Doris Senn berichtet aus der Frauenbefreiungsbewegung in Zürich und der feministischen Film- und Kinogeschichte der 70er und 80er Jahre

Das Frauenkino Xenia entstand 1988 in Zürich – als Kinoinitiative von Frauen für Frauen. Damit stand es nicht allein, sondern konnte sich bewusst oder unbewusst auf Wegbereiterinnen und Mitstreiterinnen abstützen. Anders und in gewissem Sinn provokativ war es dadurch, dass es ausschliesslich Frauen offenstand. Aber auch dafür gab es Vorbilder im nahen Umfeld: im Frauenzentrum, der Frauenétage im Kanzlei oder der Frauenparty Tanzleila.

Eine feministische Kinopraxis begann sich in Zürich schon Mitte der 70er im Rahmen der Frauenbefreiungsbewegung zu entwickeln. Im 1974 eröffneten Frauenzentrum an der Lavaterstrasse waren Filmvorführungen Teil des feministischen Aktivismus. Die Filme wurden als «Diskussionsinitiator», zur «Selbstdarstellung» oder als «interventionistisches Instrument» genutzt.1

Die Experimentalfilmerin Isa Hesse-Rabinovitch initiierte mit cinephilem Fokus 1975 – das Internationale Jahr der Frau – im Zürcher Kino Commercio ein Frauenfilmfestival2 und kreierte damit ein frühes Vorläufer-Event der späteren, politisch ausgerichteten «Zürcher Frauenfilmtage».

Im März 1978 organisierte die Frauenfilm-Arbeitsgemeinschaft «Frauen-Film-Fabrica» (FFF) in der Roten Fabrik einen Workshop sowie Filmvorführungen: «Frauen jeden Alters, die Film oder Video machen, sehen, diskutieren und zeigen wollen, kommen […] in die Rote Fabrik.»3

Frauen aus der FFF und der Homosexuellen Frauengruppe taten sich in diesem Rahmen zusammen und bildeten die Homex AG. Dieses Lesbenfilmkollektiv legte «im Unterschied zur FFF den Akzent stärker auf die Darstellung ihrer Lebenswelt für die Öffentlichkeit und weniger auf den Bereich der Selbsterfahrung».4 Während des erwähnten FFF-Workshops drehten die Homex-Frauen Strasseninterviews zum Thema Homosexualität, die sie unter dem Titel «…aber normal ist es ja gerade nicht» zu einem Video zusammenschnitten.5

Zusammen mit der Berner Frauenfilmgruppe Melusine,6 ebenfalls 1978 gegründet, lancierte die FFF den «Goldenen Apfel», einen «Prix des Femmes», der am Internationalen Filmfestival von Locarno 1978 und 1979 von einer inoffiziellen Frauenjury an einen Film vergeben wurde, der «in der Optik der Frauen von seinem Inhalt oder seiner Form her interessant» war.7

Anlässlich des Internationalen Frauentags fanden im März 1984 im Filmpodium (ehemals Studio 4) die ersten «Zürcher Frauenfilmtage» statt, organisiert von der Ofra, der Organisation für die Sache der Frau. Die Zürcher Frauenfilmtage standen unter dem Titel «frauwärts!» und bestanden bis 1990.8

Das gerade mal einjährige Xenia zeigte im März 1989 eine Auswahlschau von deren sechster Durchführung und nahm damit die spätere Zusammenarbeit mit den «Frauenfilmtagen Schweiz» (FFT) voraus. Die Kooperation zwischen Xenia und FFT startete 1990 mit dem Programm «Frau in Hosenrollen» und dauerte bis 1996.9

Auch im internationalen Umfeld gab es ähnliche Initiativen in feministischer Kino- und Festivalkultur. Von 1977 bis 1980 existierte – als eigentliche «Vorläuferin» des Xenia – eine Frauenkino-Initiative unter dem Namen «Frauen im Kino» im Berlin-Schöneberger «Cinema». Ein Frauen-Viererkollektiv zeigte dort während drei Jahren ebenfalls wöchentlich – jeden Donnerstag (!) – Frauenfilme exklusiv für ein Frauenpublikum.10 Das Berliner Vorbild stand ein für eine «lustvolle, autonome, kommunikative Filmrezeption».11

Das allererste «Women’s Film Festival» fand 1972 in New York statt, gefolgt von Edinburgh, Toronto, Berlin und Paris, meist in einmaligen Editionen. 1979 entstand das «Festival International de Films de Femmes» in Créteil bei Paris, das bis heute besteht. 1983 wurde das Frauenfilmfestival Feminale in Köln ins Leben gerufen, gefolgt 1987 von «Femme Totale» in Dortmund.12

Aus der Berliner Besetzer:innenszene in den Achtzigern entwickelten sich verschiedene gemischte, aber auch frauen- und lesbenspezifische Kinoinitiativen. Daraus ging 1989 die «Blickpilotin» hervor, die von Kinomacherinnen, Filmforscherinnen und Cineastinnen gegründet wurde und bis 2007 feministische Filmarbeit förderte. Dazu kamen queere Filmfestivals in San Francisco (Frameline, 1977 gegründet), London (Lesbian and Gay Film Festival, 1988), Paris (Quand les lesbiennes se font du cinéma, 1989) oder Bologna (Immaginaria, 1993), um nur einige wenige zu nennen.

