Erika und Ulrich Gregor in Gesprächen und Zeitzeugnissen

Das Buch von Claudia Lenssen und Maike Mia Höhne würdigt ein Paar, eine Institution, eine große Lebensleistung: Erika und Ulrich Gregor haben Filmgeschichte geschrieben, Filmgeschichte aus der Kino- und Festivalperspektive, aus der Sicht der Vielen, die Filme als Augenöffner und Schauplätze komplexer Kinowelten verstehen, nicht zuletzt auch als Orte der politischen und kulturellen Auseinandersetzung.

In einem Interview anlässlich des Jubiläums zu 50 Jahren Freunde der Deutschen Kinemathek erinnerten sich Erika und Ulrich Gregor an ihre ersten Eindrücke im hauseigenen Kino der Freunde. Warum der Name? Nur eine Hommage an den Film Arsenal oder ging es auch um die Assoziation eines «Waffendepots»?

Kino Arsenal, Woche des Ungarischen Films
Kino Arsenal, Woche des Ungarischen Films

Ulrich Gregor (UG): Ja, ein Waffenarsenal, um die Welt zu reformieren. Später erklärte uns einmal jemand, im Arabischen würde Arsenal «Haus der Betriebsamkeit» bedeuten. Das fanden wir auch nicht schlecht.
Erika Gregor (EG): Ich war für Arsenal, weil es mit A anfängt und man deshalb in den Kinoanzeigen ganz vorn steht.
UG: Wir konnten damals keine großen Sprünge machen, weil wir keine Förderung bekamen. Wir sind einmal zum Berliner Senat gegangen und haben unsere Lage dargestellt. Da wurde uns gesagt: «Entweder Sie haben genug Geld, dann brauchen Sie unsere Förderung nicht. Wenn aber nicht, dann ist Ihr Verein finanziell instabil, und solche Vereine können wir nicht fördern.»

Täglich drei, an den Wochenenden fünf Programme waren das Pensum, um im kleineren Arsenal Kino möglichst so viele Besucher:innen zu erreichen wie zuvor in den größeren Spielorten Akademie, Bellevue u. a. m.

EG: Wir hatten von Anfang an Glück mit dem Publikum, das uns immer folgte. Manchmal kommen heute alte Leute auf mich zu und sagen: «Ach, Frau Gregor, vor 40 Jahren haben Sie mir schon die Karten abgerissen!» Ein hoher Beamter hat mir einmal erzählt, er habe seine Frau im Arsenal kennengelernt, als sie beide Studenten waren. Auch die Berliner Kritik war immer gut zu uns. Wenn ich zu Hause aufräume und alte Kritiken finde, spüre ich noch immer dieses Wohlwollen.
UG: Als wir im ersten Jahr Das goldene Zeitalter von Luis Buñuel zeigten, war das ein solches Ereignis, dass selbst die B. Z. einen Artikel darüber brachte. Der Film war eine Legende, aber nirgendwo zu sehen. Wir haben es geschafft, eine Kopie aufzutreiben – übrigens mit der Einwilligung von Buñuel persönlich.

Im Januar 1971 bietet das Arsenal eine Programmreihe Surrealismus und Avantgarde an. Am Donnerstag 7. Januar um 20:30 Uhr und Freitag 8. Januar 22:30 läuft L’Âge d’Or / Das goldene Zeitalter. Berlin ist tief verschneit, es ist kalt. Beide Veranstaltungen sind ausverkauft. Insbesondere am Freitag stehen die Besucherschlangen bis weit über den Kindergarten rechter Hand hinaus. Es wird spontan entschieden, eine weitere Vorführung anzusetzen, die erst nach dem Ende der im Programm vorgesehenen 0:30-Uhr-Vorführung eines anderen Films hätte stattfinden können, wenn nicht – wie es gelegentlich in anderen Fällen passierte – diese Vorführung zugunsten von L’Âge d’Or abgesagt wurde. Heiner Roß kochte im Büro viele Kannen wärmenden Kaffee, die kostenlos an die Wartenden ausgeschenkt wurden. Manfred Salzgeber und er verkauften die Karten und organisierten den Aus- bzw. Einlass. Von der Telefonzelle vor dem Postamt eine Straße weiter riefen die Wartenden weitere Interessenten an. Wie viele Vorstellungen waren es am Ende? L’Âge d’Or rettete das Arsenal, denn der unerwartete Geldfluss garantierte die Zukunft.

