1971 erscheinen mit Dirty Harry und French Connection
zwei Klassiker des Polizeifilms
«This is the story of two killers» raunte einst unheilvoll eine Stimme über dem Trailer zu Don Siegels Actionklassiker Dirty Harry und kam der Wahrheit bedenklich nahe. Da wäre zum einen der Scorpio-Killer, fiktionalisiert, doch über-
deutlich auf den zur gleichen Zeit wütenden Zodiac-Mörder anspielend. Killer Nummer zwei: Der einzelgängerische Detective «Dirty» Harry Callahan. Noch bevor die Credits ihr Ende finden, steht Callahan auf dem gleichen Dach des Wolkenkratzers, von dem aus Scorpio eine junge Frau per Scharfschützengewehr ermordet hat. Sein Blick ruht mit der gleichen lauernden Euphorie auf seiner Stadt San Francisco wie das Fadenkreuz Scorpios. Ihre Motivationen sind ähnlich: Es gibt so viel zu töten in dieser Stadt.
Es wird noch ein Jahr dauern, bis Watergate auch die letzten Illusionen an der Integrität der Regierung Lügen straft. Der Sixties-Blues wird bald einem abgeklärten Pessimismus weichen. Zumindest in den Kinos jedoch hatte die Zeitenwende, die man sich erhoffte, stattgefunden. Statt für solide Jedermänner oder die «strong silent types» á la Gary Cooper begeisterte sich eine Generation plötzlich für Outlaws wie Bonnie und Clyde (1967), Hippie-Rocker wie in Easy Rider (1969), Schluffis wie Dustin Hoffmann in Die Reifeprüfung (1967) oder vom Pech verfolgte Stricher in Asphalt-Cowboy (1969). New Hollywood war da.
Zeitenwende hin oder her: Zu behaupten, dass die amerikanische Nouvelle Vague dieser Jahre einen Graben zwischen die kreativen Generationen geschlagen hätte, wäre dennoch falsch. Es war auch eine Zeit, in der Routiniers von einst die Sehgewohnheiten stückweise doch prägnant zu verschieben wussten. Studio-Haudegen Don Siegel gehört zu den Grenzgängern, die mit der neuen gestalterischen Freiheit umzugehen wussten. In Clint Eastwood fand er einen willfährigen Kollaborateur, dessen Understatement mit der kompakten Zweckdienlichkeit Siegels harmonierte. Die Gunst der Stunde ließ Experimente zu. Das Gespann Siegel/Eastwood wusste sie für die Variation eines ihrer Lieblingsthemen zu nutzen: Der amerikanische Heldenarchetyp auf dem Prüfstand der Zeit. Wo ihre staubtrockene Cowboy-in-der-großen-Stadt-Gaudi Coogans großer Bluff (1968) noch heitere Fingerübung war, sollte Dirty Harry die todernste Kür sein. Faustrecht der Prärie – angewandt im Großstadtdschungel von San Francisco.
Mit John Milius fand sich eines der New Hollywood-Maskottchen schlechthin unter den Drehbuchautoren wieder. Harry zählt zu seinen glücklichsten Antihelden. Schließlich kann er seine Mordlust in gesellschaftlich anerkannte Bahnen lenken und sich noch des Applauses von breiten Teilen des Mittelstandes sicher sein, die gern genauso wüten würden. Selbst Pauline Kael zeigte sich auf ambivalente Art von Harry angetan. Genreunterhaltung, so Kael, neige immer zum Flirt mit dem Faschismus. So deutlich und frei von jedem Feigenblatt wie in diesem Märchen von mittelalterlicher Barbarei tritt er selten zu Tage. Ist dies noch eine reaktionäre Allmachtsfantasie, schon Faschismus oder gar satirischer Bruch? Eine Frage, die im Raum steht. Bis heute.
Wie passend, dass Harry in diesem Jahr einen Bruder im Geiste auf der Leinwand zu haben schien. Während Harry in San Francisco seinen Gelüsten nachgab, hetzte sein Kollege Jimmy «Popeye» Doyle (Gene Hackman) durch die Straßenschluchten New Yorks. Anders als das Veteranenduo Siegel/Eastwood, das die Gepflogenheiten des Genres kannte und respektierte, betrat William Friedkin die Bühne von der anderen Seite. Von den Arbeitsbedingungen des Fernsehens geprägt, zeichneten sich sowohl seine Arbeiten als Dokumentarfilmer (die Todesstrafenreportage The People vs. Paul Crump) als auch frühe Spielfilme (The Birthday Party, The Boys in the Band) durch formal-inhaltlichen Wagemut aus. Friedkin schien ein Mann für die Nische zu sein, ein Teil der Gegenkultur.
