Claude Sautet 23. Februar 1924 – 22. Juli 2000

„Mich interessiert das Banale“, sagte Claude Sautet einmal und meinte damit das Gegenteil vom Seichten und Trivialen. In den 14 Filmen, die er in 40 Jahren als Regisseur gedreht hat, ging es ihm zumeist um die Verwirrung der Gefühle seiner Protagonisten und die kleinen und großen Zwischenfälle, die sie aus der Bahn warfen. Das Banale – es manifestierte sich schon in den Titeln von zwei seiner bekanntesten Arbeiten: DIE DINGE DES LEBENS (1970) und EINE EINFACHE GESCHICHTE (1978). Wie kaum ein anderer analysierte und porträtierte er die französische Gesellschaft, nicht bitter und ätzend, sondern mit leichtem Strich und einer großen Sympathie für seine Figuren, auch und gerade für die gestrandeten und gescheiterten. Vor allem die Bourgoisie ist das soziale Kraftfeld seiner Filme, der saturierte Mittelstand ohne materielle Sorgen, damit mit umso größeren emotionalen Defiziten. Häufig sind es die Männer, die in eine Krise geraten, durch einen Unfall oder – wie in den meisten Fällen – durch eine Frau. Eine Krise, „vor welcher, während welcher und nach welcher alle Sicherheiten zu wanken beginnen und die Verletzlichkeit meiner Figuren bloßgelegt werden.“ (Sautet)

Claude Sautet

Claude Sautet ist mit dem Namen der berühmtesten Schauspieler des französischen Kinos von den 70er bis weit in die 90er Jahre verbunden: Michel Piccoli, Ives Montand, Gérard Depardieu, Jacques Dutronc, Daniel Auteuil, Emmanuelle Béart und natürlich Romy Schneider. Sie spielte in fünf seiner Filme mit. Erstmals in DIE DINGE MEINES LEBENS, einem psychologisch sensibel erzähltem Liebesdrama an der Seite von Piccoli, gleich darauf in der gleichen Personalkonstellation in DAS MÄDCHEN UND DER KOMMISSAR (1971). Darin prallen eine Prostituierte und ein vom Ehrgeiz zerfressener Ermittler aufeinander, der mit ihrer Hilfe eine Gaunergruppe aufliegen lassen will, und liefern sich einen dramatischen abgründigen Showdown – eine der vielleicht herausragendsten Darstellungen von Romy Schneider und einer der vielleicht besten Filme Sautets überhaupt. Es folgten in den nächsten Jahren CÉSAR UND ROSALIE (1972), VINCENT, François, PAUL UND DIE ANDEREN (1974), MADO (1976) und EINE EINFACHE GESCHICHTE: Eine Frau, gespielt von Romy Schneider, hat ein Kind aus einer früheren Verbindung abgetrieben, kehrt zu ihrem Ex-Mann zurück, der sich in einer neuen Beziehung befindet, und wird von ihm schwanger. Eine einfache Geschichte, die in Sautets brillanter Inszenierung zu einem Krisenpsychogramm von Menschen in der Mitte ihres Lebens wird. EINE EINFACHE GESCHICHTE erhielt dafür eine Oscar-Nominierung in der Kategorie bester fremdsprachiger Film.

Die 70er Jahre waren Sautets fruchtbarste Schaffensperiode. Nach dem Studium an der Filmhochschule in Paris drehte er zwei Kriminalfilme mit Lino Ventura – DER PANTHER WIRD GEHETZT (1960) und SCHIESS, SOLANGE DU KANNST (1965) –, die ohne durchschlagenden Erfolg blieben. Bis zu seinem Durchbruch mit DIE DINGE DES LEBENS schrieb er eigene Drehbücher oder überarbeitete als Scriptdoktor die anderer. Nachdem es in den 80ern ein wenig still um ihn geworden war, kehrte er mit EIN HERZ IM WINTER (1992), einem Kammerspiel um einen emotional erkalteten Geigenbauer mit Daniel Auteuil und Emmanuelle Béart, triumphal zurück. Der Film erhielt bei den Filmfestspielen in Venedig den silbernen Bären. Nicht weniger hochgeschätzt wurde auch seine letzte Regiearbeit: NELLY & MONSIEUR (1995). Wieder spielte Béart die Hauptrolle. Der Film handelt von der uneingestandenen Liebe zwischen einer jungen Frau und einem älteren Mann, einfühlsam und mit sparsamsten Mitteln erzählt. Sautet, der immer für ein Autorenkino frei von den Manierismen und akademischen Auswüchsen einer Nouvelle Vague etwa stand, hatte in seinem Spätwerk zu größtmöglicher Einfachheit gefunden.

Aus dem Filmkalender 2010

Zum Weiterlesen: https://www.schueren-verlag.de/programm/titel/447-unstillbare-sehnsucht-msm-56.html