Bernadette Kolonko zur Entstehung des Gesprächsbandes «Unsichtbares und Ungesagtes»

UNSICHTBARES UND UNGESAGTES – 10 Female*Feminist*Gazes ist das Ergebnis einer 3-jährigen künstlerischen Forschungsarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste, in der ich mich vertieft mit der Frage einer feministischen Ästhetik in den Filmen einer jetzigen Generation von feministischen Filmemacher*innen auseinandergesetzt habe. Aber eigentlich begann diese Suchbewegung schon viel früher, vor gut 10 Jahren an der Filmhochschule, an der ich selbst Regie studierte.

Bernadette Kolonko und Susanne Heinrich in Leipzig, 2019

Als ich dort meinen ersten fiktionalen Drehbuchtext über eine junge Frau präsentierte, rief mein Professor noch bevor sonst jemand etwas sagen konnte: «also diesen Text, den kann ja nicht einmal Lars von Trier inszenieren.» Mal davon abgesehen, dass ich kein Interesse hatte, dass Lars von Trier meinen Text inszenierte, blieb ich dennoch mit dem diffusen Gefühl zurück, dass meine Erzählung in der Welt des Filmes keinen Platz hatte. Vor allem schien mein Spiel mit filmischen Formen und mein Figurenverständnis nicht den Erwartungen an ein fiktionales Drehbuch zu entsprechen. Ich verschob den Text in eine Schublade.

Suchen abseits der Norm

Dennoch blieb in mir etwas Widerständiges lebendig, ich wollte anders erzählen als es die Norm war. Ich kannte nur für diese Lust am Widerständigen keine Sprache. Es war stattdessen ein diffuses Gefühl in meinem Körper verankert, der sich sträubte, sobald mir Bilder oder Plots «ans Herz gelegt» wurden, die ich einfach so nicht erzählen konnte, da sie für mich ein patriarchales Kino und vorherrschende Machtstrukturen verkörperten – wobei ich auch das damals noch nicht so hätte ausdrücken können.

Ich wollte dem Leben näherkommen, wie ich es empfand, wollte die Bilder, die ich vor mir sah oder meine zersplitterten Wahrnehmungsräume auf Leinwänden sehen. Vor allem aber wollte ich weiblich gelesene Figuren anders darstellen, dachte an die Geschichten meiner Mutter, meiner Grossmütter und meiner Freund*innen und erkannte die häufige Unsichtbarkeit unserer Lebensfragen im Kino. Ich begriff Filmästhetik immer mehr als politische Haltung, um diskriminierende Strukturen sichtbar zu machen und zu reflektieren. Aber das plot-zentrierte Erzählen war übermächtig. Die klassisch-narrativen Regeln führten wie überall zu einfachen und damit auch oft stereotypen Lösungen. Ich wollte weibliche Lebensrealitäten sichtbar machen und sah darin zu viele Brüche, um es in der klassischen Form zu tun. Ich suchte weiter.

Von Inspirationen aus der feministischen Filmgeschichte…

Nach einigen Wechseln und neuen Professorinnen öffneten sich in meinem Studium neue Türen und ich sah Filme, die ich vorher nicht kannte. Dank dem Einsatz unserer Gleichstellungsbeauftragten Susanne Foidl konnten wir die Filmwissenschaftlerin Prof. Dr. Renata Helker einladen, die feministische Filmgeschichte unterrichtete und eine neue Filmwelt eröffnete.

DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE (1984; Regie: Ulrike Ottinger): Barbara Valentin, Magdalena Montezuma und Irm Hermann als Schicksalsgöttinnen.

Ich sah zum ersten Mal, welche reiche feministische Filmgeschichte es in Deutschland gab, unter anderem entdeckten wir Jutta Brückner, Helke Sander, Ulrike Ottinger, Ula Stöckl und viele weitere. Wir bildeten als Gruppe von Studentinnen das Kollektiv f/9 und diskutierten auch über das Studium hinaus abendelang über feministische Perspektiven im Film. Wir suchten gemeinsam eine Sprache. Im Austausch entdeckte ich immer mehr meine eigene Perspektive dem filmischen Erzählen gegenüber. Doch zu meinem ersten Drehbuch fand ich nie wieder zurück, obwohl ich spätestens, nachdem ich NEUN LEBEN HAT DIE KATZE gesehen hatte, wusste, dass das zu erzählen möglich gewesen wäre.