Die Entscheidung, ihn mit der Inszenierung des Non-Fiction-Bestsellers French Connection, der trockenen Chronik über die Ermittlungen des New Yorker Cop-Gespanns Eddie Egan und Sonny Grosso gegen einen Marseiller Schmugglerring zu betrauen, sollte ein kühner Glücksgriff der Filmgeschichte bleiben. Mit der Neugier des Dokumentarfilmers und der Experimentierfreude des Avantgardisten stürzte er sich auf die Materie und den real existierenden New Yorker Superbullen Egan. Charakterkopf Hackman verleiht ihm Physis und Getriebenheit – eine Dekonstruktion der toxischen Persönlichkeit Egan/Doyle bleibt jedoch aus. Der Antiheld bei Friedkin bleibt stets Chiffre, die sich dem Zuschauer nicht erschließt. Vielmehr lernt der Zuschauer, die Umgebung durch die Augen Doyles zu betrachten. Keine schöne Aussicht. Nächtliche Beschattungen, Razzien in der «Szene», die genüssliche Demontage eines Lincoln Continental, in dem Doyle heiße Ware vermutet oder das Showstopper-Setpiece im Herzen des Films, die Verfolgungsjagd einer Hochbahn per PKW zur Stoßzeit – French Connection wirkt wie eine spontan eingefangene Explosion negativer Energie vor den Augen furchtloser Dokumentarfilmer. Mann beißt Hund im New York Groove!
Wo Siegel und Eastwood noch die Frage aufwerfen, wie viel Wahnsinn in den Ermächtigungsgesten des amerikanischen Heldenmythos steckt, ist Popeye Doyle wenig mehr als ein mit staatlicher Autorität versehener Bully, der sich nicht helfen kann und der in keinem anderen Beruf funktionieren könnte. Ein Glück, dass es Schurken gibt, die seinen Jähzorn vom Normalbürger ablenken. So zog Friedkin, ein Bewunderer schöngeistigen Weltkinos von Bunuel bis Ozu, diebische Freude daraus, das Schurkenpersonal mit Stars des europäischen Arthouse-Kinos zu besetzen. Mit aristokratischer Würde tigert Euro-Charakterdarsteller und Bunuel-Spezi Fernando Rey als Euro-Kingpin durch die Szenen, während der Held einem polternden Proleten gleicht. Schwer zu sagen, was Doyle mehr verachtet: Kriminalität oder Kultiviertheit.
Sowohl der Cowboy von den Straßen San Franciscos als auch der Rüpel aus dem Asphalt-Labyrinth von New York sollten den Nerv des Publikums treffen. Nicht immer so, wie die Macher es beabsichtigten. So mochte Siegel vielleicht ein Psychogramm über gewalttätige Abgründe der amerikanischen Seele vor Augen gehabt haben. Das Publikum zeigte sich angetan von den Methoden des Neofaschisten mit der Riesenwumme und machte Dirty Harrys Amoklauf zu einem der größten Hits des Jahres. Statt sich mit brutalen Gelüsten im Herzen nationaler Folklore auseinanderzusetzen, wurde Callahan als Antwort und Heilsbringer für die Frustrationen einer «schweigenden Mehrheit» umarmt. Die Gegenkultur mochte die Fondas, Bob Dylan, Bonnie und Clyde, Shaft und die Anti-Baby-Pille haben – die Silent Majority indes hatte Richard Nixon und Harry Callahan – die Avantgarde zur Avantgarde. Der weiße Terror. In einer Schlüsselszene schießt Popeye Doyle flüchtenden Schurken in den Rücken. Szenenapplaus. Das Motiv fand später seinen Weg auf die Plakate, mit denen French Connection beworben wurde. O tempora, o mores!
Auch wenn Callahan nach seinem letzten Abschuss, der kaum verhohlenen Hinrichtung des Scorpio-Killers, die Marke wegwarf, fand er sie doch wieder, um in vier Sequels aus allen Rohren zu feuern. Die Ambivalenzen des Originals suchte man vergebens und lediglich der zweite Teil, Dirty Harry II – Callahan (1973), in dem sich Harry mit einer Selbstjustiz übenden Todesschwadron der städtischen Polizei konfrontiert sieht, die in seinen Methoden ein leuchtendes Vorbild sieht, lohnt einen flüchtigen Blick. Ein wenig wirkt die Auseinandersetzung mit offenem Faschismus wie eine Distanzierung von allzu euphorischen Fans der Callahanschen Rechtsprechung. Das Skript von Michael Cimino denkt das von allen Hemmungen befreite Gerechtigkeitsempfinden der Frontier-Justice kritisch zu Ende, während Regiesöldner Ted Post einen der bleihaltigsten Actioner der Seventies zurechtzimmert.
