Auf der Suche nach versunkenen Schätzen

Viele Menschen erinnern sich an großartige Kinoerlebnisse auf der Leinwand, an ihren ersten Kinofilm, den sie mit atemloser Faszination erlebt haben. Dagegen hat Fernsehen etwas Beiläufiges, die Flimmerkiste eben, deren visueller Overkill unseren Alltag kaum zu stören scheint.

Darüber wird vergessen, dass es tatsächlich Fernsehfilme von künstlerischem Rang, von hoher Aussagekraft gab und gibt, die bei der TV-Ausstrahlung viele Menschen gefesselt und bewegt haben, Highlights wie 8 Stunden sind kein Tag von R. W. Fassbinder (1972), Heimat von Edgar Reitz (1984) oder Der große Bellheim von Dieter Wedel (1992).

Einige dieser Klassiker gibt es auf DVD, aber viele nicht, sie werden auch nicht mehr ausgestrahlt, da das Fernsehen seine eigene Geschichte nicht pflegt. Thomas Bräutigam stellt 300 dieser herausragenden Fernsehfilme aus Ost und West in seinem Buch Klassiker des Fernsehfilms – Das Beste aus 60 Jahren Fernsehgeschichte vor. Wir zitieren einen kurzen Überblick zur Geschichte des Fernsehfilms aus dem Buch:

Der Laden (Regie Jo Baier, nach dem Roman von Erwin Strittmatter) erfreute 1998 Kritik und Publikum. Foto: arthaus, Ole Brandmeyer, Natalia Wörner, Arnd Klawitter

Das Fernsehspiel

Auf der Suche nach einer eigenständigen Kunstform grenzte sich das Fernsehen in seiner Frühphase (erste Hälfte der 1950er Jahre) vom Film scharf ab, orientierte sich eher an Theater und Hörspiel und inszenierte seine fiktionalen Produktionen als intimes Kammerspiel.

In den 1960er Jahren löste das «Filmische» das Studio-Spiel immer mehr ab. Nun war auch nicht mehr die Weltliteratur, aus deren Stoffangebot man sich zuvörderst bedient hatte, das maßgebliche Modell, sondern die eigene Wirklichkeit, die Gesellschaft der Gegenwart, die Zeitgeschichte. Dieses neue Paradigma war nicht etwa von der Programmdirektion «von oben» verordnet, sondern resultierte aus äußeren Faktoren.

Blütezeit

Der sprunghafte Anstieg der Zu­schauerzahlen ab etwa 1960, die jetzt erst einsetzende rasante Entwicklung zum Massenmedium bewirkte eine generelle Tendenz zu aktuellen, reportagehaften, informierenden Programmanteilen, das Fernsehen politisierte sich mit Magazinen und Journalen. In diesen Prozess der Modernisierung und Politisierung ordnete sich auch das Fernsehspiel ein. Während im Kino Schlager- und Lümmelfilme liefen, fanden Themen wie Familien- und Generationskonflikt, die Tristesse an den Arbeitsplätzen in Fabriken und Zechen, die deutsch-deutsche Teilung, die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg fast ausschließlich im Massenmedium Fernsehen statt. Herausragende Fernsehspiele dieser Ära waren z. B. Ein Tag (Egon Monk, 1965), Mord in Frankfurt (Rolf Hädrich, 1967), Das Millionenspiel (Wolfgang Menge / Tom Toelle, 1970), Im Reservat (Peter Stripp / Peter Beauvais, 1973).

Der dezidiert sozialkritische Anspruch des Fernsehspiels in der Bundesrepublik schwächte sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wieder ab. Da das «Spiel» auf dem Bildschirm immer mehr zu «Film» geworden war, begannen die von beiden Seiten lange gepflegten Grenzen zwischen Fernsehen und Kino zu fließen. Seit 1974 finanzierten ARD und ZDF Koproduktionen, überließen der Filmwirtschaft das Erstaufführungsrecht und bekamen die Möglichkeit zur Fernsehausstrahlung garantiert. Viele Filme, die auf Festivals liefen oder Filmpreise erhielten waren faktisch Fernsehproduktionen, ohne dass dies sonderliche Erwähnung fand.

Konkurrenz des Privatfernsehens

Die Einführung des kommerziellen Privatfernsehens marginalisierte das ehedem aufrüttelnde und querdenkende Potenzial des Fernsehfilms vollends, da den öffentlich-rechtlichen Sendern als Reaktion auf die plötzliche Konkurrenz nichts anderes einfiel, als sich bis zur Unkenntlichkeit an deren Trash-Angebot zu assimilieren und die eigenen Programme einem bis dahin nicht gekannten Quoten-Fetischismus zu unterwerfen.

Seitdem gibt es zwar auch im Fernsehfilm anspruchsvolle Produktionen mit Qualitäts-Niveau (und die Wiedervereinigung ließ auch das Interesse am Politischen wieder aufflammen), denen aber nur dann Erfolg zugetraut wird, wenn sie als Unterhaltung verpackt sind. Für hohes Niveau auch unter diesen Bedingungen stehen Regisseure und Autoren wie Heinrich Breloer (Todesspiel, 1997), Dominik Graf (Der Skorpion, 1997, Im Angesicht des Verbrechens, 2010), Matti Geschonneck (Das Ende einer Nacht, 2012), Christian Petzold (Toter Mann, 2001) und Aelrun Goette (Unter dem Eis, 2006).

Thomas Bräutigam

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