Einführungsvortrag von Denis Newiak zum Film World War Z (2013) im Rahmen der DFF-Ausstellung Katastrophe

Der Vortrag fand zur Finissage der Ausstellung am 22. Mai 2022 statt. Einen Auszug des Vortrags können Sie hier lesen, den kompletten Vortrag gibt es auch als Video auf YouTube.

Mein Name ist Denis Newiak, ich bin Film- und Fernsehwissenschaftler aus Potsdam und forsche zu Katastrophenszenarien in Kino und Fernsehserien. Dabei interessiert mich, ganz allgemein formuliert, insbesondere die Frage, was uns diese desaströsen filmischen Kunstwerke über den Zustand unserer Gegenwartsgesellschaft verraten können: Warum entstehen heute so viele von diesen wütenden und anarchischen, oft pessimistischen und verstörenden Werken? Woher kommt die große Lust an der filmischen Katastrophe – und was können wir durch sie über die krisengeplagte soziale Realität lernen?

Denis Newiak im DFF – Deutsches Filminstitut und Filmmuseum Frankfurt
Zombies und weitere Krisen

In World War Z hat sich der ehemalige UN-Interventionsexperte Gerry, verkörpert vom unverwüstlichen Brad Pitt, aus dem aktiven Dienst zurückgezogen – zugunsten einer neuen Profession: Als Hausmann erwarten ihn statt Geschossen und Bomben nur Pancakes und verkrustete Teller, die die Kinder wieder nicht zum Einweichen in die Spüle gestellt haben. Da bekommt er sichtlich doch fast ein wenig Sehnsucht nach einem neuen Auslandseinsatz, und der lässt natürlich nicht lange auf sich warten. Dem Familienglück werden nicht einmal 120 Sekunden gegönnt, denn schon auf dem Weg in die Schule wartet Unheil: Gerade stand die Familie, so wie wohl jeden Tag, noch gemütlich im morgendlichen Stau von Manhattan, und schon im nächsten Moment fliegen Autos durch die Gegend, Scheiben zersplittern zum Geschrei der Menschen, und die eben noch so friedliebenden Mitbürgerinnen und Mitbürger fangen an, einfach alles und jeden zu weg- und zerbeißen, bevorzugt andere Mitmenschen. Der Film signalisiert unmissverständlich, dass der kleinbürgerlichem Familie wie auch der spätmodernen Welt insgesamt unruhige Zeiten bevorstehen dürften.

Inmitten der Katastrophe: Die Kleinfamilie, bestehend aus Brad Pitt, Mireille Enos, Abigail Hargrove und Sterling Jerins, WORLD WAR Z, © Paramount

Mit dem Film habe ich mich in den letzten Jahren wissenschaftlich zwei Mal ausführlicher auseinandergesetzt. Unter dem Eindruck der Ereignisse vom März 2020 publizierte ich kurz nach Beginn der Corona-Krise im Schüren Verlag eine Studie mit dem Titel Alles schon mal dagewesen: Was wir aus Pandemie-Filmen für die Corona-Krise lernen können. Beruflich wie auch privat gehöre ich wohl zu den treuesten Abnehmern von Katastrophen-Filmen und -Serien und fühlte mich natürlich direkt erinnert an die unzähligen Seuchen-Szenarien, die mir schon über den Weg liefen. Während man in der Politik etwa noch im April 2020, also in der Hochphase der Krise, den Alltagsnutzen von Filtermasken in Abrede stellte, erinnerte ich mich an die Figuren aus den Virus-Klassikern 12 Monkeys und Outbreak von 1995. Auch wenn dort die Situation, das sei dem Kino erlaubt, natürlich etwas dramatischer (eben apokalyptischer) als in der Realität war, musste es doch einen Grund gehabt haben, warum die Masken hier und auch sonst im Genre zur wichtigsten Requisite gehören. Viele andere Aspekte der Krise, die in der Fiktion schon lange zuvor erahnt und visualisiert wurden, ereilten uns dann auch im echten Leben: Sporthallen wurden, wie in Contagion, zu Notkrankenhäusern umgewandelt, panisch deckten sich die Leute in letzter Sekunde mit Vorräten ein, so wie auch in World War Z, und immer wieder rutschten, bis heute, die Masken von den Nasen, so wie in der argentinischen Pandemie-Satire Phase 7. Irgendwie hatte ich das mulmige Gefühl, man hätte das alles wohl wissen können, vielleicht reagierten auch gerade wegen der popkulturellen Präsenz von Pandemien viele Menschen auch erstaunlich ruhig, als wir dann in der Realität mit ihr konfrontiert waren. Heute wissen wir: Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können, und das will was heißen.

