Der legendäre Regisseur und Aktivist Rosa von Praunheim wird heute 80 Jahre alt. Bekannt wurde er hauptsächlich durch den Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. Für Stefan Volk ist der Film einer der bemerkenswerten «Skandalfilme» der 1970er-Jahre.

Uraufgeführt wurde Rosa von Praunheims Film am 4. Juli 1971 auf den Berliner Filmfestspielen im Rahmen des «Internationalen Forums des Jungen Films». Das 1969 ursprünglich als Gegenfestival konzipierte Forum war in diesem Jahr zum ersten Mal in die Berlinale integriert. Manfred Salzgeber, der in Nicht der Homosexuelle ist pervers … mitgespielt hatte, war einer der Mitbegründer des Forums. Während der Berlinale und als er im Herbst 1971 in ausgewählten Kinos lief, löste der Film sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Die überregionale Presse äußerte sich überwiegend wohlwollend, wohingegen sich die bereits bestehenden Homosexuellengruppierungen und –zeitschriften über die negative Darstellung der Homosexuellen in von Praunheims Film empörten.

‹Schwule Kommune› in ‹Nicht der Homosexuelle ist pervers ...›
Schwule Kommune in Nicht der Homosexuelle ist pervers … (BRD 1971), © Schmalfilm

«Als der Film […] im Herbst 1971 ins Kino kam», erinnerte sich der Regisseur fast dreißig Jahre später, «waren die Säle überfüllt, die Diskussionen erhitzt. Man warf mir vor, dass ich die Schwulen voller Klischees zeige, dass ich sie nicht in Schutz nehme und dass die Gefahr besteht, dass die Heteros uns wieder ins KZ stecken, wenn sie zu viel von unserer Sexualität erfahren. Aber es gab auch eine kleine linke, meist studentische Minderheit, die den Film verteidigte, die aufrief, auf die Straße zu gehen, sichtbar zu werden und offen für die eigenen Rechte zu kämpfen. Aus diesen Diskussionen entstanden überall im Land Schwulen- und Emanzipationsgruppen.»

Tatsächlich lassen sich die Gründungen der bundesweit ersten schwulen Aktionsgruppen wie der «Homosexuellen Aktionsgruppe Westberlin» (HAW) oder der «Roten Zelle Schwul» in Frankfurt unmittelbar auf den öffentlichen Skandal, die Kontroversen und Debatten, die der Film provozierte, zurückführen. So kam es am 15. September 1971 im Berliner Arsenal Kino zu einem Treffen, in dem von Praunheims Film diskutiert wurde und aus dem heraus die HAW entstand. «Die Bedeutung dieses Films für die Schwulenbewegung in der Bundesrepublik kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden», resümierte Dagmar Herzog in einem Artikel auf der Internetseite der «Bundeszentrale für politische Bildung».

Von der Leinwand ins Fernsehen

Nach den vor allem unter Homosexuellen intensiv geführten und teilweise heftigen Auseinandersetzungen stand dem Film sein eigentlicher Skandal erst noch bevor. Auf Betreiben des Südwestfunks wurde die für den 31. Januar 1972 angekündigte ARD-weite Fernsehausstrahlung des im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks produzierten Filmes kurzfristig aus dem Programm genommen. Mit einer Mehrheit von sechs gegen vier Stimmen beschloss die ARD-Programmkonferenz die Absetzung des Films mit der Begründung, «dass der Film geeignet sein könnte, Vorurteile, die ohne Zweifel in der Öffentlichkeit gegen Homosexuelle trotz der liberalisierten Gesetzgebung zur Zeit noch bestehen, zu bestätigen oder zu verstärken, anstatt sie abzubauen.» Helmut Oeller, Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks ergänzte: «Eine Anprangerung, die so verallgemeinert, ist in sich fragwürdig. Wir stehen als öffentliche Anstalt im Dienste der Mehrheit.»

‹Toilette als Treffpunkt› in ‹Nicht der Homosexuelle ist pervers...›
Toilette als Treffpunkt in Nicht der Homosexuelle ist pervers … (BRD 1971), © Schmalfilm

Welche «Mehrheit» hier geschützt werden sollte, darüber wurde im Folgenden gestritten: die Mehrheit der in von Praunheims Film attackierten «braven» Homosexuellen oder doch die Mehrheit der nach wie vor latent schwulenfeindlichen Gesamtbevölkerung?