Auch Popeye Doyle kehrte zurück. Beflügelt vom Kassenerfolg und einem warmen Oscarregen (Film, Regie, Hauptdarsteller, adaptiertes Drehbuch und Schnitt) wurde die Jagd fortgesetzt. Während Friedkin seine Lust an der Publikumsverstörung derweil mit Der Exorzist (1973) fortsetzte, wurde mit John Frankenheimer ein weiteres Schlachtross aus den Zeiten des alten Hollywood engagiert, das die Zeitenwende als Jungbrunnen begriff. Auch wenn die subversive Kraft des Originals unerreicht blieb, darf das konventionelle inszenierte, doch ungewohnt introspektive Sequel aus dem Jahre 1975 zu den interessantesten Kreuzungen zwischen Genrereißer und Psychodrama zählen. Wo der Erstling seinen Höhepunkt in einer rasanten Verfolgungsjagd findet, glänzt Frankenheimer mit provozierender Entschleunigung und einem Seelenstriptease von bedrückender Intensität. Von Widersachern bei auswertigen Ermittlungen in Marseille in eine Falle gelockt und unter Drogen gesetzt, zerfällt die harte Schale Doyles und offenbart ein gekränktes Kind, das seine Wunden nie zu überwinden vermochte und sein zerfallendes Selbst nur durch brutale Gesten in Form zu halten weiß. Der Macht seines Amtes beraubt, wirkt der Souverän mit einem Mal wie ein Loner auf Kriegsfuß mit einer Welt, die seine Werte nicht zu teilen bereit ist. Wo Harry sich zu einem Racheengel für die versehrte Seele des selbsternannten «wahren Amerikas» entwickelte und wenige Jahre später in Charles Bronsons Death Wish-Reihe eine Zuspitzung erfuhr, wirkt Doyle in French Connection II wie ein Prototyp für Taxi Driver Travis Bickle. Wo Bronsons verwitweter Vigilant noch für seine Klasse zur Knarre greift, braucht Travis (und seine realen Nachahmer) nur noch eine Zielscheibe, auf die ihre privaten Frustrationen projiziert werden.
Während Friedkin in den Folgejahren mit radikal düsteren Werken wie Atemlos vor Angst (1977), Cruising (1980) und Leben und Sterben in L. A. (1985) das Grenzgebiet auslotete, in dem seine Exzentrik sich mit dem Geschmack des Publikums deckte (Spoiler: nicht sehr lang), entwickelte sich Eastwood zum ebenso produktiven wie streitbaren Regisseur, der in seinen Werken immer wieder von amerikanischen Helden und US-Exzeptionalismus erzählte. Immer wieder wurden auch Western- und Cop-Narrative als Rahmen für mal elegische, mal betuliche Meditationen über die Volksseele bedient. Am prägnantesten im 1993er Wildwest-Schwanengesang Erbarmungslos, in dem er ein letztes Mal den müden Revolverhelden gab, der mehr aus Gewohnheit und finanzieller Not denn aus einem Gefühl der Berufung einen Auftrag als Gun for Hire annimmt. Ein banales Verbrechen fordert nach alttestamentarischer Rache und Eastwoods Alter Ego William Munny ist der Mann, der sie ausführen soll. Als Vertreter weltlichen Rechts steht ihm der Sheriff Little Bill Dagget gegenüber, für dessen Darbietung Gene Hackman mit seinem zweiten Oscar nach French Connection geehrt wurde. Während Munny nicht ohne Zweifel und Skrupel die Frontier-Justice des alten Westerns vertritt, bedient sich Dagget nicht minder zimperlicher Methoden, um das Model weltlichen Rechts durchzusetzen und der Gewalt des Westens ein Ende zu bereiten. Zwei amerikanische Helden bei einem Diskurs über Recht, Gerechtigkeit und Rechtsprechung, Tradition und Moderne? Klar, dass das im Blutbad enden muss.
Robert Cherkowski
Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2021. Auch der Kalender für 2022 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.
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