Katastrophen als Teil der modernen Lebensrealität

Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Katastrophen gehören zur modernen Lebensrealität unweigerlich dazu. Flugzeuge stürzen manchmal ab, Atomkraftwerke explodieren gelegentlich und gefährliche neue Erreger werden sich auch in Zukunft rasend schnell über dem Erdball verteilen. All das lässt sich vielleicht im Einzelfall, aber nicht grundsätzlich verhindern, solange man das moderne Leben nicht als Ganzes in Frage stellen will. Katastrophenforscher Wolfgang Bonß hatte beschrieben, dass die Moderne zu „exponentiell steigenden, industriell erzeugten Katastrophenpotentialen“ neige (Bonß 1995, 11), da „die wachsenden Möglichkeiten mit einer nicht vorgesehenen Zunahme von Unsicherheit und Uneindeutigkeit erkauft“ werden müssten (Bonß 1995, 22). Überspitzt formuliert: Das komfortable, zügige und anregungsreiche Leben in der globalisierten Spätmoderne ist wohl nur zu haben, wenn man hin und wieder bereit ist, eine verheerende Katastrophe wie eine Virus-Pandemie eben hinzunehmen.

Denis Newiak im DFF – Deutsches Filminstitut und Filmmuseum Frankfurt

Das verdammt uns aber nicht dazu, tatenlos zu bleiben, im Gegenteil. Trotz der verstörenden Erfahrungen, die solche Krisen mit sich bringen, haben wir zwar gelernt, die Katastrophenpotentiale unserer Zeit zu verdrängen, um in ihr irgendwie weiterleben zu können. Das geht aber nur solange gut, wie das Unglück nicht eingetreten ist. Wenn dann aber doch das Unaussprechliche passiert, stehen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft schnell dumm da.

Pandemien sind eine perfide Angelegenheit: Sie entstehen scheinbar aus dem Nichts und treten wie aus heiterem Himmel auf, während die gefährlichen Viren selbst nicht direkt wahrnehmbar sind und ihre Gefährlichkeit sich nur mittelbar durch die tragischen Folgen zu erkennen geben. Filme hingegen haben schon lange vor der Corona-Pandemie dieser unsichtbaren Gefahr eine unmittelbar wahrnehmbar, plastische Gestalt verliehen – und damit zum einem wachsenden kollektive Bewusstsein von der Fragilität moderner Normalität beigetragen.

Der Stromausfall als Szenario in Fiktion und Realität

Seit einiger Zeit nun habe ich mich einem anderen und doch ganz ähnlichen Krisenpotential gewidmet: Ein Jahr lang habe ich dutzende Stromausfall-Serien und -Filme geschaut, Expertengespräche geführt und Analysen vorgenommen für ein aktuelles Buchprojekt mit dem Titel Blackout – nichts geht mehr: Wie wir uns mit Filmen und TV-Serien auf einen Stromausfall vorbereiten können. Anfang letztens Jahres hatte sich noch kaum jemand mit der Frage befasst, was wohl passiert, wenn der Strom weg wäre – nicht mal für ein paar Minuten in der Nachbarschaft, sondern für mehrere Tage, landesweit. Inzwischen hat es das Thema „Blackout“, nicht zuletzt aufgrund der Ukraine-Krise, in die Abendnachrichten geschafft. Wenn ich allerdings etwas aus meiner Arbeit an dem Buch gelernt habe, dann die traurige Gewissheit, dass die meisten Industrienationen auf einen Blackout noch schlechter vorbereitet sind als wir es Anfang 2020 auf eine Pandemie waren. Das totale Deja-vu.

Und damit stand wieder World War Z auf meiner Watchlist, denn Pandemien führen in Film und Fernsehen fast immer auch in einem Blackout. Klar, Zombies sind eben nicht dafür bekannt, Brennstoffe zu transportieren, Kraftwerke zu steuern und Stromleitungen zu warten, das weiß man schon seit den 70ern, als die Untoten im Kino allmählich populär wurden. Andreas Busche nennt die Zombies in einer Besprechung von World War Z für die Zeitschrift epd Film den „Underdog“ des Horrorgenres: Seit der US-amerikanische Kult-Regisseur George Romero mit seiner Nacht der lebenden Toten 1968 die lebendigen Toten auf die Leinwand holte, ist der filmische Siegeszug der entseelten Menschenkörper nicht mehr aufzuhalten: angefangen beim Dawn of the Dead über 28 Days Later bis hin zur Satire-Reihe Zombieland, ganz zu schweigen von der Inflation der Untoten-Serien auf den Streaming-Portalen. World War Z wiederum basiert auf einem Horror-Roman von Max Brooks aus dem Jahr 2006 mit dem charmanten Titel „Operation Zombie: Wer länger lebt, ist später tot“. Drei Jahre zuvor hatte er seinen inzwischen zur Genre-Bibel aufgestiegenen satirischen „Zombie Survival Guide“ unter die Leute gebracht, Untertitel: „Überleben unter Untoten“, ein Überlebensratgeber mit vielen hilfreichen, nicht ganz ernstzunehmenden Tipps im Kampf gegen die entseelten Ungeheuer.

