Ein Auszug aus dem Buch Gustaf Gründgens. Filmische Arbeiten 1930-1960 von Kristina Höch

Der 1917 seinen Kriegsdienst absolvierende Gustaf Gründgens, geboren am 22.12.1899 als Gustav Arnold Heinrich Gründgens in Düsseldorf-Oberkassel, bekam ein Armeeverordnungsblatt in die Hände, in dem das Fronttheater Erwähnung fand, was ihn dazu animierte, sich dort mit erfundener Bühnenerfahrung zu bewerben. So kam es, dass er am 2.10.1918 zum ersten Mal im Stück Jugendfreunde auf einer Theaterbühne stand. Die Grundsteinlegung für die Schauspielkarriere war erfolgt.

Gustaf Gründgens schaut kalt und herablassend (schwarzweiß-Bild)
Gustaf Gründgens in ‹So endete eine Liebe› (D 1934, Regie: Karl Hartl)
© Beta Film / DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum e.V., Frankfurt / KINEOS Sammlung

Nach dem Ersten Weltkrieg führte es ihn zurück in die Heimat, wo er eine Schauspielausbildung bei Gustav Lindemann und Louise Dumont absolvierte. Nach diversen Engagements in Düsseldorf verschlug es ihn zu den städtischen Bühnen Halberstadt, über die Vereinigten Städtischen Theater zu Kiel und das Städtische Kurtheater Eckernförde in die Großstadt Hamburg, wo er unter anderem an den Kammerspielen bis 1928 Station machte, bevor es ihn in die Hauptstadt zog.

Sein Streben nach der Findung des passenden, des eigenen Gesichts innerhalb der Berliner Theaterwelt wurde aus seiner Sicht dadurch torpediert, dass die Filmwelt auf ihn aufmerksam und er schnell in eine Schublade gesteckt wurde. 20 Jahre und viele Erfolge später beschäftigte ihn diese Entwicklung in einem Interview zu seinem 50. Geburtstag immer noch ungemein: Der Film sei vielleicht schuld daran, dass er früher als typischer Filmschurke gegolten habe. Dies klebe immer noch an ihm, obwohl er die Rollen nur gespielt habe, weil er leben musste. Er sei immer noch verblüfft, wie wenig das Bild, das man von ihm habe, mit seiner Person zusammenpasse.

Erste Filmerfolge und Rollen-Typisierung

1929 drehte er an der Seite von Richard Tauber und Paul Hörbiger seinen ersten Film Ich glaub’ nie mehr an eine Frau, der im Februar 1930 uraufgeführt wurde. Winrich Meiszies lag richtig in der Annahme, dass die Rolle des Zuhälters Jean bezeichnend dafür war, wie der Film Gründgens zukünftig sehen werde.

An der Tatsache, dass er oft die gleichen Rollentypen porträtierte, war er aber selbst nicht unschuldig. Als er 1929 nach Berlin kam, war seine Erscheinung definitiv keine unauffällige oder klassische. Mit einem oder zwei Monokeln ausgestattet, kurzen Haaren oder gar rasiertem Schädel war er zwar elegant, hatte aber auch etwas Stählernes, Hartes, Distanziertes, Kühles – Adjektive, mit denen der junge Mann nicht identifiziert werden wollte, obwohl es gerade diese Eindrücke waren, die ihn zum Erfolg führten und mit denen er sich zunächst auch gerne auf Werbefotos präsentierte, wie z. B. auf der Ross-Postkarte 7846/1. Ein strenger, zur Seite gewandter Blick durch das Monokel, der die Betrachtenden arrogant ignoriert, vermittelt Unnahbarkeit und Distanz.

Schwarzweiß-Bild von Gustaf Gründgens mit Hut und Monokel, nach rechts blickend
Gustaf Gründgens:
Ross-Postkarte 7846/1

Bis einschließlich 1934 folgten 19 weitere Filme – inklusive zwei Mehrsprachenversionen –, in denen Gründgens mit wenigen Ausnahmen als zwielichtiger Verbrechertypus und fragwürdiger Antagonist zu sehen war. Gründgens war damit durchaus erfolgreich: Man interessierte sich für ihn, er faszinierte. Immer wieder wurde er zum Objekt der Begierde von Tages- und Fachpresse. Es gibt zahlreiche mehrseitige Beiträge, die sich mit ihm als Schauspieler, Regisseur und als Privatperson auseinandersetzten.

