1991 löst Thelma und Louise als erstes feministisches Road Movie eine Kontroverse aus. Das liegt auch an der Verbindung von Gender und Genre

Thelma (Geena Davis) und Louise (Susan Sarandon) finden sich nach einer wilden Flucht durch die USA in einer ausweglosen Situation wieder: Hinter ihnen ein Heer bis an die Zähne bewaffneter Cops, über ihnen kreist brüllend ein Helikopter. Nichts als Lärm, Staub, Sand und kein Weg zurück. Vor ihnen klafft der Abgrund des Grand Canyon. Beide schauen einander ein letztes Mal an und Louise tritt das Gaspedal ihres Ford Thunderbird durch, bis beide Hand in Hand über die Klippen in den blauen Himmel rasen und der Film in einer Weißblende endet.

Vor dem Sprung: Geena Davis und Susan Sarandon in Thelma und Louise (1991) ©MGM

Vor 30 Jahren führte dieses furiose Finale in den USA zu einer Kontroverse, die den Sommer 1991 bestimmte. Warum eckte ein Film mit durchschnittlichem Budget und zwei durchschnittlich etablierten Hauptdarstellerinnen so an? Weder Gewalt noch Sexualität sind in Ridley Scotts Thelma und Louise besonders grenzüberschreitend und es wird keine radikal feministische Ideologie vermittelt. Eine Erklärung für die Aufregung könnte darin bestehen, dass der Film als erstes feministisches Road Movie in ein als männlich geltendes Genre eindringt. 30 Jahre Thelma und Louise sind ein daher guter Anlass, sich die Wechselwirkung der Konzepte Genre und Gender genauer anzusehen.

Susan Sarandon und Geena Davis in Thelma und Louise (1991) © MGM
Konventionen von Genre und Gender

Der Begriff Genre wird in der Filmtheorie seit den 1960er Jahren verwendet, taucht aber schon in den 1920er Jahren auf. Genre-Konventionen dienten dabei der Industrialisierung des Films: Standardisierte Merkmale ermöglichten serielle Produktionsprozesse. Andererseits wirkte ein Genre nach außen als Etikett und kommunikatives Versprechen an das Publikum, das selbst wiederum durch Genrezuordnungen in seiner Erwartungshaltung beeinflusst wurde.

Eine Taxonomie aller Genres – die Filmwissenschaft geht von einer Zahl im hohen, dreistelligen Bereich aus – gibt es bis heute ebenso wenig wie eine klare Definition. Der Begriff wird oft mit Gattung und Stil verwechselt oder synonym gebraucht, wenn als Genre Animations- oder Dokumentarfilm angegeben wird, obwohl es sich dabei um die technische Ebene oder die der Gattung handelt. Im praktischen Sprechen über Film ist Genre dennoch hilfreich. Kleinster gemeinsamer Nenner ist, dass ein Genre für eine Kategorie von Filmen steht, deren Ähnlichkeit im Teilen bestimmter Merkmale besteht. Genre sind aber nicht statisch, sondern entwickeln sich weiter, überschreiten die eigenen Konventionen, vermischen sich und bringen schließlich Subgenre oder neue Genre hervor.

Auch der Begriff Gender dient der Kategorisierung. In den 1980er Jahren als Abgrenzung zu sex (biologisches Geschlecht) durch die Soziologin Judith Butler etabliert, bezeichnet Gender sozial konstruierte Geschlechterrollen. So wie uns die Benennung des Genre in eine gewisse Erwartungshaltung gegenüber einem Film versetzt, sorgen Gendernormen dafür, dass wir bestimmte Erwartungen an das Sein von Männern und Frauen haben – Erwartungshaltungen, die unter tatkräftiger Mitwirkung des Medium Film reproduziert werden. Wer Konventionen von Genre oder Gender strapaziert, fällt aus der Rolle und eckt an. Abweichung von der Gendernorm hat es schon immer gegeben, genauso wie in B-Movies oder bestimmten Filmbewegungen seit Beginn des Films Genregrenzen überschritten wurden. Um die Kontroverse um Thelma und Louise aber besser zu verstehen, hilft es sich auf den Mainstream und das US-amerikanische Kino zu konzentrieren.