Alle diese Initiativen und Festivals waren über die Jahre wichtige Referenzen für die Xenia-Macherinnen und ihre Programmarbeit – und Festivaldestinationen für gemeinsame Reisen. Im Xenia-Programm zeigte sich dies in verschiedenen Festival-Auswahlschauen, insbesondere der Feminale, welche die Xenias regelmässig besuchten.

Dabei fanden schon in den Jahren vor der Xenia-Gründung verschiedentlich Frauen vorbehaltene Veranstaltungen im Xenix statt: In dessen Programm «Einzug der Frauen» 1986 waren alle Samstage mit je zwei Vorstellungen für Frauen reserviert; 1987 gab es im Rahmen einer Auswahlschau aus Créteil eine «Frauenfilmnacht», gefolgt von einem samstäglichen «Frauenspezial».13

Unmittelbar vor dem Xenia-Start führten die Aktivistinnen zudem eine legendär erfolgreiche Kinowoche durch: «Im Frühjahr 88, während das Xenix in den Ferien weilte, entschlossen sich einige zurückgebliebene Xenix-Frauen, eine Woche mit Filmen und Veranstaltungen ausschliesslich für ein Frauenpublikum zu organisieren. […] Das Bedürfnis nach einem Kino mit Filmen von und für Frauen war da, die Resonanz gross.»14

Es gab auch eine «Gründungssitzung» – und definitiv ein erstes Monatsprogramm: das von Claudia Labhart gestaltete Plakat – eine Frau mit gleissendem Lichtkästchen in Händen und vor Augen –, das die 15-jährige Ära des Frauenkinos am 21. April 1988 offiziell einläutete.

Die Loslösung der Xenias aus der Xenix-Gruppe ging nicht nur in Minne vonstatten, wie Journalist Peter Kamber in seinem Artikel zum 10-Jahr-Jubiläum des Xenix 1990 schreibt. Er bezeichnet es als «grundsätzlichen Konflikt», der offen ausbrach, «als sich ein Teil der Frauen im Xenix selbständig machte und das Xenia-Frauenkino begründete».

Unter den Interviewten war auch Claudia Labhart, welche die Nachfrage nach einem Kino ausschliesslich für Frauen hervorhob und die spezielle Atmosphäre, die ein solches jeweils am Donnerstagabend auszeichne: «‹Wenn du als Frau zusammen mit hundert Frauen einen Film ansiehst, der mit allen diesen Frauen etwas zu tun hat, dann ist das einfach eine viel intensivere, nähere Empfindung. Du merkst, es geht bei jeder auch um irgendeinen Teil ihrer Geschichte.› Manchmal sei es ein Filmerlebnis wie früher auf dem Marktplatz, wenn die Zuschauerinnen mit Sprüchen und Zwischenrufen in den Film eingriffen, schrien, lachten», schreibt Kamber.

Dagmar Lorenz beschreibt, im selben Artikel, das Xenia als «safe space» avant la lettre: «Es gibt schon klar frauenspezifische Sachen wie den Filmzyklus Inszenierungen der weiblichen Sexualität oder auch Filme zu Inzest, Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen, wo es offensichtlich ist, dass du dir das unter Frauen ansehen musst, wo du diesen Schutz brauchst.»15

Dass die Erinnerungen an die zeitlichen Abläufe teils voneinander abweichen, ist der Zeit und den individuellen Perspektiven geschuldet. Fakt ist, dass die Kinobaracke zwischen dem 13. Februar und dem 4. März 1988, in der Zeit der 38. Berlinale, vom Xenix unbespielt war und damit frei, um von den Frauen im Verbund mit der Frauenétage nach ihrem Belieben genutzt zu werden – wie andere Male zuvor. Diese überaus gut besuchten Filmvorführungen liessen den Entschluss für die Gründung eines Frauenkinos unter dem Namen «Xenia» reifen, das am 21. April aus der Taufe gehoben wurde.16

