Basic Instinct zieht 1992 eine Welle von Erotikthrillern nach sich

Den kommerziellen Wert der Blöße hat die US-Filmindustrie nie verkannt. Wenn eine Komödie wegen derber Sprache sowieso nur für Erwachsene freigegeben würde, was lag näher, als wie in Ich glaub‘, ich steh‘ im Wald (Fast Times at Ridgemont High, 1982, siehe Blogbeitrag) zugleich mit einer Oben-Ohne-Szene zu erfreuen? Auch wurden 9½ Wochen (9½ Weeks, 1986, mit Kim Basinger und Mickey Rourke) oder Wilde Orchidee (Wild Orchid, 1989, mit Rourke und Jaqueline Bisset) als große Erotiksensationen verkauft. Im Vergleich zu Europa, wo sowohl im Kunst- wie im Kommerzkino das, was die Amerikaner «full frontal nudity» nennen, damals zum guten Ton gehörte, war das natürlich völlig harmlos. So war es an dem »Holländer Paul Verhoeven, der nach USA gezogen ist, als seine Filme in Europa nicht mehr gefördert wurden« (um die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften aus deren Indizierungsbeschluss zu RoboCop, 1987, zu zitieren), mit Basic Instinct (März 1992) und Showgirls (September 1995) sowohl am Anfang wie am Ende des großen, wenngleich kurzen Sexrausches von Hollywood zu stehen.

Sharon Stone in BASIC INSTINCT (USA 1992), © StudioCanal

An beiden Filmen ebenfalls beteiligt waren der erfahrene Joe Eszterhas, der mit besagtem Showgirls und Jade (1995) zum bestbezahlten Drehbuchautor aufsteigen sollte, sowie die Produzenten Mario Kassar und Alan Marshall. Basic Instinct wurde mit jener berühmten Verhörszene aggressiv beworben, in der eine selbstsichere, von Sharon Stone gespielte Mordverdächtige dem Rudel männlicher Ermittler per Beinüberschlag die fehlende Damenunterbekleidung offenbart. Das so ins Kino gelockte Publikum wurde nicht enttäuscht und durfte sich an reichlich Sex in heißer Studiobeleuchtung und warmer Pazifiksonne kombiniert mit orgasmischen Eispickelmorden erregen. Angesichts der reißerischen Vermarktung sollte allerdings nicht verschwiegen werden, dass es dem gigantischen Erfolg des Films (über 350 Millionen Dollar Einnahmen bei Produktionskosten von 49 Millionen) ebenfalls zuträglich war, dass Basic Instinct herausragend gemachtes Hollywoodkino war, ein moderner Film Noir mit Stone als Femme Fatale und dem etablierten Star Michael Douglas als ihr ins Netz gehendem Ermittler mit Hang zur Selbstzerstörung, mit einer ungewohnt komplexen und doch spannenden Geschichte, absolut makellos filmisch in Szene gesetzt. Qualitäten, die nicht bei jedem Film der nun ausgelösten Sex-and-Crime-Welle zu finden waren.

Ein Filmtrend entsteht…

Wegen der Vorlaufzeit der großen Studios vergingen die nächsten Monate noch erwartbar gemütlich. Im Januar 1993 startete die Dino-de-Laurentiis-Produktion Body of Evidence mit Madonna, die mit ihrem Album «Erotica» und ihrem Buch «Sex» gerade die Musikindustrie aufmischte und in diesem müden Basic Instinct-Rip-Off zahlreiche Sexszenen darbot, u.a. mit Willem Dafoe auf einem glasscherbenübersäten Parkhausboden. Ebenfalls ab Januar auf Festivals und ab September auch im Kino folgte dann Boxing Helena. Das Regiedebüt von Jennifer Lynch war eigentlich schon für 1990 geplant, wurde aber erst 1992 gedreht, weil zunächst Madonna und anschließend Kim Basinger absprangen, so dass schließlich Sherilyn Fenn die Titelrolle übernahm. Die freizügige Sexualität geriet bei dem als «Skandalfilm des Jahres» vermarkteten Werk freilich in den Hintergrund angesichts einer Story über einen reichen Chirurgen, der feststellt, dass die von ihm vergötterte Frau jedenfalls dann nicht mehr von ihm weglaufen kann, wenn man ihr diverse Gliedmaßen amputiert. Erzählt mit Seifenopernelementen und aus der Perspektive eines Wahnsinnigen erzeugt Boxing Helena eine surreale Faszination, allerdings mit Einnahmen von 1,8 Millionen Dollar kaum Zuschauerinteresse. Im Oktober erzielte Fenn, nun neben Armand Assante, mit der schlimmen jugendfreien Klamaukparodie Crazy Instinct (Fatal Instinct) zumindest das Vierfache dieser Summe.

