Heinrich Weingartner über das neue CINEMA #65: Skandal

Ich bin noch nicht lange in der CINEMA-Redaktion. Auf die Themenwahl des «CINEMA Jahrbuch 65» hatte ich so gut wie keinen Einfluss. Ein Skandal. Wieso ich trotzdem darum gebeten wurde, einen Blogbeitrag zu verfassen? Weil ich, zusammen mit meinem Kollegen David Grob, das Buch produziert habe. Aus Chicago. Also, ich aus Chicago, David aus Zürich. Das hat trotz geographischer Dislozierung tipptopp funktioniert, wie Sie sehen können. Natürlich wollten wir mit dieser räumlichen Aufteilung keinen Guinness-Rekord erzielen. Ich habe von August bis November letzten Jahres in Chicago einen Atelieraufenthalt absolviert und diese schöne Aufgabe mit ins Gepäck genommen. Die Tätigkeit bei der CINEMA-Redaktion basiert auf Ehrenamt und mein Atelieraufenthalt wurde von der öffentlichen Hand bezahlt. Deshalb konnte ich mich guten Gewissens der auswärtigen Selbstausbeutung hingeben. Drei Erkenntnisse:

1. Sitzungen töten und verunmöglichen Arbeit. In Chicago hatte ich keine. einzige. Sitzung. Ich war erstaunt darüber, wie schnell und effizient meine redaktionelle Betätigung für das CINEMA-Jahrbuch über die Bühne ging, sobald sich keine Inputs, Vorbehalte, Brainstormings, Ideen oder Termine in meinen Kopf frassen. Wer keine Sitzung hat, kriegt den Allerwertesten hoch und macht. die. Arbeit. Ich habe das Buch natürlich nicht im Alleingang produziert. Aber es war sicher gut für die anderen Menschen aus der CINEMA-Redaktion und Susanne Kreuzer vom Layout, dass sie mit mir ebenfalls keine Sitzung hatten. Ich hätte bloss deren Zeit verschwendet und die tatsächliche Arbeit wäre auf die nächste Sitzung traktandiert worden.

2. Digital ist nicht nur schlecht. Schon bei meiner Betätigung für ein Zentralschweizer Printmagazin habe ich immer darüber gestaunt, dass man die Buchstaben zuerst am Bildschirm herumschiebt, bevor sie dann gedruckt werden. Kann man sie nicht gleich auf dem Bildschirm lassen und lesen? Es tut mir leid, Frau Schüren. Aber wäre es so ein riesiger Skandal, wenn das gedruckte Wort sterben würde? Es ist so viel einfacher, die digitalen Dokumente, Daten und Druckaufträge per Mail hin- und herzuschicken. Okay, vielleicht liegt gerade in dieser Einfachheit das Diabolische des Internets. Ein Buch braucht Zeit, Formatwechsel, Geduld.

Heinrich Weingartners Arbeitsplatz in Chicago, nahezu papierlos

3. Für diese dritte Erkenntnis möchte ich gerne Thomas Basgier, einen Essayautoren unseres Buches, zitieren, der im ersten Abschnitt seines Beitrags unser Vorhaben grundlegend in Frage stellt: «Der Begriff ‹Skandalfilm› ist eigentlich ahistorisch, er ist schwammig, eine Art Leerformel, zumindest kein klar definierter Terminus. Er taugt nicht zur Kategorisierung von Filmen, weil er suggeriert, bestimmte merkmalsabhängige Produktionen seien auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, obwohl sie oft genug über einen solchigen nicht verfügen, weil er unterschiedliche historische, politische, sozialgesellschaftliche, ökonomische Kontexte in ein Verhältnis der Vergleichbarkeit setzt, die gemeinhin nur unter grössten intellektuellen Verbiegungen verglichen werden können.» Ein Skandal? Nein, eine wahre Einsicht.
Und jetzt: Lesen Sie das CINEMA-Buch! Es lohnt sich!

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Am 20. 2. 2020 gibt es eine Buchvernissage im Filmpodium in Zürich: Infos hier