Spätestens am Ende meines Studiums war mir klar, wie wenig Raum es in der deutschsprachigen Filmbranche gibt, für das, was mich beschäftigt. Ich entschied mich weiter zu suchen: nach dem Unsichtbaren und Ungesagten. Ich wollte durch Theorie und künstlerische Forschung eine «Male Gaze»-Struktur, sowie festgefahrene Strukturen der Heldenreise dekonstruieren und verstehen, wie bewusst in diesen Erzählstrukturen Frauen* unsichtbar gemacht werden. Und ich suchte weiter Methoden für die feministische Filmarbeit, suchte weiter nach dem Verhältnis und dem Zusammenspiel von Inhalt und Ästhetik. Das Lesen und die Auseinandersetzung mit Theorie verdeutlichten mir noch mal die strukturelle Dimension.

…bis hin zum eigenen Forschungsprojekt

Ich entschied mich schließlich, in meiner Forschungsarbeit den Fokus auf das Heute zu legen, stellte die Frage nach einer aktuellen feministischen Filmgeneration und sprach mit 10 feministischen Regisseur*innen: Welche feministischen Ästhetiken werden versucht, für die Lebenswirklichkeiten unserer Zeit? Wo wird nicht nur über Figuren, sondern auch über Formen, Dramaturgien und Erzählweisen nachgedacht und wo werden diese zersplittert, reflektiert, aufgebrochen? Wie können wir an die vorherigen feministischen Filmgenerationen anknüpfen? Welche Leerstellen gibt es immer noch? Wie kann feministische Filmwissen teilbar werden? Welchen Blick auf das Kino als feministischen Möglichkeitsraum gibt es?

For me, filmmaking is a queer feminist practice of liberation, about re-perceiving the world, re-seeing the world. It gives us time to see the world in different ways, like remembering what it could be like – that’s what a beautiful film is for me. And I like cinema as a place where you go into the dark and find the light; you sit there and actually make time and space for feelings and physicality. Cinema is a way of using the present to live out other futures.

Ester Martin Bergsmark

Die Interviews habe ich nun über drei Jahre geführt und mit einer Einleitung von mir in die Form eines Buches gebracht. Ich habe im Laufe dieser Gespräche und der Ausarbeitung in eine Textform erneut realisiert, wie lange ich abgeschnitten war von feministischem Filmwissen und wie wichtig das Teilen und Sichtbarmachen als feministische Praxis ist, oder wie Katharina Wyss es ausdrückt:

Etwas in einem Film sichtbar zu machen, heißt, dem Ungesagten einen Namen zu geben, es zu materialisieren in der Welt. Indem Filmmacherinnen den Dingen einen Namen geben, ist es möglich als Betrachterin zu einer ganzen Person zu werden. Ich meine damit, dass du dich mehr als ganzer Mensch fühlst, wenn all die verschiedenen Teile an dir benannt werden können.

Katharina Wyss

Besonders wichtig war mir bei der Gesprächsführung, zusätzlich zu den gestellten Fragen im zweiten Teil der Interviews mit den Filmstills der Interviewten zu arbeiten, die ich ihnen als Fragen vorlegte. So wurde das Sprechen über Blicke, Körperbilder, Schauspiel, Farben, also ästhetische Entscheidungen zentral. Des Weiteren habe ich in den Texten versucht, die gemeinsame Suchbewegung mit den verschiedenen feministischen Regisseur*innen abzubilden. Es war mir wichtig, die Interviews sprachlich in den jeweils eigenen Rhythmen und Ausdrucksweisen zugänglich zu machen und auch Momente des Ringens um Worte lesbar zu machen. Das Ringen um eine Filmsprache sollte sich abbilden, inmitten einer Filmbranche, die die zielorientierte straighte Erzählweise vor allem auch in der Förderung nach wie vor vorzieht, während diese aber eben für viele Menschen nicht ausdrückt, wie sich ihr Leben anfühlt.