Willam Baldwin und Sharon Stone in SLIVER (USA 1993), © Paramount

Kurz zuvor, im Mai 1993, erfreute der umsatzstarke Voyeurismuskrimi Sliver. Sharon Stone spielt erneut nach einem Buch von Eszterhas im gebotenen Studioglanz, nun neben William Baldwin und produziert von Robert Evans. Beeindruckend zärtlich inszeniert Regisseur Phillip Noyce hier die verborgenen Kameras, deren Blick heimlich in den Wohnungen eines Hochhauses über die nackte Haut der Bewohner streicht, und lässt das Übergriffige dieses Eindringens fast vergessen. Stone legt ihre Rolle diesmal sanft und verletzlich an. Leider verließ den Produzenten der Mut, so dass nach einem Nachdreh Sliver quasi mit einem moralisch erhobenen Zeigefinger endet. Der bösartige originäre Schluss, welcher tief in die vermeintliche Oberflächlichkeit der Bilder schneidet und die Abgründe seiner Charaktere auskostet, ist leider nur als Raubkopie überliefert.

Richard Rush, der in den 1960er und 1970er mit einigen beachtlichen Exploitationfilmen für Aufsehen sorgte, führte sodann für den Produzenten Andrew Vajna Regie bei Color of Night, der nach erheblichem Streit zwischen den beiden über die endgültige Schnittfassung im August 1994 floppte. Rushs Umsetzung des durchaus an die Erfolgsformel von Basic Instinct angelehnten Drehbuchs mit seiner durchgeknallten Pseudopsychologie erinnert eher an einen Giallo der 1970er denn an zeitgenössische Hollywoodeleganz. Bruce Willis und Jane March zeigen deftigen Geschlechtsverkehr, gerne auch unter Wasser, während rundherum in knalligen Primärfarben äußerst blutig gestorben wird, mit einem Finale, in welchem sich die Protagonisten mit der Nagelpistole durchlöchern lassen. Wäre Color of Night zwanzig Jahre eher und in Italien entstanden, würde er vermutlich als Genremeisterwerk gefeiert werden. So spielte der Film, obwohl er keine Sekunde langweilt, gerade die Hälfte seiner Kosten ein.

…und endet

Im September 1995 lief dann also Showgirls. Wieder Verhoeven, wieder Eszterhas, sowie Marshall und Kassar, diesmal unterstützt von Charles Evans, dem Bruder von Robert Evans, und jener Film, der zum Synonym für cineastische Katastrophen werden sollte. Tatsächlich ist Showgirls ein großartiger Film, was im Übrigen schon 1995 eine kleine Minderheit der europäischen Filmkritik begriffen hat. Es war nur nicht der Film, den das Publikum sehen wollte: Statt eines Thrillers handelt es sich um ein Melodram mit selbstsüchtigen Charakteren, und die umfangreich zur Schau gestellte Nacktheit bleibt nur Show bar jeder Erotik, mit dem Geschmack der Falschheit der Neonbeleuchtung von Las Vegas, des Chlors der Swimmingpools und von billigem Plastik. Eine gigantische Sinfonie künstlicher Aromastoffe, in der der einzige Moment authentischer Gefühle die brutale Vergewaltigung der einen sympathischen Nebenfigur bleibt. Wahrlich ein Schlag in die Magengrube für ein Publikum in der falschen Erwartung genüsslicher, mit gepflegter Sexualästhetik angereicherter Unterhaltung.

Elizabeth Berkeley in SHOWGIRLS (USA 1995), © Capelight

Zeit, die Notbremse zu ziehen. Der zwei Wochen später startende, eingangs kurz erwähnte Jade, wieder produziert von Robert Evans und besetzt mit David Caruso, Linda Fiorentino und Chazz Palminteri, hatte mit dem Originaldrehbuch von Eszterhas schon recht wenig zu tun, und für einen Sexthriller auch wieder erstaunlich wenig Sex. Vor allem leidet Jade trotz der erkennbar durchdachten Regie von William Friedkin an mangelnder Vermittlung der Beziehung zwischen den Figuren, die insbesondere zwischen Fiorentinos nymphomanischer Psychologin und ihrem Filmehemann Palminteri unterentwickelt bleibt. Stattdessen kommt der Film dank einer unverhältnismäßig in die Länge gezogenen, uninspirierten Autoverfolgungsjagd auf seine 95 Minuten Laufzeit. Eine etwas längere, allerdings nur leicht bessere Fassung fand später als «Director’s Cut» den Weg auf den Videomarkt.