Jamie Lee Curtis in Blue Steel (1990) von Kathryn Bigelow © StudioCanal

Bestimmte Genre werden für typisch männlich gehalten, wie beispielsweise der Western, der Actionfilm oder eben das Road Movie. Andere, wie der Liebesfilm oder das Melodram, gelten als typische „Frauenfilme“. Ende der 1970er Jahre bricht diese Zuordnung jedoch allmählich auf. Sigourney Weaver kämpft als Ripley in Alien (1979) allein gegen ein monströses, nach Reproduktion geiferndes Mutter-Monster, der Western wird in dieser Zeit zunehmend vom Slapstick Bud Spencers und Terence Hills bestimmt. Nur wenig später gerät der klassisch männliche Actionstar als unkaputtbarer Muskelprotz in die Krise. Arnold Schwarzenegger, Chuck Norris und Silvester Stallone werden durch selbstironische Heroen wie Eddie Murphy in Beverly Hills Cop (1984) oder den im Feinripp schwitzenden, schießenden und schreienden Bruce Willis (Stirb langsam, 1988) abgelöst. Im Horrorfilm drehen die „Jungfrauen in Nöten“ den Spieß um und mausern sich zu Final Girls, deren wegbereitende Scream-Queen Jamie Lee Curtis in Halloween (1978) ist.

Gender & Genre am Beispiel von Thelma und Louise

In diese Phase der mit Georg Seßlen gesprochenen „Subjekt-Krise des Action-Kinos“ platzt Thelma und Louise. Road Movies mit ihren Wurzeln im Western sind seit Bonnie & Clyde (1967) und dem prototypischen Easy Rider (1969) entweder heterosexuellen Paaren oder männlichen Buddys vorbehalten, die Katharsis on the Road inklusive. David Laderman bezeichnet Thelma und Louise in seinem Buch Driving Visions: Exploring the Road Movie als «feminist carjacking of the male-dominated genre» und bringt es auf den Punkt: Hier machen sich erstmals zwei Freundinnen auf zu einem Wochenendtrip. Aufgrund einer im letzten Moment abgewendeten Vergewaltigung, die bei Louise ein Trauma triggert, werden die beiden Frauen zu Mörderinnen auf der Flucht. In deren Verlauf überfallen sie eine Tankstelle, haben Sex und jagen einen obszöne Sprüche klopfenden Trucker zur Hölle.

Ridley Scotts Film wurde nach seinem Kinostart im Mai 1991 schnell ein kommerzieller Erfolg, der auch von der Filmkritik überwiegend positiv aufgenommen wurde. Andere echauffierten sich, der Film sei männerverachtend, während wieder andere ihn als frauenfeindlich bewerteten: «Eine misogyne Geschichte über zwei unglaublich dumme Frauen, die unter Druck den letzten Rest ihres Verstandes verlieren und dafür die ultimative Bestrafung erhalten», konstatierte Filmkritiker Kyle Smith in der New York Post. Der Aspekt der Bestrafung durch den Tod am Ende bemängelten auch einige Feministinnen. Die Debatte kulminierte in einem Time Magazine-Titelthema im Juni und der darin erbittert geführten Diskussion, ob Thelma und Louise nun männerfeindlich sei oder nicht. Ein Vorwurf, der angesichts der männlichen Figuren (Harvey Keitel als um Vermittlung bemühter Cop, Michael Madsen als Liebhaber, der Louises Unabhängigkeit akzeptiert, und Brad Pitt in seiner ersten großen Rolle als diebischer, aber immerhin heftige Orgasmen schenkender Tramper) aus heutiger Sicht absurd scheint.

Callie Khourie, die für ihr Drehbuchdebüt mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, verteidigte Thelma und Louise noch Jahre später energisch. Sie habe kein tränenziehendes Melodram wie Grüne Tomaten (1991) oder Magnolien aus Stahl (1989), sondern einen temporeichen Film schreiben wollen, in dem zwei Frauen sich ihrer selbst ermächtigen und Männer eine marginale Rolle spielen. Für Geena Davies, damals 35 Jahre alt, und die zehn Jahre ältere Susan Sarandon waren dies Rollen mit Seltenheitswert, da beide im Hollywood-Verständnis ihren Zenit überschritten hatten. Trotzdem werden sie als Thelma und Louise als begehrenswerte, sexuell aktive Frauen dargestellt, ohne dass darum großes Aufheben gemacht würde. Ein weiterer Grund für das Skandalon. Khourie selbst will das Ende als symbolischen, ultimativen Befreiungsschlag verstanden wissen, da weder auf der visuellen noch auf der auditiven Ebene der Aufschlag des Autos angedeutet wird. Thelma und Louise entziehen sich so in letzter Konsequenz einer Welt, die für Frauen wie sie noch nicht bereit ist.

