1973 startet mit Der Clou ein prägender Beitrag zum Genre des Heist bzw. Caper Movies
Der Filmerfolg des Jahres 1969 war der vierfach oscargekrönte Zwei Banditen, und in Der Clou findet dessen Erfolgstrio erneut zusammen: George Roy Hill als Regisseur sowie Paul Newman und Robert Redford, jetzt in den Rollen der Trickbetrüger Gondorff und Hooker. Vielleicht mögen die Universal Pictures sogar anfangs enttäuscht gewesen sein, dass der in derselben Weihnachtswoche 1973 gestartete Der Exorzist der Konkurrenz von Warner Bros. noch ein paar Dollar mehr in die Kinokassen einspielen sollte. Dennoch, 50 Jahre später gilt Der Clou immer noch als ein Höhepunkt eines Genres, dessen unterschiedliche Stränge Hill kunstvoll vermischt, und es steht fest, dass dieser «Clou» sich sowohl finanziell wie auch künstlerisch ausgezahlt hat.
Das Heist- und Caper-Kino hatte es in den USA zunächst nicht leicht. Der junge Tonfilm empörte mit Obszönität und Gewalt (z.B. in Der kleine Cäsar und Der öffentliche Feind, beide 1931, und Scarface, 1932, die von realen Vorbildern inspirierte Gangster beim Aufstieg in der Unterwelt begleiten) die braven amerikanischen Steuerzahler bzw. zumindest den Teil derselben, der in einflussreichen konservativen Lobbygruppen organisiert war, so dass sich ab dem 1. Juli 1934 die US-Filmindustrie der Selbstzensur des Hays Code unterwarf. Dieser Produktionscode verbot unter anderem die detaillierte Darstellung von Verbrechen sowie eine sympathische Darstellung von Kriminellen.
Frühe Filme mit spektakulären Raubüberfällen wie Rächer der Unterwelt (1946) und Gewagtes Alibi (1949, beide von Robert Siodmak) sind daher noch klassische Film noirs, in denen eine Erzählung in Rückblenden schnell klarstellt, dass den von der Femme fatale in Verbrecherkreise gelockten Protagonisten ein schlimmes Ende erwarten wird. Doch schon hier sind die Überfälle auf einen Geldtransporter bzw. ein Lohnbüro, obwohl nur äußerst knapp in Szene gesetzt, die eigentlichen Schauwerte.
Ob es insofern richtig ist, John Hustons großartigen Asphalt-Dschungel (1950) als ersten Heist-Film einzuordnen, soll dahinstehen; jedenfalls wird hier die raffinierte Konzeption und Ausführung des jeweiligen Einbruchs bzw. Raubs endlich das zentrale Handlungselement; auch findet sich schon die typische Zusammensetzung der Bande aus professionell agierenden Spezialisten. In Asphalt-Dschungel: der geniale Planer, der Finanzier, der Safeknacker, der Fahrer, der Mann fürs Grobe; Huston zeigt insbesondere den Letzteren als romantisch-tragische Figur, dessen äußere Härte nur Reaktion auf die lebensfeindliche Brutalität einer Großstadt ist.
Durchbruch des Genres mit Rififi
Seinen Durchbruch erfuhr das Genre aber fernab von Hollywood, wenn auch nicht ohne amerikanischen Einfluss. Jules Dassin, der während der Kommunistenhatz der McCarthy-Ära auf der schwarzen Liste landete, was einem Berufsverbot in den USA gleichkam, emigrierte nach Frankreich und drehte dort Rififi (1955), der unbeeindruckt von den Vorgaben des Hays Codes in einer halbstündigen Sequenz den nächtlichen Einbruch in ein Pariser Juweliergeschäft schildert. Die Bande überwältigt das Hausmeisterehepaar, dringt in eine Wohnung ein, durchbricht dort den Boden zum darunterliegenden Geschäft, überwindet die Alarmanlage und bohrt den Tresor auf – und das alles unter Vermeidung jeglichen Lärms, der die Straftat verraten könnten, somit auch ohne Dialoge und in der Inszenierung von Dassin auch ohne Filmmusik; jedes Geräusch wird hier zum Feind der Protagonisten.
Ob Dassin die Sensation, die dieses Zentrum seines Films für das Publikum ausmachen würde, völlig vorausgeahnt haben mag, darf bezweifelt werden, zumal der Film danach noch eine Stunde in rasantem Tempo weitergeht, in der die Diebe mit konkurrierenden Verbrechern um die Beute kämpfen. Der ebenso brutale wie erfolgreiche Rififi gehörte schnell zum filmischen Kanon, worauf sich das Genre alsbald durch zahlreiche Parodien (z.B. Meine Tante, deine Tante, 1956; Als geheilt entlassen, 1959; Balduin, der Geldschrankknacker, 1964) jugendfrei domestizierte.
