Mit MTV startet 1981 ein Fernsehsender, der auch das Kino und
seine Vermarktungswege nachhaltig prägt

MTV ging am 1. August 1981 mit einer Kampfansage auf Sen­-
dung, denn der erste dort gezeigte Videoclip war mit Bedacht ausgewählt: «Video Killed the Radio Star» von The Buggles. 40 Jahre später wirkt dies natürlich etwas vermessen, denn das Radio gibt es immer noch, während das Musikfernsehen vom neuen Star Internet weitestgehend gekillt wurde. MTV selbst begann schon gegen Ende der 1990er verstärkt andere Formate abseits von Musikvideos zu zeigen, etwa The Real World, Jackass oder The Osbournes. Doch während seiner Glanzzeit war der Sender ein federführendes Medium, die fernsehgewordene Pubertät, die gleichzeitig den Soundtrack zum Leben seiner jugendlichen Zuschauer lieferte. In Prä-Internet-Zeiten gehörte MTV zusammen mit Teenie-Zeitschriften zu jenen Leitmedien, die bestimmten, wer ein Star wurde und was gerade «in» oder «out» war. Genau dadurch wurde MTV zu einem wichtigen Faktor für die Filmstudios, die um das Interesse des gleichen Zielpublikums buhlten. Denn die Einführung des Fernsehens hatte dafür gesorgt, dass ältere Leute öfter zu Hause blieben, während Teenager die Lichtspielhäuser weiter frequentierten. Diese hatten Taschengeld und viel Freizeit, weshalb Hollywoods Spektakel nach Start der Blockbusterära durch Der weiße Hai (1975) und Star Wars (1977) zwar auf ein möglichst breites Publikum, vor allem aber auf jugendliche Zuschauer abzielten.

Das erste Werk, das die Vorteile von MTV zu nutzen wusste, war der Tanzfilm Flashdance (1983). Passagen aus dem Film fungierten als Musikvideos, sodass Hits «Flashdance … What a Feeling» von Irene Cara und «Maniac» von Michael Sembello das Zielpublikum auf Adrian Lynes Pop-Märchen einstimmten, sodass Flashdance am Ende das Dreifache seines Budgets einspielte. Die Studios waren in dieser Zeit ohnehin auf Synergie-Effekte aus, weshalb das Musikvideo zum Titelsong bald ebenso zum potenziellen Blockbuster gehörte wie die Videospielauskopplung und die Merchandise-Deals mit Spielwarenherstellern und Fast-Food-Ketten. Künstler mit MTV-Appeal wurden für die Soundtracks angeheuert: Prince steuerte «Batdance» und «Partyman» für Batman (1989) bei, das Sequel Batman Forever (1995) lieferte mit «Kiss from a Rose» von Seal und «Hold Me, Thrill Me, Kiss Me, Kill Me» von U2 für weitere Dauerbrenner im Musik­-fernsehen, während die gesammelte Hip-Hop-Starpower von Busta Rhymes, Coolio, LL Cool J, Method Man und B-Real die Space Jam-Hyme «Hit ’Em High» einsang. Oft besetzte man Künstler erfolgversprechend in Filmen: Whitney Houston und ihre Musik sorgten neben Kevin Costner für den Appeal von Bodyguard (1992), Madonna hatte nicht nur die weibliche Hauptrolle in Dick Tracy (1990), sondern brachte gleich ein ganzes Album mit Songs heraus, die entweder aus dem Film stammten und zumindest von ihm inspiriert waren. «Inspired by»-Soundtracks entwickelten sich zum beliebten Merchandising-Produkt: Filme, in denen nur wenige Songs gespielt wurden, kamen so auf Soundtrack-CDs mit vollen Tracklisten, die einerseits Geld in die Kasse brachten, andrerseits weitere Bands und Sänger für einen Film werben ließen.

