Geboren am 21. Juli 1971
Charlotte Gainsbourg wird 1971 direkt ins Rampenlicht hineingeboren: Zwei Jahre zuvor hatten ihre Mutter, die britische Schauspielerin Jane Birkin, und ihr Vater Serge Gainsbourg mit «Je t’aime … moi non plus» ein ebenso erfolgreiches wie skandalöses Chanson veröffentlicht. Auch die Tochter packt die Lust an der Provokation früh. 1984 nimmt sie mit ihrem Vater den Song «Lemon Incest» auf. Im Video rekelt sie sich dazu mit dem halbnackten Serge auf dem Bett, beide besingen melancholisch die Liebe, die sie nie werden lieben dürfen. Mit sichtlicher Freude am Eklat produziert die inzwischen 15-Jährige 1986 mit ihrem Vater ihr erstes Album «Charlotte For Ever» nebst gleichnamigem Film, der erneut ein inzestuöses Verhältnis zwischen Vater und Tochter thematisiert. Die Frage nach einem autobiografischen Bezug verneint sie bis heute vehement.
Der plötzliche Tod des Vaters 1991 beendet vorerst ihre musikalische Karriere. Im selben Jahr lernt sie bei Dreharbeiten den Schauspieler und Regisseur Yvan Attal kennen, mit dem sie drei Kinder hat und bis heute zusammenlebt. Ihr schauspielerisches Debüt gibt sie bereits 1984 in Duett zu dritt an der Seite von Catherine Deneuve. Zwei Jahre später wird sie für ihre Rolle in Das freche Mädchen von Claude Miller mit dem französischen César als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet. 1993 folgt ihr englischsprachiges Debüt in Der Zementgarten. Ein düsteres Familiendrama unter Regie ihres Onkels Andrew Birkin, in dem ihre Figur Teil einer inzestuösen Geschwisterbeziehung ist. Zu Beginn des neuen Jahrtausends wirkt sie vermehrt in internationalen Produktionen mit. 2003 spielt sie in dem Ensemble-Film 21 Gramm mit Naomi Watts, Sean Penn und Benicio del Toro, in Michel Gondrys Science of Sleep (2006) und ist eine von Bob Dylans Alter Egos in I’m Not There (2007). Sie widmet sich auch wieder der Musik und veröffentlicht zwei Alben, beide kommerziell und bei der Kritik erfolgreich. Bei Konzerten haucht sie ihre Songs, wirkt entrückt, zerbrechlich.
Die Faszination von Gainsbourg liegt aber genau in diesem Widerspruch zwischen ihrer öffentlichen Zurückhaltung und der Unbarmherzigkeit, mit der sie ihre Rollen verkörpert.
Nirgends ist das so deutlich wie in ihrer Komplizinnenschaft mit Lars von Trier. Während vor allem Björk nie wieder mit dem depressiven Misanthropen arbeiten will, dreht Gainsbourg ihre besten Filme mit ihm. Zuerst treibt er sie in Antichrist (2009) durch ein psychologisches Dickicht voller Schmerz und Trauer, an dessen Ende sie sich als personifizierte Mutter-Natur selbst die Klitoris abschneidet. In Melancholia (2011) spielt sie Kirsten Dunsts rationale Schwester, die irrational die Apokalypse verleugnet. Physisch geht sie in Nymphomaniac (2013) bis an ihre Grenzen: In acht Kapiteln erzählt sie als Joe rückblickend von der Erforschung und Erprobung ihrer sadomasochistischen Begehren.
Der Suizid ihrer Halbschwester Kate Barry markiert 2013 eine Zäsur. Charlotte verlässt Paris und zieht sich mit ihrer Familie nach New York zurück, bleibt aber produktiv. Auch privat scheint sie die Unzerbrechliche zu sein. Ihr fünftes Album «Rest» setzt sich unter anderem mit dem Selbstmord der Halbschwester auseinander. Für das Kino arbeitet sie fortan in kleineren, europäischen Projekten oder mit ihrem Partner Attal zusammen. Auftritte in größeren Produktionen wie in Roland Emmerichs Sequel zu Independence Day (2016) und in Der Schneemann (2017) bleiben die Ausnahme. Zuletzt dreht sie 2019 mit Gaspar Noé Lux Æterna.
Maxi Braun
Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2021. Auch der Kalender für 2022 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.
Schreibe einen Kommentar