Mathias Kopetzki erzählt, warum und für wen er sein Buch „ÜBERLEBEN IM DARSTELLERDSCHUNGEL – Wegweiser für freischaffende SchauspielerInnen“ geschrieben hat
Mathias Kopetzki bei der Buchvorstellung

Die Sehnsucht nach diesem Buch entstand schon vor vielen Jahren. Damals war ich mir aber noch nicht bewusst, dass ich selber es initiieren und schreiben würde. Ich wusste nur, sowas müsste es einfach geben.

Ich war gerade nach Berlin gezogen, nach meinen ersten aufwühlenden Jahren im festen Engagement, in denen ich mehr oder weniger durchgearbeitet hatte.
Diese Jahre waren wir im Rausch verflogen, und ich hatte alles meinem heißersehnten Traumberuf untergeordnet: Mein Privatleben, der Ort, an dem ich leben wollte, meine Beziehungen, Freundschaften, meine Finanzen, ja teilweise sogar meine Gesundheit. Ich hatte eine Menge „Ups“ erlebt, tolle Momente auf Proben, in Vorstellungen, auf Parties, aber auch sehr viele „Downs“, die mich letztendlich dazu gebracht hatten, meine feste Stelle in der Provinz zu kündigen. Ich hatte mich abhängig gemacht, abhängig vom System Stadttheater, vom System „Zuckerbrot & Peitsche“. Und ich wusste, dass ich einen kalten Entzug brauchen würde, um mich aus diesem System zu befreien. Doch wie genau das vonstatten gehen sollte, das wusste ich nicht. 
Ich war eine Menge Illusionen los, die ich mir über diesen Beruf gemacht hatte, fühlte mich frei und mutig, etwas neues anzufangen, gleichzeitig aber wie im freien Fall. Denn das so sicher scheinende Netz, das ich mir mit Festverträgen um mich herum mit den Jahren aufgebaut hatte, existierte nicht mehr.
Nun hockte ich also in Berlin, in der Metropole der Arbeitslosen Schauspieler, joblos, geldlos, perspektivlos, aber ganz viel mit dem ausgestattet, was ich mir schon lange erträumt hatte: Freiheit.

Endlich hatte ich die Chance, mit meiner Schauspieltätigkeit das zu machen, was ich am liebsten wollte – und nicht das, was mir das schwarze Brett im Theater befahl, was mich Intendanten, Regisseure machen ließen. Denn von ihrer Gnade, von ihrem „Goodwill“ mir gegenüber war ich bisher abhängig gewesen. Jetzt stand ich da, Ende 20, angefüllt mit überschäumender Kraft und Spiellust, ein gesunder junger Mann in der Blüte seiner Jahre, im großen, unbekannten, unüberschaubaren Berlin, vollkommen alleine. Und ohne Plan. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Ich wusste nicht, wie ich meinem neugewonnenen freischaffenden Alltag eine Struktur geben könnte.
Wie ich waren auch viele Schauspieler-Freunde nach Berlin gezogen, um freischaffend tätig zu sein, die meisten von ihnen hatten ebenfalls erst mal genug vom „Stadttheater“, von ihren ersten, oft eher frustrierenden Erfahrungen als Festangestellte. Doch wussten auch sie genauso wenig wie ich, wie ihre Zukunft aussehen sollte, und auf was sie sich da überhaupt in ihrem freischaffenden Leben einlassen würden. Wenn wir es zuvor gewusst hätten: Wahrscheinlich hätten wir es auch hübsch bleiben lassen.

Mit Anja Gräfenstein, Identity-Stylistin, einer seiner Gesprächspartnerinnen

Um es kurz zu machen: ich bekam in der ersten Phase meines freischaffenden Lebens die Füße nicht so recht auf dem Boden, und fühlte mich weder durch mein 4jähriges „Elite-Studium“ noch durch meine zu diesem Zeitpunkt dann ja doch schon mehrjährige Berufserfahrung nicht ausreichend gewappnet für diesen Beruf. 
Auch kannte ich nicht genügend Leute, die mich auf die Schnelle mit ein paar Spitzfindigkeiten, Tricks, Infos ausstatteten, die mein Überleben fortan sichern könnten. Und die mich in die Richtung dessen bringen würden, was ja eigentlich mein Ziel gewesen war, als ich diesen Beruf irgendwann einmal ergriffen hatte: ein glücklicher Schauspieler zu werden.