Heiner Roß: Erinnerungen, S. 48

EG: Es war ein kalter Winter, und das Klo im Kino war eingefroren. Während Ulrich vorn stand und erzählte, wie wunderbar es ist, diesen seltenen Film zu zeigen, lief der Klempner mit einem Klobecken durch den Saal. Ich dachte: «Das ist die Realität des Arsenals: Wir schaffen es, den Film zu kriegen, sind aber nicht in der Lage, die Heizung fürs Klo zu bezahlen!»
UG: Das goldene Zeitalter ist ein surrealistisches Meisterwerk, das ich unbedingt zeigen und diskutieren wollte, damit es in Deutschland bekannt wird. Wir trafen Luis Buñuel beim Festival in Cannes zufällig – im Hotelaufzug. Ich brachte spontan meine Bitte vor, dass wir gern eine Kopie hätten. Er stimmte zu und setzte einen Brief auf, in den er den schönen Lapsus «Freude der Deutschen Kinemathek» einbaute.

Das Kino in der Welser Straße 25 wurde ursprünglich am 18. Oktober 1912 eröffnet. Ab 1922 ist der Name Bayreuther Lichtspiele (Die Welserstraße hieß damals Bayreuther Straße) dokumentiert (Betreiber: Mohamed Sudageff). Fritz Rottmann, der letzte einer ganzen Reihe von Betreibern und Betreiberinnen, führte das 175 Plätze umfassende Kino bis 1969, ehe er es an die Freunde der Deutschen Kinemathek verkaufte.
Der Eingang des Kinos war durch ein Scherengitter gesichert. Dahinter befand sich eine Flügeltür, zwischen Scherengitter und Flügeltür ein winziger ungeheizter Kassenraum, von dem aus anfangs Eintrittskarten und Mitgliedsausweise verkauft wurden. Vor dem Kinosaal durchquerte man ein kleines, mit Filmplakaten dekoriertes Foyer, dessen rechte Seite den Freunden nach dem Umbau als Kasse und Verkaufstresen für Bücher, Kinemathek-Hefte und ein schmales Angebot an Süßigkeiten (ohne Popcorn) diente.
Von ursprünglich zwei Flügeltüren zum schmalen Kinosaal wurde nur die rechte genutzt. An der Wand, die durch den verschlossenen linken Eingang entstanden war, hingen Programmblätter, Kritiken und Fotos zum aktuellen Programm. Der Projektionsraum war nur von der Straße aus, links von den Schaukästen des Kinos, zu erreichen.

Heiner Roß: Unveröffentlichte Erinnerungen, S. 48

UG: Wir hatten lange Jahre einen Gast, der das erste Kamera-Kino in den zwanziger Jahren gegründet hatte und 1933 durch die «Arisierung» alles verlor. Dieser Herr Rosenblüth kam oft ins Arsenal und bezahlte nie, weil er das Kino als rechtmäßigen Nachfolger seines Kamera-Kinos ansah.
EG: Herr Rosenblüth kam mit vielen Plastiktüten und grundsätzlich zu spät, sein Platz war vorne an der Leinwand. Er raschelte und aß im Kino und ging dann mit den Worten «Dieser Film taugt auch nichts!» Die Frauen an der Kasse wollten ihm den Eintritt verwehren, aber ich sagte: «Kinder, ertragt ihn, ich finde, dass Menschen wie er zu einem Kino wie dem Arsenal gehören. Bei uns sind die Besucher nicht irgendwelche Leute, die Geld bezahlen. Ich zeige ihnen wunderbare Filme, die ich großartig finde, dann sind sie meine Gäste und zu den Gästen einer Familie gehören auch immer ein paar Leute, die nicht dem Mittelmaß entsprechen.»

1990, Fumiko Matsuyama und Filmemacherin Márta Mészáros
1990, Fumiko Matsuyama und Filmemacherin Márta Mészáros

UG: Ein anderer Stammgast war die Fotografin und leider erfolglose Filmemacherin Fumiko Matsuyama. Sie wohnte nicht weit vom Kino und kam oft spontan vorbei. Erika gab ihr freien Eintritt und der war dann irgendwann selbstverständlich. Fumiko dokumentierte unzählige Filmgespräche im Arsenal und beim Forum. Ich sehe noch vor mir, dass sie mit zwei Kameras um den Hals in einer der vorderen Reihen saß und abwechselnd in Farbe und Schwarzweiß losknipste. Vielleicht waren die Bilder oft unscharf, jedenfalls hat sie uns selten etwas davon gezeigt. Aber jedes Jahr schickte sie uns eine japanische Postkarte mit Neujahrsgrüßen, und einmal, als sie zu einem Video-Festival in Havanna eingeladen war, schickte sie eine selbst gemachte Grußkarte mit revolutionären Grüßen, in der ich als Alter Ego von Fidel Castro vorkam. Sehr bunt und originell.
EG: Sie hat sich zur Familie gehörig gefühlt.

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Kino, Festival, Archiv – Die Kunst, gute Filme zu machen. Erika und Ulrich Gregor in Gesprächen und Zeitzeugnissen
von Claudia Lenssen und Maike Mia Höhne