1982 bringt Poltergeist den Spukhausfilm in die amerikanische Vorstadt
In seinem Text Das Unheimliche beschreibt Siegmund Freud die Grundlage jenes Grusels, der dem Spukhausfilm zugrunde liegt: Unheimliches entsteht, wenn die beiden Bedeutungen vom «heimlich», also das Heimelige und das Verborgene, ineinander fallen. Immer wieder wird das Eigenheim ungemütlich, weil sich die nicht nur metaphorischen Geister der Vergangenheit bemerkbar machen. Dieses Genre hat eine lange Tradition in Literatur und Film, von Henry James‘ Novelle Turn of the Screw (1898) über Shirley Jacksons Roman Spuk in Hill House (1962) bis zu dessen erster Verfilmung Bis das Blut gefriert (1963). Was viele Vertreter des Spukhausfilms vor Poltergeist auszeichnet, ist ihre Gothic-Anmutung: Fast immer sind es alte Landhäuser, verlassene Villen oder kleine Schlösser, Orte mit Tradition und abseits der modernen Stadt, an denen das geisterhafte Böse zuschlägt. Amityville Horror (1979) brachte das Grauen um üble Geister, die Menschen zum Mord an der eigenen Familie treiben, zwar schon in das Städtchen Amityville im Bundesstaat New York, wirkt aber so traditionell bis altbacken, dass er sich nicht nur drei Jahre, sondern merklich älter als Poltergeist anfühlt.
Der 1982er-Hit basiert auf dem Drehbuch Night Skies, das mal als Sequel zu Steven Spielbergs Science-Fiction-Blockbuster Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) gedacht war. Obwohl Night Skies nie in seiner ursprünglichen Form zustande kam, lieferte das Material die Grundlage für gleich zwei Kassenerfolge in jenem Jahr: Poltergeist und der von Spielberg höchstselbst inszenierte E.T. – Der Außerirdische. Letzterer erzählt die Begegnung mit dem Unbekannten als Sci-Fi-Märchen für die ganze Familie, zeigt den außerirdischen Fremden als Freund, den man bisher noch nicht getroffen hatte. Poltergeist, von Spielberg produziert und von Tobe Hooper inszeniert, wirkt wie ein fieses Gegenstück: Die Gespenster sind hier alles andere als wohlwollend, die zentrale Kindsfigur Carol Anne (Heather O’Rourke) schließt keine Freundschaft mit ihnen, sondern wird von ihnen entführt.
Spielberg war vertraglich an E.T. gebunden, wählte daher Hooper für den Regieposten aus, brachte sich als Produzent aber sehr stark ein, weshalb die Autorenschaft von Poltergeist bis heute umstritten ist. Vielen gilt Spielberg als heimlicher zweiter Regisseur des Films, für den Hooper nur ein Erfüllungsgehilfe war. Verschiedene Cast- und Crew-Mitglieder haben unterschiedliche Ansichten dazu, wie sehr sich jeder der beiden behaupten konnte. Eines kann man sicherlich nicht verleugnen: Poltergeist zeigt klaren Spielberg-Touch, vom Fokus auf die amerikanische Mittelklassefamilie bis zum allgegenwärtigen Star Wars-Merchandise in Form von Postern, Spielzeugen und Bettwäsche – der Space Opera von Spielberg-Kumpel George Lucas wird in Spielbergs Filmen oft Tribut gezollt, man denke nur an den Yoda in der Halloweenszene von E.T. oder die Piktogramme von R2D2 und C-3PO in Jäger des verlorenen Schatzes (1981).
In Poltergeist ist es im Gegensatz zum traditionellen Geisterhausfilm kein altehrwürdiges Anwesen mit jahrzehntelanger Geschichte, sondern ein relativ neues Durchschnittshaus in einer am Reißbrett geplanten Vorstadtsiedlung, in dem der Spuk beginnt. Vater Steve (Craig T. Nelson) arbeitet für jene Firma, welche das Areal mit immer neuen Bauten erweitert, Mutter Diane (JoBeth Williams) geht in der Hausfrauenrolle auf, ergänzt wird das Paar durch drei Kinder und den Familienhund. Am liebsten geht Familie Freeling der vielleicht amerikanischsten aller Freizeitbeschäftigungen nach, dem Fernsehen. Mit dem Nachbarn liefert sich Steve einen Kleinkrieg, da beider Fernbedienungen auf der gleichen Frequenz senden und so der Footballabend mit den Kumpels gestört ist, schon zum Frühstück läuft das Zweitgerät in der Küche und abends pennen die Familienmitglieder gern mal vor der Glotze ein, ehe zum Sendeschluss die amerikanische Nationalhymne «Star-Spangled Banner» läuft. So könnte man es auch beinahe für gelerntes Verhalten halten, wenn Carol Anne nachts vor dem flimmernden, gar kein Programm mehr sendenden Bildschirm sitzt. Doch in Poltergeist kommt das Böse aus dem Fernseher, die Übelwichte sprechen durch das Gerät mit dem Mädchen. «They’re heeeere», verkündet Carol Anne dem verdutzten Rest der Familie.
