Rausch und Reue … und Rausch. Eine Geschichte von Drogen und Sucht im Film

«Je cooler die sind, desto mehr haben sie gedrückt», erfährt die gerade mal 14-jährige Christiane F. von ihren neuen Freunden. Wie Zombies stehen die Heranwachsenden vor den Konzerthallen oder in den Gängen zwielichtiger Diskos herum und blicken völlig von Heroin sediert auf die Welt. Was auch Christiane in die Sucht treiben wird, ist die Liebe zu ihrem Freund Detlef, der gerade mit H angefangen hat. Sie und ihre Freunde haben schon alle Popper, Speed, Alkohol und Hasch durch und sind auf der Suche nach dem nächsten Kick im Berlin der 1970er-Jahre.

Der Film von Uli Edel fängt mit seinen düsteren, ausgebleichten und trostlosen Bildern die Tristesse im Leben seiner jungen Protagonisten perfekt ein. Wir Kinder vom Bahnof Zoo (1981) ist bis heute einer der dunkelsten Berlin-Filme. Er basiert auf dem gleichnamigen Erfolgsbuch, das von 1979 bis 1981 fast zwei Jahre lang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste stand. Es ist bis heute eines der meistverkauften Sachbücher in Deutschland. Das Buch entstand aus den aufgezeichneten Gesprächen der Journalisten Kai Hermann und Horst Rieck mit der realen Christiane F.

Spielfilm und Buch blickten auf einen bis dahin weitestgehend von der breiten Öffentlichkeit versteckt gebliebenen Teil der damaligen bundesdeutschen Realität, in dem sich junge Heranwachsende nicht nur mit Heroin zugrunde richteten, sondern für diesen Rausch auch ihre Körper prostituierten. Kinder von 12, 13, 14 Jahren, die rund um den Bahnhof Zoo und an anderen finsteren Berliner Schauplätzen pädophile Freier fanden, stehen im Zentrum. Schockierend ist beinahe jede Szene der realen Geschichte von Christiane F. Die Produzenten des Films, Bernd Eichinger und Hans Weht, haben es glücklicherweise geschafft, kein glattgebügeltes Drama abzuliefern. Als Christiane und Detlef einen kalten Entzug allein in der Wohnung versuchen, übergibt sich Christiane in einem explosionshaften Kotzstrahl, wie man ihn sonst nur aus Der Exorzist (1973) kennt. Die Realität des Settings macht ihn hier nur umso verstörender.

Natja Brunckhorst in Uli Edels Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1981)

Schock und Sensation des Erzählten waren sicherlich ein Grund für den Erfolg des Buches und des späteren Films, der beinahe fünf Millionen Zuschauer allein in Deutschland zählte. Man darf aber auch vermuten, dass die intime Darstellung der Sexualität von Heranwachsenden seinen Anteil daran hatte. Der Film bewegt sich in einzelnen Szenen klar im Exploitation-Bereich, was sein hehres Grundanliegen schmälert. Nicht jeder Pädophile traute sich auf den Kinderstrich, viele aber ins Kino. Nicht ganz zufällig erschien direkt nach dem Bucherfolg der überaus schmierige Film Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo (1979) von Walter Boos. Der Regisseur hatte in den Jahren zuvor mit seinen Schulmädchen-Reports und ähnlichem Schund eine veritable kommerzielle Karriere hingelegt, bei denen Rollennamen wie «Jugendgruppenleiter» ganz selbstverständlich neben den Rollen «Vergewaltiger» und «Kirmes-Mörder» stehen. 