Während die «International Homosexual World Organisation» (IHWO) sowie «homophile» Magazine wie him oder unter uns im Vorfeld mit «vereinten Kräften» gegen die Fernsehausstrahlung des Films protestiert hatten und seine Absetzung aus dem gemeinsamen Programm der ARD nun begrüßten, nannte das von Praunheim, der davon erst aus der Presse erfahren hatte, einen «Skandal». Im Spiegel wandte sich Günter Rohrbach, der Leiter der Abteilung «Spiel und Unterhaltung» des WDR, ebenfalls gegen die «anmaßende» Entscheidung
der Programmkonferenz. Der WDR strahlte den Film als einziger Sender am 31. Januar 1972 mit einer anschließenden Diskussionsrunde in seinem 3. Programm aus. Es dauerte fast ein Jahr, ehe der «Schwulen-Schocker» dann am 15. Januar 1973 doch noch im 1. Programm der ARD gezeigt wurde.

Skandale, Skandale

Bevor der Film in der ARD gezeigt wurde, hatte die vom ehemaligen NPD-Mitglied Jürgen Neumann 1971 gegründete «Deutsche Homophile Organisation» (DHO) vergeblich versucht, eine einstweilige Verfügung gegen die Ausstrahlung des Films zu erwirken. Andererseits hatten sich Presseberichten zufolge im Vorfeld zahlreiche Anrufer beim Bayerischen Rundfunk über die ihnen durch die Absetzung des Films zugemutete «Bevormundung empört». Nachdem der Film dann von den restlichen Sendeanstalten der ARD gezeigt wurde, «liefen» beim eigens eingerichteten Zuschauertelefon des WDR «die Telefondrähte heiß». 95 Prozent der Anrufer hatten, nach Angaben des Senders, zwar eine «gewisse Toleranz» gegenüber Homosexuellen geäußert, seien sich jedoch in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Film und seiner Ausstrahlung in der ARD einig gewesen. Der allgemeine Tenor: «Die Homos sollen in der Ecke bleiben und gefälligst nicht herauskommen!»

Dass auch viele Schwule wenig begeistert von seinem Film waren, bekam von Praunheim, zwei Monate nachdem der Film im Fernsehen zu sehen war, an der eigenen Haut zu spüren, als er gewaltsam aus einer der Berliner Herrenbars katapultiert wurde, die er in seinem Film als «pisselegante Schwulenläden» und «Jahrmarkt der Eitelkeit» angeprangert hatte.

‹Jahrmarkt der Eitelkeit› in ‹Nicht der Homosexuelle ist pervers ...›
Jahrmarkt der Eitelkeit in Nicht der Homosexuelle ist pervers … (BRD 1971), © Schmalfilm

Neben massiver Kritik erhielt der Film jedoch stets auch engagierte Unterstützung. In der Schweiz beispielsweise gründeten sich im Zusammenhang mit den Vorführungen in Zürich, Bern und Basel «Homosexuelle Arbeitsgruppen». Und obwohl in Nicht der Homosexuelle ist pervers … Frauen keine Rolle spielten, war die von ihm ausgelöste Debatte auch für die Lesbenbewegung in Deutschland von Bedeutung. So schrieb die Emma Anfang 2007 in einer «Chronik der Erfolge» der deutschen Frauenbewegung: «31. Januar 1972: Im WDR läuft der Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt von Rosa von Praunheim. Mit dabei: Die ‹Homosexuelle Frauen-Aktion› aus Köln, deren Gründerin Gertraut Müller erklärte: ‹So konnten wir vor einem Millionenpublikum sagen, dass es nicht nur die Problematik der Homosexuellen
gibt, sondern auch die der Lesbierinnen, die in allen Medien quasi totgeschwiegen wird.› Am 1. März gründet sich auch in der ‹Homosexuellen Aktion Westberlin› eine Frauengruppe. Der Aufbruch der Lesben beginnt.»

Stefan Volk

gekürzter Auszug aus Skandalfilme – cineastische Aufreger gestern und heute von Stefan Volk

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