Zombie-Showdown in WORLD WAR Z (2013), © Paramount

Die von allen guten Geistern verlassenen Untoten scheinen als Generalmetapher zu funktionieren, wahlweise für die Angst vor den von ihnen verkörperten amoralischen und hemmungslos egoistischen Kräften, die die Moderne von innen heraus zersetzen, oder für die Ungewissheit der zukünftigen Gefahren, die im 21. Jahrhundert noch auf uns zukommen könnten. Oder, wie Regisseur Marc Forster in einem Interview zu bedenken gab, mutieren wir vielleicht sogar gerade selbst? Zitat: „Ich habe das Gefühl, dass wir uns gegenüber unserer Umwelt immer mehr wie Zombies verhalten. Unser Bewusstsein wird zunehmend eingeschränkt. Wir beschäftigen uns länger mit unseren elektronischen Geräten als mit unseren Mitmenschen. Wir kommunizieren kaum noch direkt miteinander und gehen zueinander auf Distanz.“ – Verwandeln wir uns etwa im Moment selbst in geistlose einsame Gestalten, die die Welt achtlos geradewegs in die Klimakatastrophe steuern?

Katastrophenfilme als Selbsttherapie?

Jedenfalls muss es Gründe haben, warum auch Sie heute Abend hier bei uns sind. Jörg Schiffauer griff in einer Kritik von World War Z in der Filmzeitschrift Ray eine häufig bemühte Erklärung für die Popularität von Katastrophenfilmen auf: Es sei „die Angst vor dem Verlust der gewohnten Ordnung und der vertrauten Dinge“. Man könnte sagen: Das Kino dient der selbsttherapeutischen Konfrontation mit dem kollektiven Trauma der Vergänglichkeit unserer so liebgewonnenen Moderne. Zugleich jedoch, davon bin ich überzeugt, dienen uns Science-Fiction-Filme eben auch als Wissensreservoir für den Umgang mit herausfordernden Lebenssituationen. Wir wissen zwar, dass wir wohl im Laufe unseres Lebens nicht mit einer Zombie-Apokalypse konfrontiert sein werden – und doch leisten Film und Fernsehen einen wesentlichen Beitrag zur makrosozialen Kommunikation von Verhaltensnormen, sprich: Filmische Werke erlauben uns, mit den Herausforderungen des modernen Alltags gescheiter, auch vorausschauender umzugehen, und sei es, dass wir halt zu Hause bleiben, wenn es draußen drunter und drüber geht.

World War Z ist bestimmt kein Streifen, der die Filmgeschichte umschreiben wird: Zu stereotyp sind die Figuren gezeichnet, allen voran der liebende Familienvater, der Ehefrau und Kinder auf einem Flugzeugträger in Sicherheit bringt, bevor er mal eben ganz allein die Welt retten geht und als Lohn für seine Mühen gerade mal eine Dose Pepsi akzeptiert; zu wenige Atem- und Denkpausen gönnt einem der Film, als wollte er verhindern, dass wir nur für einen Augenblick gelangweilt sind; zu viel wurde sogar nach dem Editing nochmal mit einem halben Dutzend Autoren am Drehbuch gebastelt und monatelang nachproduziert, bis am Ende ein ziemlich konstruierter Showdown stand. Und doch ist es ein Film, der trotz des ernsten Titels auch ein bisschen Spaß machen darf, der für die große Leinwand gemacht ist und ins Kino gehört, ganz besonders in das Begleitprogramm der DFF-Ausstellung „Katastrophe – was kommt nach dem Ende?“.

Am Ende des Films heißt es: „Der Kampf ist noch nicht vorbei. Seien Sie auf alles vorbereitet.“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun eine gute, lehrreiche Projektion, und bitte bleiben Sie gesund! Film ab!

Denis Newiak

Teile des Vortrags stammen aus Denis Newiaks Buch Blackout – Nichts geht mehr.

Erfahren Sie mehr über Denis Newiak auf seiner persönlichen Homepage.

zitiert aus: Bonß, Wolfgang (1995): Vom Risiko. Unsicherheit und Ungewissheit in der Moderne. Hamburg: Hamburger Edition.