Auch an seriöser journalistischer oder filmkünstlerischer Aufarbeitung von Elend haben sich schon immer erstaunlich weite Teile der Gesellschaft ergötzen können, um ihre Kicks zu finden. Auch abseits von Kinderprostitution. Die Zurschaustellung von Leid und Untergang fasziniert und befriedigt niedere Instinkte, egal wie gut die Absichten der Macher der jeweiligen Filme oder Bücher gewesen sein mögen. Aber müssen Drogen immer mit Elend verknüpft sein? Kann man nicht einfach mal ’ne gute Zeit haben? Der Reihe nach …

Drogen als Utopie

Starke Drogen mit großen Effekten auf Körper und Psyche haben in der «westlichen Welt» nie so positiv und hoffnungsvoll gewirkt wie in den 1960ern. Von den USA ausgehend manifestierte sich in der Zeit der Blumenkinder eine Utopie von Drogen, die das Leben der Menschen und die Gesellschaft insgesamt bereichern und verbessern. Der amerikanische Psychologe Timothy Leary wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren dafür bekannt, dass er den freien und allgemeinen Zugang zu bewusstseinsverändernden Drogen wie LSD und Mescalin propagierte, und wurde damit zu einem ideologischen Führer der Hippie-Bewegung. 

In Filmen wie The Trip (1967) von Roger Corman, Psych-Out (1968) von Richard Rush oder More (1969) von Barbet Schroeder finden wir die Kinder und jungen Erwachsenen der Welt in zumeist bunten Klamotten. In ihrem Kopf wirken gleichermaßen Drogen und Hoffnungen, im Rausch neue und aufregende Erfahrungen zu sammeln, die sie zu besseren Menschen machen sollen. Oft verbunden mit gesellschaftlichen Utopien einer neuen Zeit, die gerade angebrochen sei – «the age of aquarius». Die Musik ist genauso neu und aufregend wie die Bilder, die die Filmemacher mit optischen Effekten, Projektionen und wilden, schnellen Schnitten finden, um das Erleben der Protagonisten filmisch zu übersetzen. 

Geplatzte Träume und Zensur

Auffallend ist jedoch, dass keiner dieser wegweisenden (und der Hippie-Bewegung zumeist wohlwollend gegenüberstehenden) Filme ohne Horrortrips auskommt. In Psych-Out will sich ein Hippie im Rausch die Hand mit einer Kreissäge amputieren, nachdem alle Menschen um ihn herum zu Zombies mutiert sind. Auch die Hippie-Bewegung wandelte sich für viele schnell zu einem Horrortrip und schon früh haben sich die Filme der Zeit dessen angenommen. Die Freiheitsliebe der beiden Biker (und Drogenkuriere) in Easy Rider (1969) endet jäh vor dem Lauf eines Südstaaten-Schrotgewehres. Der Dokumentarfilm Gimme Shelter (1970) sollte lediglich eine Tournee der Rolling Stones dokumentieren. Doch beim finalen Altamont Free Concert prügeln die als Ordner von den Stones bestellten Hells Angels im Suff und Drogenrausch immer wieder auf Zuschauer und sogar Musiker ein. Schließlich ersticht ein Mitglied vor den Kameras des Filmteams einen Jugendlichen, der eine Waffe gezogen hatte. Die bestialischen Morde der Manson-Family im Jahr 1969 waren ein weiterer Sargnagel für die Utopien der Zeit.

Mit der neuen Popularisierung von Gras und psychedelischen Drogen kamen auch das Heroin und andere Opiate verstärkt zurück auf die Straße. Panik im Needle Park (1971) mit Al Pacino in seiner ersten Hauptrolle ist ein treffendes amerikanisches Pendant zum Christiane-Film, bei dem auch eine Liebesgeschichte im Fokus steht und das wechselhafte Verhältnis von Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit beleuchtet wird. Das Drama wurde mit einem X-Rating in den USA versehen, das sonst fast ausschließlich pornografische Filme erhalten haben. Die Denke der Zensoren zu dieser Zeit war, dass eine ernste, realistische Darstellung von Drogenkonsum extrem schädlich für die Jugend sein muss. Selbst wenn die Droge als vernichtende Sucht wie in Panik im Needle Park dargestellt wird. 