Doris Senn

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1 Simone Locher: «Film, Aktivismus und Feminismus – Die Rolle des Films innerhalb der Frauenbefreiungsbewegung (FBB)», Seminararbeit in Filmwissenschaft, Universität Zürich 2020 (unveröffentlicht), S. 8–18.
2 Cecilia Hausheer: Frauen, Bilder, Politik, in: Brigitte Blöchlinger, Alexandra Schneider, Cecilia Hausheer, Connie Betz (Hrsg.): «Cut. Film- und Videomacherinnen Schweiz von den Anfängen bis 1994. Eine Bestandsaufnahme», Stroemfeld/Nexus 1995, S. 43–54, S. 46. In Bern gab es 1974 eine Filmwoche mit Regisseurinnen, dito in Genf 1975 unter dem Titel «En tant que femmes». Vgl. auch Esther Quetting (Hrsg.): «Kino Frauen Experimente», Schüren 2007, S. 26.
3 Dies war eine der wenigen Kulturveranstaltungen, die vor der offiziellen Inbetriebnahme der Roten Fabrik dort durchgeführt werden konnten. Ein FFF-Flyer findet sich auf L-wiki.ch: https://l-wiki.ch/images/a/ad/FrauenFilm.pdf (Stand: Mai 2024). Zur FFF s. auch Connie Betz, Alexandra Schneider: Wege zum Film, in: Blöchlinger, Schneider, Hausheer, Betz (wie Anm. 2), S. 13–35, S. 25.
4 Betz, Schneider (wie Anm. 3), S. 26.
5 Ebd. sowie Blöchlinger, Schneider, Hausheer, Betz (wie Anm. 2), S. 195, Lemma «Homex AG». Der 43-minütige Film befindet sich im SozArch, https://www.bild-video-ton.ch/bestand/objekt/Sozarch_F_9033-008 (Stand: Mai 2024).
6 Laura Zimmermann (s. Folgegespräch, 2.2) kam mit Melusine-Erfahrungen nach Zürich und ins Xenia.
7 Betz, Schneider (wie Anm. 3), S. 26.
8 Politisch ausgerichtete Frauenfilmtage fanden gleichzeitig auch in anderen Schweizer Städten statt; sie standen untereinander im Austausch. In Zürich wurden sie 1990 unter dem Titel: «Utopien – (K)Ein Ort» zum siebten und letzten Mal in dieser Form durchgeführt. Zur Geschichte der Frauenfilmtage Schweiz (1989–2003) s. Quetting (wie Anm. 2).
9 Der organisatorische Aufwand für die Durchführung in verschiedensten Schweizer Kinos mit ganz unterschiedlichem Profil war beträchtlich. Dies und die nicht immer befriedigende, auf Konsens beruhende Programmwahl wurde dem Xenia neben dem «Tagesgeschäft» zu viel, und es zog sich in den Folgejahren aus den FFT zurück. Es gab noch eine Durchführung im März 1999 (in Kooperation mit dem Xenix).
10 Einzig das Vorführen wurde von einem Mann besorgt, s. Evelyn Beste: Männer über Bord, in: «Der Abend», Berlin, 12. März 1979, in: SozArch Ar 439.10.1.
11 «Eppendorfer Medienbrief» vom 18./19. Juni 1978, in: SozArch (wie Anm. 10).
12 Die beiden Festivals fanden, mit Ausnahme der Anfangsjahre, alternierend zweijährlich statt. 2006 fusionierten sie und werden seither als «Internationales Frauenfilmfest Dortmund+Köln» jährlich durchgeführt.
13 Siehe die Xenix-Programme von November 1986 und Oktober/November 1987 (Xenix-Archiv).
14 Frauenkino Xenia: Wo viele Frauen-Augen glühen, in: Cyril Thurston, Regula Bochsler, Filmclub Xenix (Hrsg.): «Kino im Kopf: zehn Jahre Xenix», Filmclub Xenix 1990, S. 19 f.
15 Peter Kamber: Xenix & Xenia, Eine Zürcher Saga, in: «Das Magazin» (Beilage des «Tages-Anzeigers», Nr. 36, 7./8. 9.1990), S. 12–19,S. 18 f.
16 Valérie Jaccard bezeichnet dies in ihrer Masterarbeit zu Unrecht als «Entstehungs-Mythos». Sie nimmt an, dass der eigentliche Startschuss (21. April) kongruent sei mit dem Berlinale-Besuch der Xenix-Männer. Dieser fand aber im Februar statt – ebenso wie die erwähnte Kinowoche. Jaccards «Im Kino unter Frauen» (MAS CMS, ZHdK 2010, unveröffentlicht, S. 1 und S. 40) macht sich verdient um die Aufarbeitung der Xenia-Geschichte, enthält aber auch etliche Ungenauigkeiten. Jeannette Burri stützt ihre Proseminararbeit («Zur Gründung des Frauenfilmclubs Xenia – Die Motivation, ein Frauenkino in Zürich zu eröffnen», Historisches Seminar, Universität Zürich 2018 [unveröffentlicht]) auf einige wenige Akten zum Xenia im SozArch und ein einziges Gespräch mit Claudia Labhart. Zudem ist ihre Fragestellung anders – siehe Titel der Arbeit.