Gender & Genre nach Thelma und Louise

Frauen kaperten bis in die späten 1990er männlich konnotierte Genre auf breiter Front: In Eine Klasse für sich (1992) eroberte eine weibliche Baseballmannschaft die Leinwand, Kathryn Bigelow erneuerte mit Jamie Lee Curtis und Blue Steel (1990) den Polizeifilm, Demi Moore spielte in Die Akte Jane (1997) die erste Rekrutin in einer US-Navy-Spezialeinheit und Sharon Stone gab sich als Eispickel schwingende Killerin (Basic Instinct, 1992).

Demi Moore in Die Akte Jane (1997) © Buena Vista / Hollywood Pictures

Um das Millennium betraten mit Carrie-Ann Moss (Matrix, 1999), Milla Jovovich (Resident Evil, 2002) und Angelina Jolie (Tomb Raider, 2001) neue «Action-Ladys» die Bildfläche. Der Held im Actionkino wurde durch den Boom der Superhelden- und Comicverfilmungen abgelöst, bei dem immerhin gemischtgeschlechtliche Teams gegen das Böse kämpften. Tatsächlich reüssierten Charakterdarstellerinnen, beispielsweise in Monster (2003) oder Million Dollar Baby (2004) im urmännlichen Serienkiller- oder Boxerfilmgenre, auch ohne wie in Tomb Raider auf ihr Äußeres festgeschrieben zu werden. Als Role Models taugten sie mit ihren tragischen Enden jedoch kaum. 20 Jahre nach Thelma und Louise beklagte Melissa Silverstein, die schon 2007 den Blog «Women and Hollywood» für Genderparität und Diversität begründet hatte, dass es seitdem keinen vergleichbaren Film mehr über Frauen mit Protagonistinnen wie diesen gegeben habe.

Hillary Swank in Million Dollar Baby (2004) © StudioCanal / Arthaus

Erst in den letzten Jahren ist wieder Bewegung in das Verhältnis von Gender und Genre gekommen. Im vierten Teil der Mad Max-Saga Fury Road (2015) berserkerte sich Charlize Theron erfolgreich als Imperator Furiosa durch die Postapokalypse, 2017 kam mit Patty Jenkins Wonder Woman die erste weibliche Superheldin in die Kinos und wurde ein kommerzieller Erfolg. Das gilt auch für Captain Marvel (2019), in dem die heterosexuelle Love Story gleich durch eine Freundschaft zwischen der Superheldin und einer schwarzen, alleinerziehenden Mutter ersetzt wurde. Die MeToo-Debatte im Oktober 2017 und ihre Folgen führten dazu, dass fehlende Genderparität und mangelnde Diversität im Kino seither regelmäßig kritisiert werden. Die Empörung über einen möglichen weiblichen 007 oder der Shitstorm angesichts der Neuauflage von Ghostbusters (2016) mit Geisterjägerinnen zeigt aber: Es ist noch ein weiter Weg, bis die Erwartungshaltung an Genre nicht mehr mit klischeehaften Vorstellungen von deren Protagonist*innen oder dem Zielpublikum einhergehen.

Susan Sarandon und Geena Davis in Thelma und Louise (1991) © MGM

Thelma und Louise wurde übrigens 1992 für insgesamt sechs Oscars nominiert, in vielen Filmen und der Popkultur liebevoll zitiert und 2016 als besonders erhaltenswert in die National Film Registry aufgenommen. Die im Film schon vor drei Dekaden verhandelten Themen wie die Überschreitung von Geschlechterrollen, sexualisierte Gewalt und die Stigmatisierung der Opfer, aber auch weibliche Selbstermächtigung und Sexualität sind noch heute aktuell. Abgesehen davon ist das erste feministische Road Movie der Filmhistorie auch visuell perfekt gealtert und auch 30 Jahre später noch ein Film «worth watching».

Maxi Braun

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2021. Auch der Kalender für 2022 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.