Ray Milland in Das verlorene Wochenende (1945)

Auch Otto Premingers Klassiker Der Mann mit dem Goldenen Arm (1955) hatte große Schwierigkeiten bei den Prüfstellen, obwohl die Filmemacher es vermieden, auch nur den Namen der Droge zu nennen. Filme mit Alkoholikern im Zentrum hatten es da viel einfacher: Das Verlorene Wochenende (1945) von Billy Wilder wurde zu einem veritablen kommerziellen Erfolg, gewann vier Oscars, unter anderem für den besten Film, und die erste Goldene Palme beim Cannes Film Festival. Derselbe Film, mit einem Heroinsüchtigen, wäre damals und noch lange Zeit undenkbar gewesen. Alkohol, die Droge mit den weltweit meisten Abhängigen, genießt in sämtlichen Kulturkreisen einen Sonderstatus, damals wie heute. Der Trinker ist ein Teil der Gesellschaft, der vielleicht errettet werden kann, wo der oder die Süchtige mit der Nadel außerhalb der Gesellschaft steht, und darum von Filmemachern zuweilen schamlos ausgebeutet wird.

Leben, Tod und Film

Die enge Verknüpfung von beflügelnder Droge und tödlicher Sucht ist die von Leben und Tod. Jeder Schritt über das normale Menschsein hinaus (zumindest das gefühlte), das Drogen verschaffen, bringt einen in dieser Denkweise dem grimmen Schnitter, dem Tod, näher. Aber besonders in den letzten Dekaden haben sich Drogenfilme zunehmend von dieser engen Verknüpfung gelöst und erlaben sich in den Trips ihrer Protagonisten visuell und erzählerisch. Ein bekanntes Beispiel dafür ist nach wie vor Fear and Loathing in Las Vegas (1998) mit Johnny Depp, in dem das zerstörerische Element der Droge zwar präsent ist, der Zuschauer aber «die Show» des Drogenwahns vollumfänglich mitgenießen kann, ohne größere Reue zu verspüren. Zu wild und verrückt sind die Regieeinfälle von Terry Gilliam, der mit Weitwinkel-Linsen und perspektivisch verformten Settings, wilden Schnitten und knalligen Farben den Trip seiner Protagonisten vergnügsam erlebbar macht.

Überhaupt hat das Medium Film selbst viel mit Rausch zu tun: Die Fokussierung, der somnambule Zeitenraum Kino, das macht etwas mit einem, besonders wenn die Bilder selbst berauschend sind. Neben das Genre «Drogenfilm» könnte man den «Rauschfilm» stellen, bei dem das Kinoerlebnis selbst zur ekstatischen Erfahrung wird. Regelmäßig versuchen Kinogänger bei Wiederaufführungen von Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968) diese Erfahrung mit Drogen zu verstärken. Die übergroße Vision einer Darstellung der Menschheitsgeschichte vom Anfang der Zeit bis in die Zukunft der Raumschiff-Missionen hat vom ersten Tag an, vor über 50 Jahren, einen extremen Sog auf die Betrachter ausgeübt und spätestens bei der Stargate-Sequenz mit den nicht enden wollenden Bilderkaskaden nicht wenigen Zuschauern ein paar Synapsen im Hirn gezogen. Auch neuere «Bilderstürmer» wie Regisseur Gaspar Noe setzen das Medium Film wie eine psychotronische Penetrationsmaschine ein. Mit Epilepsie-verachtenden Flashes, bunten Farben, irren Einfällen, Effekten und einer Handlung, die den Tod des Protagonisten und seine Erfahrungen in der Nachwelt erlebbar machen, ist Enter the Void (2009) einer der trippigsten Filme aller Zeiten. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich deutlich daran, aus diesem Film wie durchgeschüttelt in die Welt außerhalb des Kinos getreten zu sein, die plötzlich nur noch halb so interessant war wie vorher. Für existenzielle Erfahrungen ist der Kinosaal immer noch der beste und sicherste Ort, diesseits und jenseits der Welt.

Werner Busch

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2021. Auch der Kalender für 2022 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.