Doch nicht nur Musiker spielten kleine oder größere Rollen in Filmen, auch Filmstars kehrten für Gastauftritte auf den kleinen Bildschirm zurück: In «Gangsta’s Paradise» (aus Dangerous Minds) lässt sich Michelle Pfeiffer von Coolio ansingen, Arnold Schwarzenegger als Titelfigur von Terminator 2 (1991) befindet Guns’n Roses in «You Could Be Mine» des Terminierens nicht wert, während Will Smith und Martin Lawrence im «Shy Guy»-Musikvideo (aus Bad Boys) um die Gunst von Diana King buhlen. Will Smith zementierte als gleichzeitiger Pop- und Filmstar seinen Marktwert in den 1990ern besonders effektiv: Mit aufwändigen Titelsong-Musikvideos heizte er das MTV-Publikum schon Wochen vor Filmstart für Men in Black (1997) und Wild Wild West (1999) an, in denen er die Hauptrolle spielte. Bei dieser Vermarktung schälten sich musikalische und filmische Genre-Kopplungen heraus: Actionfilme wurden meist mit Hardrock, Heavy Metal oder Hip Hop vermarktet, während Romantic Comedies mit den neusten Popballaden und Feel-Good-Hits ausgestattet wurden.

Die gegenseitige Befruchtung von Kino und Musikfernsehen ging aber über die reinen Synergie-Effekte aus. Auch hier erwies sich das Produzentenduo aus Don Simpson und Jerry Bruckheimer, die mit Flashdance die Vorteile der MTV-Vermarktung erkannt hatten, als Vorreiter. Oft engagierten sie Regisseure, die sich an Inszenierungsstil und Schnitt-Rhythmus von Videoclips orientierten. Anfangs kamen diese aus der Werbung, so wie Adrian Lyne oder die Scott-Brüder. Der Erfolg von Tony Scotts für Simpson/Bruckheimer gedrehtem Top Gun (1986) wäre ohne die gleichzeitige Musikvideo-Offensive mit Hits wie Kenny Loggins «Danger Zone» kaum denkbar, dessen Clip Scott gleich mit inszenierte. Sein Stil mit einem Faible für schnelle Schnitte, Gegenlichtaufnahmen und pointiert gesetzte Zeitlupen passte hervorragend zum Musikfernsehen, in dem sich auch junge Nachwuchsregisseure austoben durften. In ähnlicher Weise wie Scott inszenierten Highlander-Regisseur Russell Mulcahy (der unter anderem das «Video Killed the Radio Star»-Musikvideo verantwortete) und der spätere Actionpapst Michael Bay ihre großen Leinwandspektakel, mit denen sie Megahits schufen. Doch unter den MTV-Absolventen gibt es nicht nur Actionfilmer, sondern auch Thrillermaestro David Fincher, Bilderstürmer Tarsem Singh und die verschrobenen Phantasten Spike Jonze und Michel Gondry. Sie alle brachten ihre Bildsprache ins Kino, wobei die «Videoclipästhetik» zum geflügelten Wort wurde, das sowohl Fans als auch Gegner des Stils immer wieder bemühten.

Doch MTV wollte nicht die Filmbranche bloß als Musikvideo-PR-Maschine unterstützen, sondern aktiv im Geschäft mitmischen. 1992 wurden die «MTV Movie Awards» zum ersten Mal ausgestrahlt. Weniger als Anti-Oscars, sondern mehr als deren Teen-Ergänzungsformat gedacht, wurden neben klassischen Auszeichnungen in Kategorien wie Schauspiel oder bester Film auch jugendaffine Dinge wie der beste Kuss, die beste Kampfszene oder der beste Schurke ausgezeichnet. Mit mehr Musikeinlagen, mainstrea­-
migeren Kandidaten und vielen Gewinnern aus dem Bereich des Teeniefilms, aber einer hohen Dichte an teilnehmenden Stars, die als Gäste, Präsentatoren oder Moderatoren an der Show mitwirken. Um sich aktuellen Gegebenheiten anzupassen, sind die «MTV Movie Awards» wesentlich flexibler in der Einführung neuer Kategorien und der Abschaffung alter Auszeichnungen, aber man muss ja auch auf wesentlich wankelmütigeren Markt reagieren. Während Oscars und Golden Globes auf Tradition bauen, müssen die «MTV Movie Awards» das tagesaktuelle «Hot or Not» der Teenkultur respektieren.