Überhaupt ist ja das Wörtchen „Glück“ der Hauptgrund, weshalb ich dieses Buch geschrieben habe. Denn ich möchte nichts weniger, als dass all die Leute die es lesen, nach der Lektüre eine Spur glücklicher sind, oder zumindest wissen, wohin ihr Weg in Richtung Glück sie treiben kann. Das klingt vielleicht etwas hochtrabend, und daher möchte ich es ein wenig erläutern. 
Ich finde nämlich, dass dem „Glücklichsein“ in diesem wunderbaren Beruf, den wir ausüben dürfen, all die Mythen entgegenarbeiten, die über ihn im Umlauf sind. Und ich rede dabei nicht von Klischees a la „Was machen Sie eigentlich tagsüber?“ Nein: Dieser Beruf lebt zum großen Teil innerhalb derer, die ihn ausüben oder ausüben wollen, von einer riesigen Mythifizierung, durch die das Glück vieler Kolleginnen und Kollegen beeinträchtigt wird, oder sogar zum Opfer fällt.

Ein erster Mythos ist: „Jeder Schauspieler muss Film- oder zumindest Fernsehstar sein, um als erfolgreich zu gelten“

Ich finde nicht, dass ein erfolgreicher Schauspieler gleichbedeutend ist mit einem erfolgreichen Film- oder Fernsehstar.
Das ist es allerdings, was die „Gesellschaft“ uns über unseren Beruf einzureden versucht.
Aber: Unser wunderschöne Tätigkeit ist die Menschen-Darstellung, ist das Spiel, durch das wir die Dinge begreifen, verändern, mit ihnen umgehen können.
Seit jeher haben die Menschen Spiel dazu genutzt, um einander den Spiegel vorzuhalten, um unerklärliche Dinge erklärlich zu machen.
Das Spielen ist ein Geschenk, dass uns Menschen mitgegeben wurde. Und wir SchauspielerInnen haben die einzigartige Möglichkeit, es als Profession auszuüben. Wir gehen mit Gefühlen um, mit unserem Körper, unserem Lieben, unserem Hassen, unserem Aufbäumen und unserem Scheitern, auf extreme Art und Weise, und können am Ende einer Aufnahme oder eines Theaterabends doch immer sagen: war alles nur gespielt, hatte mit uns selber nichts zu tun.
Wie dieses Spielen nun genau vonstatten geht, ob auf einer Bühne, vor einer Kamera, vor einem Mikrofon, ist im Grunde gleich, zumindest für den wahrhaft Spielenden.
Wichtig ist, dass seine Persönlichkeit, sein Spieltrieb heraustritt, gefordert wird, und zur Geltung kommt. Das Innere ist wichtig, nicht das äußere.
Daher ist vermeintlicher „Erfolg“ im gesellschaftlichen Sinne nur eine Zutat, nicht der Sinn des Spiels.

Es gibt sehr, sehr unglückliche, weil beruflich unbefriedigte Filmstars. Und es gibt sehr glückliche Schauspieler in der Off-Szene, die ihr Leben lang kaum Geld mit diesem Beruf verdienen, aber immerhin das machen, was sie künstlerisch erfüllt. Daher ist es unsinnig – zumal als Schauspieler, die wir diesen extremen, im Grunde unbürgerlichen Beruf ergriffen haben – permanent den bürgerlichen Werten hinterher rennen, und ihnen gerecht werden zu wollen. Man muss als SchauspielerIn kein Film-Star werden, um erfolgreich zu sein. Man muss es stattdessen schaffen, das zu werden, was einen in diesem Beruf irgendwann mal hinein getrieben hat, seinem ureigenen Spieltrieb, in seiner ganz individuellen Form gerecht zu werden. Dann, nur dann ist man in meinen Augen ein „erfolgreicher“ Schauspieler. Das ist die Philosophie, die neben zahllosen praktischen Überlebens-Tipps meinem Buch zugrunde liegt. Oder wie Hamlet sagt: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, die eure Schulweisheit nicht lehrt.“

Apropos Schulweisheit: Damit kommen wir zum zweiten Mythos, den zwar nicht die komplette Gesellschaft nährt, aber immerhin die meisten Schauspielschulen, und das seit vielen Jahrzehnten. Es ist der Mythos, dass ein guter, handwerklich hervorragend ausgebildeter Schauspieler mit großartigem künstlerischen Talent eigentlich nur eine Laufbahn einschlagen sollte: die klassische „Stadttheaterkarriere“. 