Natürlichkeit und Verwandlung

Gründgens soll einmal geäußert haben, dass ein Schauspieler kein großer Könner sei, wenn er sich nur natürlich benehme. Ziel sei es, «die ihm […] zugemuteten Unnatürlichkeiten zu einer Art höherer Natürlichkeit zu formen». Dabei ist interessant, dass Gründgens das Ziel eines Schauspielers als «höhere Natürlichkeit» definiert haben soll. Denn über Natürlichkeit echauffierte er sich gerne und oft:

Ich muß hier einschalten, daß ich das Nachahmen der Natur in der Kunst für die lächerlichste und unwürdigste Bemühung halte, die ich kenne. Man kann mir viel nachsagen, aber wenn einer von mir sagen würde, ich wäre ein «natürlicher Schauspieler», so würde er mich wirklich kränken.

Gustaf Gründgens, Vortrag am 26. Januar 1937 in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft

Wenn er den Begriff Natürlichkeit mit einer positiven Assoziation verwendete, meinte er immer nur eine natürliche Wirkung, die sich dadurch vollzog, dass das Künstliche und das Künstlerische höchstmöglich gesteigert wurden.

Mit diesem Verständnis eines Schauspielers feierte er Erfolge, denn seine Popularität stieg von Anfang an stetig und nach kurzer Zeit exponentiell. Gründgens hatte im Sprechtheater, in der Oper und im Film mehr als genügend Arbeit und Angebote. Obwohl er als schwierig galt, über Regieambitionen verfügte, gerne über seine Rollen diskutierte und Vorschläge machte, war er begehrt.

Ambivalenz zum Film

Man könnte durch diese dauerhafte Bestätigung von allen Seiten meinen, dass seine Berliner Anfänge und die folgenden Rollen – vor allem was das Finanzielle anging – gar nicht so schlimm waren, wie das anerkannte Multitalent es gerne darstellte, denn dazu gezwungen, jede einzelne Rolle anzunehmen, hatte ihn niemand. In einem Interview anlässlich des Films Das Mädchen Johanna findet sich die Anmerkung, dass er über eine nahezu kindliche Freude am Spiel und an der Popularität verfüge. Es sei ein gutes Gefühl, in eine andere Stadt zu kommen und sich selbst auf den Werbeplakaten zu sehen – dies brauche er als Künstler zur Bestätigung und Ankurbelung.

Dafür, dass seine Arbeit für den Film für Gründgens auch positive Aspekte hatte, spricht ein Interview in einer von der Ufa herausgegebenen Artikel-Sammlung zu Die schönen Tage von Aranjuez (1933). Darin spielt er an der Seite von Brigitte Helm und Wolfgang Liebeneiner einen international agierenden Betrüger, der zunächst nur den eigenen Vorteil im Blick hat, aber im Verlauf der Narration doch noch ein paar Gefühle zulässt. Eine Pause am Set nutzte der Autor des Artikels, um mit Gründgens ins Gespräch zu kommen, und notierte folgende Aussage:

Ich bin durch fast alle meine Filmrollen hindurch der Hochstapler des deutschen Films, bin das verbrecherische und dämonische Element, das sich außerhalb menschlicher Gesetze stellt. Von Film zu Film bereitet es mir immer wieder Vergnügen, von einer anderen, einer jeweils neuen Seite her die Gestaltung meiner Rollen anzupacken, frei von jeder Klischeewirkung. Nicht ein Hochstapler- und Verbrechertum, das sich in gestenreicher Mimik und in Augenrollen erschöpft, ich spiele nicht meine Rollen, ich lese sie! […]. Ja, meine bösen Menschen «singen Lieder». Ich bemühe mich stets, die Wirkung des Unheimlichen, des Bösen durch humoristische Schlaglichter aufzulockern und der Filmgestalt damit eine gewisse Eindeutigkeit zu entziehen.

Gustaf Gründgens

Ein ungewöhnliches und selten positives Zitat, wenn man bedenkt, dass Gründgens im Fernsehinterview mit Günter Gaus drei Monate vor seinem plötzlichen Tod am 7.10.1963 in Manila kaum ein gutes Haar an seinen frühen Filmrollen ließ.

Kristina Höch

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