Uramerikanische Gesellschaftssatire
Nicht nur das Einfallstor der Geister ist uramerikanisch, ihre Opfer sind es auch. Eine Mittelklassefamilie mit kleinen Ausschlägen Richtung Liberalismus und Konservatismus: Diane kifft abends im Bett, während Steve eine Reagan-Biographie liest. Die ersten Anzeichen des Übernatürlichen werden nicht mit Panik, sondern mit belustigter Neugier registriert, wenn Stühle von allein durch die Gegend rutschen. Erst als ein Baum beinahe Robbie (Oliver Robins) auffrisst und Carol Anne durch ein Dimensionstor im Wandschrank verschwindet, ist Schluss mit lustig. Uramerikanisch ist auch das System, in dem sich all das abspielt: Als Steve immer mehr zum Wrack wird, die Entführung der Tochter durch Geister aber dennoch vor seinem Arbeitgeber verheimlicht, bietet ihm die Firma ein besseres Eigenheim zum Spottpreis an, da sie Angst vor seiner Kündigung hat und ihren besten Immobilienverkäufer nicht verlieren will.
Poltergeist ist nämlich kein reiner Spukhausfilm, sondern auch eine Gesellschafts- und Kapitalismussatire. Schon in Spielbergs Der weiße Hai (1975) verweigerten sich die Stadtoberen der Schließung der Strände trotz wiederholter Hai-Angriffe, aus Angst um die Tourismusindustrie, in Hoopers Texas Chainsaw Massacre (1974) war es der industrielle Fortschritt, der die ländliche Schlachtersippe erst überflüssig und dann zu kannibalistischen Killern machte. In Poltergeist ist das Gewinnstreben von Steves Arbeitgebern die Wurzel allen Übels: Die Firma hat einen auf dem Land befindlichen Friedhof nicht wie versprochen komplett umgepflanzt, sondern nur die Grabsteine versetzt, und nun wollen die Toten Rache. Auch dies ist ein Unterschied zum klassischen Spukhausfilm: Sind die Geister dort meist von persönlichen Schicksalen angetrieben, so nehmen wenden sich hier nun die Opfer des Raubtierkapitalismus gegen dessen vermeintliche Repräsentanten. Auch Stanley Kubricks Shining (1980) bot als eine von vielen möglichen Interpretationen die Heimsuchung eines amerikanischen Tourismusdomizils durch indianische Rachegeister an, wesentlich wahrscheinlicher erschien jedoch hier, dass es eher der Geist aus der Flasche war, der den Alkoholiker Jack Torrance zu Gespenstersichtungen und Mordslust trieb.
In Poltergeist trifft ein Team von Parapsychologen die Unterscheidung zwischen einer Heimsuchung, die ein Haus befällt, und einem Poltergeist, der bestimmte Personen heimsucht – für das Genre macht es freilich keinen Unterschied, denn das Heim der Freelings ist der beinahe einzige Handlungsort von Poltergeist. Im Kino spielte der Film das Zwölffache seines Budgets von 10 Millionen Dollar ein. Es folgten zwei qualitativ schwächer werdende Sequels. In Poltergeist II – Die andere Seite (1986) werden die Freelings erneut von Geistern attackiert und erfahren, dass auf dem Grund und Boden ihres früheren Domizils ein Massenselbstmord von Kultisten stattfand, deren Anführer es nun auf Carol Anne abgesehen hat. Das Mädchen lebt in Poltergeist III – Die dunkle Seite des Bösen (1988) bei Onkel und Tante in einem High-Tech-Wolkenkratzer, der von den Geistern jedoch genauso heimgesucht wird wie die Häuser in den Vorgängern. Noch weniger Eindruck hinterließen die Nineties-TV-Serie Poltergeist – Die unheimliche Macht sowie das Poltergeist-Kino-Remake von 2015, über das schon zum Kinostart keiner mehr sprach.
