche gar nicht über den Stoff, aus dem die Albträume sind, sondern über mich. Das würde mich gar nicht stören. Das würde mich, wenn ich ehrlich bin, sogar freuen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Wer zuerst preppt, preppt aber auch am besten. Ich bin vorbereitet.
Und ich verspreche hoch und heilig: Wenn mir beim nächsten Buch der Wunsch nach einem bestimmten Ton nicht behagt, dann protestiere ich sofort. Falls ich nicht plötzlich Angst davor bekomme.
Sassan Niasseri
Mehr von Sassan Niasseri? Hier kommen Sie zum Gespräch bei Deutschlandfunk Kultur.
Und hier geht es zum Zombie-Special des Podcasts “Freiwillige Filmkontrolle”.
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