Auch Hollywood-Altmeister Lewis Milestone verlässt sich folglich statt auf harte Kerle nun auf Charme und Stil, wobei sein Frankie und seine Spießgesellen (1960) eher durch seine Versammlung der Las-Vegas-Prominenz (u.a. Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis jr., Peter Lawford und Joey Bishop rauben gleich fünf Casinos in einer Nacht aus) als durch Spannungsaufbau überzeugt.
Das Leben schreibt doch die besten Geschichten…
Im August 1963 folgt unerwartete Hilfe aus der Realität. Im legendären Überfall auf den Postzug von Glasgow nach London stahlen die Täter 2.600.000 Pfund und inspirierten so selbst mehrere Filme (z.B. den etwas drögen westdeutschen TV-Dreiteiler Die Gentlemen bitten zur Kasse (1966), den englischen Reißer Millionen-Raub (1967) und den französischen Klamauk Das Superhirn (1969)). Mehr und mehr grenzte sich der Caper mit dem noch etwas rauen Top Job (Italien, 1967), dem patriotisch-optimistischen Charlie staubt Millionen ab (England, 1969) und vor allem Dassins mit vornehmlich französischem Team gedrehter US-Produktion Topkapi (1964) vom ruppigen Gangsterfilm ab. Jetzt ist es der nach höherem strebende menschliche Verstand, der sich zwar im kriminellen Dienst, doch mit Artistik und Witz mit den vermeintlich unüberwindlichen Sicherheitsfestungen der bürgerlichen Gesellschaft misst. Topkapi gilt dann auch als die wesentliche Inspiration für die fernsehserialisierung des Genres durch Kobra, übernehmen Sie (1966-1973), in welcher Spezialisten eines fiktiven US-Geheimdienstes nach den Regeln des Capers mit Täuschungsmanövern und Verkleidungen ebenso fiktive osteuropäische oder südamerikanische Regime unterwandern, und den verbrecherischen Coup durch einen moralisch gerechtfertigten Coup d‘Etat ersetzen – während zumeist im Kino den sympathischen, doch leider kriminellen Protagonisten in den letzten Filmsekunden die schon sicher geglaubte Beute weiterhin abhandenzukommen hat.
Der Clou versprach den kleinen, wichtigen Schritt weiterzugehen: «This time they might get away with it» verrät der US-Trailer, in bewusster Abgrenzung zum berühmten Schlussbild von Zwei Banditen, in welchem Redfords und Newmans Charaktere noch ihren Heldentod im Kugelhagel sterben mussten. Der erfolgreiche Caper ist freilich selbst in Hollywoodproduktionen, wenn auch als Ausnahme, schon vorgekommen, erst recht nachdem 1968 endlich der längst unzeitmäßige Hays Code abgeschafft wurde. Aber bereits in Geraubtes Gold (1958), der die Handlung von Asphalt-Dschungel in den wilden Westen verlegt, darf Ernest Borgnines Figur am Ende die titelgebende Beute behalten, lernt den Wert echter Freundschaft und findet wahre Liebe. Im ballerfreudigen Kriegsfilm Stoßtrupp Gold (1970, über einen Bankraub zwischen den Fronten des Zweiten Weltkriegs) entfliehen US-Infanteristen ihren zu spät kommenden Kameraden/Konkurrenten in herrlicher Beleidigung sämtlicher angeblicher soldatischer Tugenden im goldbeladenen Wehrmacht-LKW Richtung Schweiz. Sogar Redford selbst ist gerade erst als Hauptdarsteller von Vier schräge Vögel (1972) einen Edelsteindiebstahl gelungen.
Der Clou kombiniert hier gleich mehrere der daraus gelernten Argumente, warum seine Helden belohnt zu werden verdienen: Wie in Vier schräge Vögel wird ein Gegner eingeführt, gegenüber dem die gewaltlos agierenden Helden nahezu redlich erscheinen, wie beim anarchistischen Stoßtrupp Gold fehlt ein funktionierendes staatliches Ordnungs- und Rechtssystem, und wie in Geraubtes Gold wird die Handlung von jeglichem gegenwärtigen Bezug entkoppelt – und hier in die Depressionszeit des Jahres 1936 verlegt.