Dieser Mythos ist befeuert durch unsere jahrhundertelang gewachsene Tradition der deutschsprachigen Kulturnation, mit seinem unvergleichlich subventionierten Theatersystem. Nur leider zeigt dieses System seit Jahren innere und äußere Risse. Seit Jahren werden zahllose Stellen abgebaut, und im Gegenzug das Hiercharchiegebilde, die Gagen- und Vertragsstrukturen immer mehr in Frage gestellt. Die klassische, durchgängige „Stadttheater-Karriere“ – vor zehn, zwanzig Jahren für viele SchauspielschulabsolventInnen noch Usus und erstrebenswert – hat an Attraktivität eingebüßt. Gleichzeitig sind viele neue Arbeitsmöglichkeiten für SchauspielerInnen entstanden und gewachsen, die an den meisten Schauspielschulen nicht ausreichend vorgestellt werden oder als „unangemessen“ gelten. Das ist schade. Und auch mit diesem Defizit möchte mein Buch aufräumen, indem es etliche Bereiche, in den SchauspierInnen heutzutage arbeiten können, näher beleuchtet.

Mathias Kopetzki mit Gregory B. Waldis, Fotograf, einem seiner Gesprächspartner für sein Buch
Damit hängt auch der Dritte Mythos zusammen:
Es gäbe so etwas wie U und E.

Wie ich finde, eine ausgesprochen deutsche Sicht auf die Welt, die zur Folge hat, dass es hierzulande eine Unzahl plattester Komödien und Schmonzetten gibt und abgetrennt davon viel „ernsthafte“, humorlose Hochkultur, die keiner sehen will, außer ein paar Kritikern, die regelmäßig Preise dafür vergeben. Das „Vereinen“ dieser beiden Pole wird selten gewagt: Hervorragende, klischeelose, provokante Kunst, die in leichtem Gewand, unterhaltsam und massentauglich daherkommt. Hierfür spricht sich mein Buch aber eindeutig aus, indem es die scheinbar unvereinbaren Arbeitsfelder gleichbedeutend nebeneinander stellt: das Boulevard neben das Stadttheater, das freie, experimentelle Theater neben das Freilichtspiel, den Krankenhaus-Clown neben den CEO-Coach. Beispielsweise.

Ein Vierter Mythos: „Schauspieler sind Einzelkämpfer – man sollte möglichst nichts von seinem Erfolgsgeheimnis verraten“.

Ich muss zugeben: Als ich das ganze vergangene Jahr damit zubrachte, all diese ExpertInnen rund um die unterschiedlichsten Aspekte meines Berufes zu treffen und von ihnen wertvolle, inspirierende, handfeste Infos über meinen Beruf zu erhalten, die ich größtenteils noch gar nicht kannte, dachte ich mir auch das eine oder andere Mal: „Wieso bin ich eigentlich so blöd und schreibe ein Buch? Wieso behandle ich all diese tollen, weitreichenden Karrieretipps nicht als geheimes Herrschaftswissen, und veredele mir damit nur meine eigene Schauspielkarriere?“ Hmm. Vielleicht, weil es meine Innerste Überzeugung ist, dass es überlebenswichtig ist für unsre Spezies Mensch – und damit auch für die Spezies Schauspieler! – zu teilen: Infos, Inspiration, Kreativität, Erfahrungen – aber auch Sorgen, Ängste, Hoffnungen. Und das Schöne ist: nicht nur ich TEILE diese Einstellung, sondern alle, die sich in diesem Buch mit ihrem Wissen und ihrer Leidenschaft zur Verfügung gestellt haben.

Fünfter Mythos: „Ein Künstler sieht sich nicht als Ware. Er überzeugt durchs Spiel, nicht durch kaufmännische Fähigkeiten.“

Aber ich denke: ein Künstler muss seine Fähigkeit genauso feilbieten, wie ein Bäcker sein Brot oder wie Steve Jobs das iPhone. Und er muss arbeiten an diesen Fähigkeiten, und zwar in die Richtung, in die er arbeiten will, nicht die, die ihm die Gesellschaft oder die Schule vorgibt: Um irgendwann vielleicht an seinem Ziel angekommen zu sein, mit seinem Beruf, der ja vermutlich mal sein Traumberuf gewesen ist, glücklich zu werden.

Und mit diesem Ziel, möglichst viele glückliche, erfolgreiche SchauspielkollegInnen um uns herum zu haben, breche ich mir, brechen wir uns alle, schließlich keinen Zacken aus der Krone.

Das Buch von Mathias Kopetzki gibt es als Buch und ebook über jede Buchhandlung oder hier: