Geboren am 13. Juni 1951

«Dieser Junge wollte kein Schauspieler werden», scherzte Stellan Skarsgård kürzlich beim Anblick seines Filmdebüts als rebellischer 16-Jähriger in der schwedischen «Tom Sawyer»-Variante Bombi Bitt und ich (1968). «Der wollte Diplomat werden.»

Zur politischen Karriere hat es nicht ganz gereicht, und doch wurde Skarsgård schon früh eine Art Botschafter des skandinavischen Films. Mit gerade mal 31 Jahren gewann er für seine Darstellung in Der einfältige Mörder (1982) den Preis als Bester Darsteller auf der Berlinale. Danach durfte er in Schweden alles spielen: Romantische Helden, verzweifelte Bauern und sogar die schwedische James-Bond-Version, den Superagenten Carl Hamilton. Mit Filmen wie Sven Nykvists Der Ochse (1991) oder Erik Skjoldbjærgs Insomnia – Todesschlaf (1997) war er zudem Stammgast in Cannes und bei den Oscars, sodass bald andere internationale Filmemacher und schließlich auch Hollywood auf seine erstaunliche Bandbreite aufmerksam wurden. Wobei Skarsgård mit anderen europäischen Darstellern das Schicksal teilt, alle denkbaren Nationalitäten zu spielen: Einen tschechischen Ingenieur in Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (1988), einen ostdeutschen Geheimagenten in Ronin (1998) oder einen russischen U-Boot-Kapitän in Jagd auf Roter Oktober (1990). Skarsgård wurde zu einem «character actor» in reinster Form – er kann alles spielen, und meist spielt er sehr viel auf einmal. Denn er ist ein Meister der Ambivalenz: Nicht selten kippen seine Figuren von sympathisch zu grauenhaft, von arrogant zu tragisch, von verdächtig zu liebenswert – und manche bleiben rätselhaft bis zuletzt. Kein Wunder, dass er sieben Filme mit Lars von Trier drehte: Manche Regisseure lieben es, den Tonfall und die Sympathie des Publikums langsam kippen zu lassen. Und kaum ein Darsteller kann seinen Charme und seine Wärme so plötzlich ein- und abschalten wie Stellan Skarsgård.

Viele seiner Charaktere sind kompetente Fachmänner, die ihr Handwerk stoisch und stur ausführen – sei es die Schneepflug-Reparatur, die Politik oder das Töten. Das gilt besonders für seine historischen Figuren, die zwanghaft versuchen, mit Hilfe ihres Könnens eine feindselige Welt zu verstehen oder zumindest zu überleben, und die nicht selten daran zerbrechen: Der deutsche Komponist Furtwängler im Dritten Reich, der spanische Skandal-Maler Goya und die Kirche, der schwedische Diplomat Wallenberg im Zweiten Weltkrieg, der amerikanische Geschäftsmann Tappan während der Sklaverei und kürzlich der russische Parteifunktionär Shcherbina in der Chernobyl-Katastrophe. Viele Nationalitäten, viele Gesichter, viele Meister-Regisseure (darunter David Fincher, Kenneth Branagh, Milos Forman, Paul Schrader, Steven Spielberg oder Istvan Szabó) – und immer das gleiche Chamäleon namens Stellan Skarsgård auf der Leinwand. Da sind seine Auftritte in großen Blockbuster-Franchises wie Avengers und Pirates of the Caribbean eher eine unterhaltsame Nebenbeschäftigung.

Stellan Skarsgård in Einer nach dem anderen (2004) (Neue Visionen)

Skarsgård wird dieses Jahr 70 Jahre alt – aber seine Karriere ist so lebendig wie und je. Und sein Name lebt ohnehin weiter. Denn genau wie sein Einfältiger Mörder-Regisseur Hans Alfredson, der mit seinen Söhnen Daniel und Tomas eine schwedisch-amerikanische Regie-Dynastie etabliert hat, sind auch gleich drei von Skarsgårds eigenen Söhnen als Schauspieler in Hollywood erfolgreich: Alexander ist ein vielfach preisgekrönter Star aus True Blood und Big Little Lies, Gustav spielt in Westworld und Vikings, und Bill erschreckte das Publikum als Clown Pennywise in It. Das schwedische Banner wird also auch weiter über der Filmwelt wehen.

Daniel Bickermann

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2021. Auch der Kalender für 2022 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.