Hat sie noch eine Chance auf Zukunftsgestaltung oder wird sie zwischen den auseinanderdriftenden Kräften unserer Gesellschaft zerrieben werden?

Und wie könnte ein linkes Leitnarrativ für eine Welt jenseits des Marktradikalismus aussehen, das eine emanzipatorische und solidarische Gesellschaft der Freien und Gleichen, ohne Unterdrückung und Ausbeutung, in Aussicht stellt? In Krisensituationen hilft manchmal ein Blick in die Vergangenheit. Ohne gründliche Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse und reformtheoretische Begründung des politischen Handelns wird es keinen Wiederaufstieg «links der Mitte» geben.

Für eine solche «geistige Erneuerung» stand bereits vor rund 120 Jahren der sozialdemokratische Theoretiker und Politiker Eduard Bernstein, dessen Revisionismus das Praxisdefizit marxistischer Kapitalismuskritik anging und die eigentliche Verbindung zwischen Marx/Engels und moderner Sozialdemokratie darstellt. Doch heute führt Eduard Bernstein, Journalist, Schriftsteller, Politiker und Begründer des theoretischen Revisionismus, im geschichtspolitischen Diskurs und in programmatischen Analysen links der Mitte ein Schattendasein. Auch im Selbstverständnis der SPD als die eigentliche sozialdemokratische Partei spielt die Erinnerung an Bernstein eine marginale Rolle.

Es ist also an der Zeit, Bernstein dem Schattendasein zu entreißen und danach zu fragen, ob Bernsteins Konzept eines radikalen Reformismus uns auch heute, wo sich die Sozialdemokratie wie die Demokratie selbst in einer tiefen Identitäts- und Existenzkrise befinden, wieder Orientierung geben kann.

Der Band prüft Bernstein an verschiedenen Stellen seines Denkens und Wirkens auf dessen Aktualität und schlägt bewusst Brücken zwischen historischer Forschung, ideengeschichtlicher Interpretation und heutiger politischer Debatte „links der Mitte“. Darüber hinaus werden drei zusammenhängende Dimensionen des Politischen bei Bernstein deutlich , die noch immer aktuell sind, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden wissen und die Rekonstruktion sozialdemokratischer Identität befördern können. Indirekt liefert der Band auf diese Weise auch Denkanstöße für die Zeit nach Corona.

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Horst Heimann, Hendrik Küpper, Klaus-Jürgen Scherer (Hg.):
Geistige Erneuerung links der Mitte.
Der Demokratische Sozialismus Eduard Bernsteins
342 S. | Pb.| 25,00
ISBN 978-3-7410-0267-0

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