Wer kann aus dem Stand fünf deutsche Cutter an einer Hand aufzählen? Ein schwieriges Unterfangen. Selbst Bettina Böhler, die zu den renommiertesten Vertreterinnen des Editorenhandwerks hierzulande zählt und seit Jahren für den Schnitt einiger der besten deutschen Autorenfilme verantwortlich zeichnet, führt in der öffentlichen Wahrnehmung ein Schattendasein. „Die große Unbekannte des deutschen Kinos“ wurde sie auch folgerichtig in der Jurybegründung genannt, als sie 2007 den Bremer Filmpreis für langjährige Verdienste und herausragende Leistungen im europäischen Kino verliehen bekam. Ähnlich wie Peter Przygodda, dem legendären Schnittmeister eines großen Teils des Wim Wenders-OEuvres, versteht Bettina Böhler ihre Arbeit nicht als ästhetisches Ereignis, das sich selber feiert, sondern mehr als Handwerk im Dienste des Gesamtkunstwerks Film. „Der Schnitt ist nicht dazu da, um vor allem möglichst viel zu schneiden, sondern er sollte das Material einfach so gut wie möglich bedienen, die Geschichte, die Schauspieler, die Inszenierung, was alles dazu gehört“, sagte sie einmal. Und weiter: „Es ist sozusagen ein Dienen für das, was vorgegeben ist.“ Davon profitierte vor allem ein Mann, der bei allen seinen bisherigen Projekten auf die Dienste der Wahl-Berlinerin vertraut hat: Christian Petzold. Die klare Erzählstruktur seiner Filme, das perfekte Timing im Wechsel der oft langen und statischen Einstellungen ist auch ein Verdienst Böhlers.

Ihre Arbeit ist mit dem technischen Begriff Schnitt nur unzureichend definiert. Genauer fasst sie die französische Bezeichnung Montage: das mal narrative, mal musikalische Verweben von Bildern, das die Gesamtdramaturgie des Films mitdenkt und entscheidend beeinflusst. In der Urkunde des Bremer Filmpreises, den Böhler für Petzolds GESPENSTER (2005) bekommen hatte, hieß es: „Mit bewunderungswürdiger Intuition erspürt sie die Dauer, die eine Szene braucht, um über das reine Erzählen oder den Dialog hinaus nachzuhallen.“ Das gilt für alle ihre Petzold-Kooperationen, von CUBA LIBRE (1996) über DIE INNERE SICHERHEIT (2000) – für den sie mit dem Schnitt-Preis 2000 ausgezeichnet wurde – und WOLFSBURG (2003) bis zu YELLA (2007) und zuletzt JERICHOW (2008). Bettina Böhler hat nicht nur den speziellen Stil Petzolds mitgeprägt, sondern den der gesamten „Berliner Schule“. Die minimalistischen Beziehungsstudien von Angela Schanelec in MEIN LANGSAMES LEBEN (2001), MARSEILLE (2004) und NACHMITTAG (2007) tragen genauso die Signatur ihrer editorischen Co-Autorenschaft wie Valeska Grisebachs formidables Provinzdrama SEHNSUCHT (2006).

Wie groß das formale Spektrum der Cutterin ist, beweisen aber auch Projekte ganz anderer Art: Christoph Schlingensiefs TERROR 2000 – INTENSIVSTATION DEUTSCHLAND (1992) und DIE 120 TAGE VON BOTTROP (1997) oder Oskar Roehlers energiegeladene Liebes- und Gangstergeschichte LULU & JIMI (2008). Immer wieder hat die gebürtige Freiburgerin auch an Dokumentarfilmen Hand angelegt: Beim mit experimentellen Formen spielenden „Laborfilm“ DAS PROBLEM IST MEINE FRAU von Calle Overweg etwa, der sich mit häuslicher Gewalt von Männern auseinandersetzt, oder auch bei Karin Jurschicks schonungslos persönlicher Abrechnung mit ihrem Vater, DANACH HÄTTE ES SCHÖN SEIN MÜSSEN (2001). Triviales und Mediokres ohne Ambition sucht man vergebens in Bettina Böhlers Filmografie, auch nur ganz wenige Fernsehproduktionen sind dort zu finden. In Gabriele Voss‘ Buch „Schnitte in Raum und Zeit“, in dem auch Böhler zu ihrer Arbeit befragt wird, sagt sie: „Im Fernsehen sieht man oft einen sogenannten ‘Establisher‘, damit sagt man: Hier sind wir, da sitzen die Figuren. Dann geht man näher heran. Ich finde das ziemlich langweilig.“ Nicht- Langeweile muss man sich erst einmal leisten können. Bettina Böhler kann das.

Aus dem Filmkalender 2010