Im Juni 1996 folgte noch Striptease. Der Vertrag mit Demi Moore, die für die damalige Rekordgage von 12,5 Millionen Dollar eine ehemalige FBI-Bürokraft spielt, die sich als Nackttänzerin das Geld zur Finanzierung eines Sorgerechtsstreits verdienen muss, war bereits vor dem Showgirls-Flop unterschrieben und damit so hohe Kosten entstanden, dass man auch gleich noch den Film drehen konnte. Regisseur und Drehbuchautor Andrew Bergmann musste zwar knapp kalkulieren, hatte jedoch so einige Freiheiten. Moore, die ihre Rolle als einzige durchaus ernsthaft anlegt, wird umringt von einem spielfreudigen Nebencast um Ving Rhames, Armand Assante und vor allem einen glänzenden Burt Reynolds. Letzterer läuft als korrupter Kongressabgeordneter, der seine Schmierigkeit durch ungehemmten Einsatz von Vaseline noch zusätzlich zu potentieren weiß, zur Höchstform auf. Zwar wurde auch Striptease überwiegend verrissen, allerdings war offenkundig mancher Rezensent nur beleidigt, weil er unter seinem Niveau glänzend unterhalten wurde. Für Reynolds läutete der Film sein Comeback ein, die Wollust der Studios war hingegen endgültig erkühlt.

Und wie ging es weiter?

Zwei Nachträge sollen erwähnt werden: Die später mit Matrix (1999) zu Ruhm gekommenen Wachowskis durften noch für kleines Geld und mit ordentlichem Resultat unter der Produktion von Dino de Laurentiis Bound realisieren (Premiere August 1996), nachdem eine frühere Verfilmung gescheitert war, weil die Wachowskis geforderte Scriptänderungen ablehnten. Zu sehen sind Gina Gershon, der Co-Star aus Showgirls, und Jennifer Tilly als lesbisches Pärchen, das sich mit der Mafia anlegt. Für die Choreografie der Sexszenen wurde die feministische Autorin Susie Bright engagiert. Auch Stanley Kubricks Psycho-Sex-Drama Eyes Wide Shut mag als erfreulicher Epigone der Sexwelle gelten. Das Drehbuch wurde 1994 fertiggestellt, 1995 das damalige Ehepaar Tom Cruise/Nicole Kidman für die Hauptrollen gewonnen, und es ist vor allem auf Kubricks gewohnt langsame Arbeitsweise zurückzuführen, dass sein Film erst 1999 und posthum veröffentlicht wurde.

Jennifer Tilly und Gina Gershon in BOUND (USA 1996), © Capelight

Die sehr kurze Ära, in der Hollywood sich der nackten Ekstase hingab (deren Erzeugnisse von der deutschen FSK übrigens alle unproblematisch ab 16 Jahren, teils ab 12 freigegeben wurden) schenkte der Welt einige herausragende, vor allem aber sehr unterschiedliche Filme. Was aber ist aus den Impulsgebern geworden? Eszterhas fiel nach Jade in Ungnade und konnte nach seiner ebenfalls gescheiterten Branchenabrechnung Fahr zur Hölle, Hollywood (Burn Hollywood Burn, 1997) kein Drehbuch mehr verkaufen. Kassar und Vajna produzierten 2006 in England mit Stone in der Hauptrolle noch Basic Instinct 2, der jegliches Potenzial in kalten, lustlosen Bildern verschenkt. Endlich der Film, der wirklich so schlecht war, wie es von Showgirls seinerzeit behauptet wurde. Paul Verhoeven hingegen bleibt sich treu und hüpft, inzwischen wieder zurück in Europa, seinem Publikum weiterhin mit unbequemen Filmen und ersichtlicher Freude auf die Füße: Black Book (Zwartboek, 2006), Elle (2016), und jetzt also lesbische Nonnen im Mittelalter in Benedetta (2021).

Carsten Tritt

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2022. Auch der Kalender für 2023 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.