Filmische Inszenierungskniffe
Hill flicht offensichtliche künstliche Stilmittel als organische Bestandteile in eine nur vordergründig realistische Inszenierung ein. So gliedern bebilderte Texttafeln den Clou in einzelne Kapitel (Filmschnitt-Oscar an William Reynolds) oder ist die Filmmusik (Oscar an Marvin Hamlisch) nie subtile Untermalung, sondern setzt sich offensiv in den Vordergrund, gerne in Montagen oder als Überleitung und unter Verwendung der beschwingten, doch eigentlich anachronistischen Ragtime-Kompositionen von Scott Joplin (†1917). Obwohl Der Clou zudem nur drei große Hollywood-Stars in den Hauptrollen hat – neben Redford und Newman noch Robert Shaw als skrupelloser Gangsterboss Lonnegan – spiegelt er weitere Starpower einfach vor, indem der nach dem Vorbild eines Theaterprogrammhefts gestaltete Vorspann acht weitere, mäßig bekannte Nebendarsteller prominent inszeniert und in Filmausschnitten mit Nameneinblendung und Rollenbezeichnung stolz präsentiert.
Der Vorspann endet mit einem Standbild einer schmutzigen Fassade, vor der Arbeitslose an der Eingangstür der Heilsarmee anstehen (Ausstattungs-Oscar an Henry Bumstead und James W. Payne). Doch in dem Moment, in dem dieses Foto in das laufende Filmbild übergeht, bewegen sich nicht etwa die dort gezeigten Personen, sondern fährt die Kamera in die Kulisse hinein und endet auf einem die Szenerie rasch durchquerendes Paar betont eleganter Schuhe (Kostüm-Oscar für Edith Head), deren Träger zu Hookers nächstem Opfer werden soll. Newmans Gondorff tritt erst in der 25. Filmminute auf. Davor gibt der ausgiebige Prolog, in welchem Lonnegans Killer aus nichtigen Gründen einen Freund von Hooker und Gondorff ermorden, den Protagonisten die notwendige, glaubhafte Motivation, um sich mit dem gefährlichen Lonnegan anzulegen und diesen mit einem genialen Trickbetrug um 500.000 Dollar zu erleichtern. Überhaupt ist der Film bei genauer Betrachtung für eine Komödie, als die er trotzdem nicht zu Unrecht gehandelt wird, von erstaunlicher Düsternis: So wird Hooker von einem brutalen und korrupten Polizisten verfolgt, vermeintlich von einem FBI-Agenten zum Verrat an seinem Partner Gondorff genötigt und findet sich in ständiger Flucht vor Lonnegans Auftragsmördern.
Seine erstaunliche Leichtigkeit verdankt Der Clou denselben Mitteln der Täuschung, die der etwas heruntergekommene Gondorff und der verloren wirkende Hooker nutzen. Wie ihre Darsteller schlüpfen die ehrenwerten Betrüger und ihre Komplizen in Rollen, in denen sie sich in ihren teuren Anzügen eleganter, abgeklärter und überlegener geben als sie wirklich sind. Die Kulissen des luxuriösen Wettbüros, das die Betrüger in einer dunklen Nebenstraße einrichten, sind Äquivalent zu Hills in verschwenderischen Kulissen aufgebautem Film-Chicago der 1930er, und selbst seine Härten, etwa wenn Hooker schockiert vor einer durch einen Kopfschuss niedergestreckten Leiche steht, macht der Film sogleich wieder vergessen und stellt eine behutsam beruhigende Hand für Filmfigur und Publikum bereit oder gleitet mit Joplins spielerischen Melodien zur nächsten Szene.
Wie der getäuschte Lonnegan, der glaubt, dass er den Ausgang der Wetten, auf die er sich einlässt, kontrolliert, lässt auch das Drehbuch (Oscar für David S. Ward, dem eine Meisterleistung perspektivischen Erzählens gelingt) den Zuschauer immer in der Illusion, auf der Höhe des Geschehens zu sein, gar zu wissen, welche Gefahr unterschwellig den Filmhelden droht, wer Verbündeter und wer Feind ist, und bleibt dann überrumpelt im Kinosessel zurück, während vor ihm das letzte Filmbild in einer Irisblende entschwindet. Der Clou ist nicht deshalb so perfekt, nur weil er sein Genre ausfüllt und innoviert, sondern weil er die Scheinwelten selbst feiert und weiß, dass sein Publikum betrogen werden will: Hier ist der Film Betrug, 24-mal in der Sekunde.
Carsten Tritt
Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2023. Auch der Kalender für 2024 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.
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