1996 ging MTV den nächsten Schritt und betätigte sich erstmals als Filmproduzent. Joes Apartment hieß die Komödie, in der Sliders-Star Jerry O’Connell seine Wohnung mit sprechenden, pöbelnden und singenden Kakerlaken teilt, die ihm aber auch in Beziehungsdingen unter die Arme greifen. Ein böser Flop an der Kinokasse, der mit Jungstars, teenverträglichen Themen und Musik angesagter Künstler (unter anderem Moby, Green Day und De La Soul) aber schon die Stoßrichtung weiterer MTV-Produktionen vorgab – der Werbespruch «Sex, Bugs, Rock’n Roll» passte wie die Faust aufs Auge. Folgeproduktionen wie Alexanders Payne Wahlkampfsatire Election (1999), das Football-Drama Varsity Blues (1999) und der Tanzfilm Save the Last Dance (2001) trafen den kommerziellen Nerv deutlich besser, prägten die Teenkultur um die Jahrtausendwende und halfen dabei, Nachwuchstalente wie Reese Witherspoon, Paul Walker und Julia Stiles als künftige Stars zu vermarkten. Etwas zu weit spannte MTV Productions den Bogen bei dem verschrobenen Möchtegern-Kultfilm Napoleon Dynamite (2004), den man bei den hauseigenen Awards mit gleich drei Trophäen auszeichnete, darunter für den besten Film. Das Kalkül ging jedoch auf: Einem Budget von rund 400 000 Dollar stand ein Box Office von 46 Millionen Dollar gegenüber. Trotz der Fixierung auf Musik und Teen-Themen erlaubte sich MTV Productions eine gewisse Bandbreite, brachte sowohl die Oscar-nominierte Doku Tupac: Resurrection (2003) als auch den künstlerisch wie kommerziell krachend gescheiterten Versuch eines Britney-Spears-Kino-Starvehikels Not a Girl – Crossroads (2002) heraus.

Julia Stiles und Sean Patrick Thomas in Save the Last Dance (1997). Paramount

Mit Ende der 2000er ging der MTV-Ein­fluss sichtbar zurück. Das Internet ermöglich­te eine Aufspaltung des jugendlichen Lifestyles in diversere Subkulturen mit eigenen Codes und Musikvorlieben, die auch Spartensendungen im Musikfernsehen nicht auffangen konnten. Freilich hatte MTV – ähnlich wie diverse Konkurrenzkanäle – zu dieser Zeit schon an der Selbstmarginalisierung gearbeitet und immer weniger Musikvideos gezeigt. Teilweise wurden diese von MTV auf Schwester- oder Unterkanäle abgeschoben. Die Movie Awards heißen seit 2017 «MTV Movie & TV Awards», um dem Serienhunger des Zielpublikums gerecht zu werden. Auch die Schlagzahl der Filme, die von MTV Productions veröffentlicht wurden, nahm ab. Ganz verschwunden ist die Produktionsfirma aber nicht, wie man an ihrem Logo etwa vor der Action-Horror-Grimm-Adaption Hänsel & Gretel – Hexenjäger (2013) oder dem Teen-Zeitreisefilm Project Almanac (2015) sehen kann – letzterer übrigens co-produziert von Platinum Dunes, der Firma des MTV-Alumnus Michael Bay. Insofern mag MTV nicht mehr die gleiche kulturell prägende Kraft wie in den 1980ern und 1990ern sein, doch der Hauptkanal und seine Ableger erreichen immer noch ein Millionenpublikum, während das Erbe des früheren Video-Stars das Kino bis heute nachhaltig prägt.

Nils Bothmann

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2021. Auch der Kalender für 2022 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.