Würdigung des herausragenden Schauspielers Conrad Veidt

«Er hat beschwörende Augen. Einen unheimlichen Mund. Eigenartige Hände. Sein Gang ist beängstigend – und faszinierend. Sein Lächeln kann sadistisch sein – oder sehr possierlich. Da ist etwas an ihm, das nicht ganz normal erscheint. Aber ich weiß nicht, was es ist. Man schaut ihn an und denkt ‹Irgendetwas geht hier vor!›» So schilderte die Filmjournalistin Gladys Hall 1941 ihre Begegnung mit Conrad Veidt.

Conrad Veidt (1893–1943) war der prägende Schauspieler der expressionistischen Phase des deutschen Films in den 1920er-Jahren, etwa in Das Cabinet des Dr. Caligari (1919). Aber auch in den Jahren danach drehte Veidt in Deutschland, England und in den USA viele Filme, denen er durch seine charakteristische, dämonische Ausstrahlung einen besonderen Charakter verlieh.

Nach anfänglicher Ablehnung des Filmgeschäfts wurde er rasch das Gesicht des deutschen Films: Conrad Veidt scheute sich nicht, in unbequemen Filmen wie Anders als die anderen (1919) mitzuspielen, dem ersten Film, in dem Homosexualität zum Thema gemacht wurde. 1933 verließ Veidt Deutschland und engagierte sich als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. In Erinnerung bleibt sein Auftritt in seinem vorletzten Film, Casablanca (1944). Dort spielt er den deutschen Major Strasser.

Sabine Schwientek lässt in ihrer Biografie, aus der wir im folgenden zitieren, auf lebendige Weise das Leben des Schauspielers vor dem Hintergrund des politischen Geschehens während der Weimarer Republik lebendig werden.

Du musst Caligari werden!

Dieser mysteriöse Befehl lauert überall in der Stadt, auf Litfaßsäulen, in der Tagespresse und verwirrt das eigentlich an Kuriosa gewöhnte Berliner Publikum. Die Neugier ist geweckt, und irgendwann in dieser Zeit vor der Premiere, stellt sich jeder die Frage: Wer oder was ist Caligari? Noch bevor man des Rätsels Lösung erfährt, hat einen das Caligari-Fieber längst infiziert: Man muss ihn sehen, diesen Film, der allein durch seine originelle Werbung vorgibt, etwas Besonderes zu sein. Alles an diesem Meisterwerk ist beklemmend bizarr: die Story, die Kulissen, die Charaktere. Wie verstörte Kinder irren die Akteure durch das Städtchen Holstenwall, vorbei an sich bedrohlich neigenden Wänden, durch düster-verwinkelte Gassen, über groteske Brücken, während sich schwarze Baumsilhouetten wie Klauen gen Himmel recken: ein Schauplatz, vom Wahnsinn kreiert. Durch das geniale Spiel mit der Perspektive und dem Hell-Dunkel-Kontrast verliert sich der Zuschauer in einer surrealen Bildwelt und damit im pathologischen Gedankenchaos eines Geisteskranken.

Das Cabinet des Dr. Caligaro von Robert Wiene

Conrad Veidt und Werner Krauß (Dr. Caligari) passen ihr Spiel dieser Wahnwelt perfekt an, indem sie gezielt unnatürlich agieren. Die affektierte Mimik und Gestik ihrer Rollenfiguren ist an mechanisches Spielzeug angelehnt. Die stilisierte Darstellung betont Caligari und Cesare als Stereotypen der Angst.

Archetyp des Leinwand-Dämonen

Veidt interpretiert seine Rolle als Quintessenz psychologischer Untiefen, als den Teil der menschlichen Natur, der zeitlos unbegreiflich und furchteinflößend bleibt. Sein Cesare, das Urbild späterer Leinwandzombies, nimmt als ferngesteuerte Mordmaschine in scheinbar düsterer Divination die Entwicklung im späteren Nazi-Deutschland vorweg. Und doch wirkt Veidts Cesare nie hölzern oder stereotyp. Veidt spielt ihn als ein wandelbares Wesen, das geisterhaft wie ein Schatten an der Hauswand entlang gleitet oder sich mechanisch, mit entseeltem Blick seinem Opfer nähert. Gleichzeitig erlaubt Veidt dem von ihm geschaffenen Monstrum im Wortsinn Augenblicke der Menschlichkeit. Er lässt Cesare eine subtile Tragik, eine dumpfe Sehnsucht. Sichtlich bewegt von der Schönheit seines Opfers, hält Cesare in seinem mörderischen Auftrag inne. Die zum Mord bereite Hand wird zur Geste der Zärtlichkeit. In solchen Momenten wird dem Zuschauer der eigentliche Horror der Geschichte bewusst: das Schicksal eines zur Ohnmacht und Willenlosigkeit verdammten Menschen, künstlich zur Kreatur gemacht.

In der Geschichte des Horror- und Fantasyfilms gilt Veidts Darstellung bis heute als eine der einflussreichsten. Die Rolle des Cesare macht ihn zum Archetyp des Leinwand-Dämonen.

Sabine Schwientek

Erfahren Sie mehr über Conrad Veidt:

https://www.schueren-verlag.de/programm/titel/611-daemon-der-leinwand-conrad-veidt-und-der-deutsche-film-1894-1945.html