Katharina Wyss und Bernadette Kolonko in Berlin, 2019

Während meiner Forschung wurde mir auch immer wieder bewusst, wie sehr Fragen der Ästhetik auch mit der Entwicklung anderer Arbeitsformen verbunden sind, wobei die Entwicklung von Stoffen oder Drehbuchtexten, oder auch von Schauspiel dann teilweise eben anders abläuft, als die klassische Handwerksvermittlung es vorgibt.

I even look for locations before the scriptwriting starts, so I can write the characters and everything within the location. I have my own way of writing. It is very organic, I do research and then I write and I look for locations myself and then I write again, look for actors and then I write again, and so on … I write my script mostly to discuss things and it changes further within the process. (…) For me, the script is never finished, it goes on and on, even until the editing, right up until the film is finished. For me, it is always rewriting and rewriting and rewriting.

Kamila Andini
Feministisches Filmwissen weitergeben

Mittlerweile unterrichte und mentoriere ich selbst, vermittle feministische Filmgeschichte. Was für mich den Ausschlag gab, die Interviews in einem Buch zu veröffentlichen, war die Erkenntnis, wie wichtig es ist, feministisches Wissen sichtbar zu machen, auch über dieses Forschungsprojekt hinaus. Ich habe immer wieder Studierenden Ausschnitte aus den Interviews gezeigt, denn Vorbilder haben etwas bestärkendes, auf der Suche nach dem eigenen Weg.

Anna Sofie Hartmann und Bernadette Kolonko in Berlin, 2020

Das Teilen feministischen Filmwissens, aber auch das Teilen von Wahrnehmungs- und Erfahrungsräumen wurde zum entscheidenden Moment dieses Projektes. Die Bedeutung von Materialität, Körperlichkeit, das Verhältnis von Körper und Raum, das Sprengen eines normativen Zeitverständnisses oder die präzise Arbeit mit Blicken sind ein paar der zentralen Punkte, die dabei immer wieder zur Sprache kamen.

Ich glaube eben auch nicht, dass es einen vom männlichen Blick emanzipierten Blick bereits gibt, sondern der müsste oder muss sehr mühsam erarbeitet werden. Ich glaube, wir können den im Moment erarbeiten, indem wir mit ihm spielen und ihn zeigen und ihn umdrehen – was ich ja in vielen Szenen gemacht habe.

Susanne Heinrich

Die Interviews im Buch können, aber müssen nicht chronologisch gelesen werden, sie werden als Sammlung von Arbeitsweisen und Methoden verstanden, durch die flaniert werden kann, die entdeckt werden können.

Mich beschäftigt die Frage, wie erzähle ich das, was mich interessiert in Bildern? Und welche Bilder erzählen dann den Film? In welchen Bildern halten wir uns auf? Ich weiß noch, in der Filmschule gab es oft dieses: Filme müssen so und so sein, damit sie funktionieren! Und ich habe reagiert mit einem: «Nein, wieso?» Bei mir war schon immer dieses Gefühl, dass es andere Arten zu erzählen, zu entdecken gibt.

Anna Sofie Hartmann

Vielleicht kann das Buch als eine Art Tragetasche verstanden werden, wie in der Theorie von Ursula K. Le Guin. Es gibt hier keine Heldenfigur auf einer Bühne, die sich hindurchzieht, keinen zentralen Konflikt, für den die Auswahl der Texte und Bilder instrumentalisiert wurde, sondern die Tragetasche ist gefüllt mit verschiedenen Blicken und Positionen, mit Gedanken, mit Filmtipps, mit Erfahrungsberichten, mit Wut, Lustvollem, mir Farben, mit Gesichtern, mit Landschaften, mit Menschen, mit Wundern, mit Wunden und mit Überraschungen. Sie alle stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander, manchmal gibt es Widersprüche, manche Ansichten werden geteilt und kommen immer wieder vor, manche treffen sich und manche sind einfach da, um dir zu sagen, dass du mit deinen Erfahrungen nicht alleine bist. Denn es zählt wirklich, in welchen Bildern wir uns aufhalten.

Bernadette Kolonko

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