Das Vermächtnis von Poltergeist
Wesentlich interessanter als die offiziellen Nachfolger von Poltergeist ist sein Vermächtnis für das Genre. Die Tricks von Industrial Light & Magic (ILM) setzten Maßstäbe in einem aufziehenden Jahrzehnt der Effektfilme. Der Smash-Hit Ghostbusters (1984), dessen Spezialeffekt ebenfalls von Poltergeist-Effektguru Richard Edlund stammen, kann als Seelenverwandter gelten, auch wenn die Mischung aus Horror und Komödie dort wesentlich mehr auf Comedy und Budenzauber setzt und den Gruselfaktor deutlich herunterfährt. Denn Poltergeist ist bei all seinen Gags immer noch ein waschechter Horrorfilm, der seine eigene «Urban Legend» von der verfluchten Franchise erhielt: Gleich vier Darsteller starben um die Starts der Filme herum. Dominique Dunne, die im Erstling die älteste Freeling-Tochter spielt, wurde 1982 von ihrem Ex-Freund getötet. Julian Kane, der Schurke aus Poltergeist II, erlag noch vor Filmstart seinem Luftröhrenkrebs, während Will Sampson, der den indianischen Helfer im gleichen Film gibt, 1987 an Komplikationen bei einer schwierigen Herz-Lungen-Operation starb. 1988 kam dann auch noch Heather O’Rourke durch einen Herzstillstand infolge einer bakteriellen Infektion zu Tode. Auch wenn es sich bei dieser Häufung um einen Zufall handelt, so näherten die Vorfälle die Legende der angeblich selbst heimgesuchten Reihe.
Der Spukhausfilm lebte in den Folgejahrzenten in unterschiedlichen Formen weiter. Die Horrorremakes Das Geisterschloss (1999) und Haunted Hill (1999) lassen kleine Gruppen im Hill House bzw. einer verlassenen Irrenanstalt auf klassische Weise auf Spukgestalten treffen, mit nur kleinen Modernisierungen, Paranormal Activity (2007) und seine Sequels holen die Geister zwar in die Vorstadt, waren mit ihrem erklärungsarmen Found-Footage-Ansatz allerdings universell wie unkonkret. Die von Guillermo del Toro inszenierten The Devil’s Backbone (2001) und Crimson Peak (2015) sowie der von ihm produzierte Das Waisenhaus (2007) folgen nicht nur traditionellen Geisterfilmmustern, sondern sind auch gleich in der Vergangenheit angesiedelt, ähnlich wie Alejandro Amenábars The Others (2001), dessen Spiel mit den Regeln des Spukhausfilms eher in seiner Auflösung liegt.
Poltergeist-Anklänge finden sich dagegen in Apparition – Dunkle Erscheinung (2012), in dem ein junges Paar ebenfalls in einer Vorort-Siedlung vom Bösen heimgesucht wird, ihr Haus jedoch nur eines von zwei bisher vermieteten in der Gegend ist – die Finanzkrise und der amerikanische Immobiliencrash prägen diesen sonst sehr formelhaften und wenig aufregenden Film. Wesentlich bemerkenswerter ist dagegen das Horrorkino von James Wan, der mit der Insidious-Reihe, den Conjuring-Filmen und deren Spin-Offs den Spukhausfilm der letzten Jahre deutlich prägte. Insidious (2010) zollt dem Hooper/Spielberg-Klassiker deutlich Tribut, erinnert das dort vorkommende Team aus einem Medium und ihren Geisterjäger-Assistenten doch klar an das ähnlich gelagerte Gespann, das den Freelings in Poltergeist half. Auch hier verbindet sich die Heimsuchung mit Familienproblemen: Die Stimmung im Hause Lambert ist angespannt, weil Vater Josh (Patrick Wilson) mehr arbeitet, damit Mutter Renai (Rose Byrne) sich auf ihre Musik konzentrieren kann, während man ein neues Haus gekauft hat und drei Kinder versorgen muss. Auch hier ist eines davon das bevorzugte Opfer der Geister, nämlich Sohn Dalton (Ty Simpkins), der ins Koma fällt. Er hat spirituelle Kräfte, wie Carol Anne, jedoch wird nur seine Seele in die Geisterwelt entführt, denn über seinen Körper wollen die toten Seelen ins Leben zurückkehren. Denn auch diese sind nur selbstsüchtige Geister, keine Opfer eines Kapitalismus ohne menschliches Antlitz. Mit dieser Deutung der Rächer aus dem Jenseits steht Poltergeist auch noch rund 40 Jahre nach seinem Erscheinen als moderner Klassiker fast allein da.
Nils Bothmann
Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2022. Auch der Kalender für 2023 enthält viele spannende Beiträge zur Filmgeschichte.
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