Schauspielerin, Drehbuchautorin, Filmregisseurin und Filmproduzentin * 4. August 1983

Frontfrau der Mumblecore-Bewegung, It-Girl der Generation Y, Chloë-Sevigny-Lookalike oder Muse von Noah Baumbach – Fremdzuschreibungen gibt es über Greta Gerwig zuhauf. Dabei ist die in Sacramento aufgewachsene Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin mehr als eine Muse, sie ist ein Multitalent.

Als Schülerin einer katholischen Mädchenschule tanzt sie Ballett und liest wie besessen Theaterstücke von Eugene O’Neill, Arthur Miller oder Tom Stoppard. Später studiert sie Englisch und Philosophie in New York, wo ihre Leidenschaft für Film geweckt wird. 2006 tritt sie erstmals in Joe Swanbergs LOL auf. Hannah Takes the Stairs (2007) und Nights and Weekends (2008) folgen, Gerwig spielt die Hauptrolle und verfasst das Drehbuch mit.

Greta Gerwig in ‹Frances Ha›
Greta Gerwig in Frances Ha (USA 2012), © Ascot Elite

Sie wird Teil des Mumblecore, ein Low-Budget-Subgenre des US-amerikanischen Independent-Films, das sich durch naturalistisches Schauspiel und einen Fokus auf Dialoge und zwischenmenschliche Beziehungen von Mittzwanzigern auszeichnet. Hier lernt sie alle Gewerke kennen, schaut in Drehpausen den Bildgestaltern über die Schulter, beobachtet Regisseure und hängt nachts im Schneideraum ab.

Ihre Rolle in Greenberg (2010) an der Seite von Ben Stiller und Jennifer Jason Leigh bringt nicht den Durchbruch, in Regisseur Noah Baumbach finden sie aber einen Verbündeten. Der ist damals noch mit Leigh verheiratet, 2011 werden er und Gerwig ein Paar. Gemeinsam schreiben sie Frances Ha (2012) und Gerwig die Titelrolle auf den Leib. Als Tänzerin streift sie darin chronisch pleite, ziel- und rastlos durch ein schwarz-weißes New York. Coming-of-Age weniger slackermäßig als Lena Dunhams Girls (2012-2017), weniger krass als Phoebe Waller-Bridges Fleabag (2016-2019), aber humorvoll und einfühlsam. Mit Baumbach realisiert sie noch Mistress America (2015), danach tritt sie in Pablo Larrains Jackie (2016) und in Mike Mills‘ Jahrhundertfrauen (2016) auf. Die Schauspielerin Gerwig steckt voll vitaler Energie, rennt und tanzt, ist quirlig, gestikuliert. Ihre Figuren umweht trotzdem ein Hauch Melancholie. Stets ein wenig abwesend, neben der Spur, sympathisch verscheppert.

Greta Gerwig in ‹Greenberg›
Greta Gerwig in Greenberg (USA 2010), © Tobis

Aber sie kann mehr. Neben Woody Allen zählt sie Ernst Lubitsch, Chantal Akerman, Mia Hansen-Løve oder Agnès Varda zu ihren Vorbildern. Ihr Regiedebüt Lady Bird (2017), bei dem sie auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, realisiert sie mit 10 Millionen Dollar Budget. Weltweit spielt der Film 78 Millionen Dollar ein und wird 2018 für fünf Oscars nominiert, darunter für die Beste Regie. Es ist die erste Oscar-Verleihung nach #MeToo und Gerwig erst die fünfte Frau in der Geschichte der Academy Awards, die in dieser Kategorie nominiert ist. Ein Erfolg, auch wenn Lady Bird am Ende leer ausgeht. Gerwig empfiehlt sich dadurch, bei einer Adaption von Louisa May Alcotts Roman Little Women (2019) nicht nur das Drehbuch zu schreiben, sondern auch Regie zu führen. Es wird ein kraftvoller Film, mit Emma Watson, Florence Pugh, Timothée Chalamet, Laura Dern und Meryl Streep glänzend besetzt und unheimlich schön fotografiert, auch wenn von den sechs Oscar-Nominierungen diesmal keine für Gerwig dabei ist.

Derzeit läuft ihre Realverfilmung von Barbie mit Margot Robbie in der Titelrolle in den Kinos – und Mattels Mutter aller Komplexe wird durch sie erfrischend gegen den Strich gebürstet.

Gerwig ist keine Muse, sie ist Künstlerin. Wenn sie auf die Frage, ob die Beziehung zu Baumbach ihr Türen geöffnet habe, trotzig erwidert «I would have done it anyway. I will find that one door and then push it wide open […] I don’t need a man», glauben wir ihr jedes Wort.

Maxi Braun

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2023. Auch der Kalender für 2024 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.