Stephanie Großmann zur Entstehungsgeschichte des Bandes Das Münchner Oktoberfest aus literatur-, kultur- und mediensemiotischer Perspektive
Über einen längeren Zeitraum bin ich jedes Jahr im Spätsommer zur Jahrestagung der German Studies Association gereist, der größten Konferenz in den USA, die sich mit den Themen Germanistik, Deutsche Geschichte und auch Deutsch Didaktik in unterschiedlichsten Fassetten beschäftigt. Veranstaltungsort ist stets eine nordamerikanische Großstadt, wie Atlanta, Washington D.C., San Diego und Kansas City. Meine Reise begann am Münchner Flughafen, der mich Ende September immer – und erwartbarer Weise – mit einer Werbekulisse für das Münchner Oktoberfest verabschiedete. Um so erstaunter war ich darüber, dass ich in allen amerikanischen Zielflughäfen ebenfalls von einer Oktoberfestkulisse begrüßt wurde – Brezen, Bier, Dirndl und Lederhosen waren in unterschiedlichen Stilisierungen auf Plakaten oder Wandaufklebern zu sehen. Häufig mischten sich die weiß-blauen Münchner Rauten mit gelb-orange-rot gefärbten Ahornlaubgirlanden, die den Indian Summer ankündigen.
US-amerikanische Variationen der Oktoberfeste
Aber nicht nur am Flughafen, auch im Stadtbild der US-amerikanischen Großstädte gab es zahlreiche, ins Auge stechende Indizien für den extrem erfolgreichen Export der Münchner Oktoberfest-Idee in unterschiedlichsten, an die lokalen Gegebenheiten angepassten Variationen: Sharktoberfest in San Francisco, Oktoberfest Atlanta’s biggest German-themed party, Oktoberfest Zinzinnati, OktoBEARrfest in Washington D.C., Ocean Beach Oktoberfest in San Diego, um nur ein paar wenige Schlagworte zu nennen. Die Zahl der lokalen Oktoberfeste ist unüberschaubar, fast jedes stellt den unmittelbaren Bezug zu einer authentisch deutschen oder bayerischen Lebensart her und verwandelt seinen jeweiligen Ort zum „Munich of the Midwest/Northwest/Southeast“.
Aus dem Ruhrgebiet stammend schien mir der Gedanke skurril, dass sich die US-amerikanische – und sicherlich auch anderweitige – Stereotypisierung des Deutschen auf das Bayerische und letztlich auf Bier, Würstel, Brezen, Dirndl, Lederhosen und gewisse Partyspiele reduziert. Und das obwohl oder gerade weil ich schon seit vielen Jahren in (Nieder-)Bayern lebe.
So war mein Forscherinnengeist geweckt und es entstand die Idee, mich mit dem Münchner Oktoberfest und den Vorstellungen und Konzepten, die mit ihm verbunden werden, näher zu beschäftigen. Und zwar nicht nur mit den internationalen Bildern, sondern besonders auch mit den Entwürfen, die innerhalb des deutschen Sprachraums vom Münchner Oktoberfest gezeichnet werden. Das Spektrum erstreckt sich von Achternbuschs Bierkampf über den Tatort bis zur recht aktuellen Serie Oktoberfest 1900; von den Lyrikern Rilke, Ringelnatz und Roth über die Theaterstücke von Valentin und Horváth bis zum Regionalkrimi der Gegenwart; vom Dokumentarfilm über Billians Erotikfilm bis zu Reitz’ Heimat-Trilogie und international von den Simpsons über Futurama bis zu Beerland.
Erste Recherchen
Meine erste Recherche ergab folgendes Bild: Auch wenn sich das Oktoberfest einer rasant zunehmenden Beliebtheit bei den jährlich Feiernden auf der ganzen Welt erfreuen kann, ist ihm als Forschungsgegenstand nicht die gleiche Aufmerksamkeit beschieden. Obwohl eine beeindruckende Vielzahl an literarischen Texten, Dokumentar- und Spielfilmen existiert, die vom Oktoberfest handeln oder das Oktoberfest als Hintergrund der von ihnen erzählten Geschichten nutzen, fehlte eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen aus einer literatur-, film- und medienwissenschaftlichen Perspektive. Spannend fand ich auch, dass die mediale Verarbeitung des Oktoberfestes einen herausragenden Kristallisationspunkt für Fragen nach einer deutschen Identität gepaart mit weiteren vielfältigen Problemfeldern eröffnet: Seien es Fragen der Geschlechterkonzeption, der regionalen bzw. nationalen Gemeinschaft und der internationalen Offenheit, dem Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Klassen oder Schichten und schließlich der Frage nach dem (integrationsfähigen) Eigenen und dem (auszuschließenden) Fremden.
Für dieses Thema konnte ich meine Freundin und Kollegin Steffi Krause begeistern, die als Mitarbeiterin des Goethe Instituts USA auch mit dem Projekt „Wiesn in a Box“ vertraut war. Gemeinsam haben wir auf der Jahrestagung der German Studies Association 2018 in Pittsburgh, Pennsylvania ein Panel zum Thema „O’zapft is! Das Münchner Oktoberfest aus literatur- und mediensemiotischer Perspektive“ geleitet, durch das wir weitere Mitstreiter:innen und Perspektiven auf das Münchner Oktoberfest gewonnen haben. Auf der Konferenz zeigte sich dann auch, wieviel spannendes Potential das Münchner Oktoberfest noch bereithält, sodass aus den gemeinsamen Diskussionen das Projekt erwuchs, sich umfassender mit dem Thema in einer Anthologie zu beschäftigen.
Neue interdisziplinäre Kooperationen
Wieder in Deutschland konnte ich weitere zehn Kolleg:innen aus verschiedenen Fachdisziplinen von dem Vorhaben überzeugen, sodass wir das Münchner Oktoberfest aus einer großen Bandbreite an unterschiedlichen literarischen, filmischen und medialen Aneignungen in den Blick nehmen konnten. Es freut mich sehr, dass wir neben den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Oktoberfest auch fünf Bilder der Münchner Fotografin Barbara Donaubauer in den Band aufnehmen durften, die aus ihrem 2001 begonnenen Langzeitprojekt Zwischenraum // Oktoberfest stammen.
Die Corona-Krise hat das Projekt ein wenig in die Länge gezogen, aber gleichzeitig auch das Münchner Oktoberfest zweimal ausfallen lassen. Es fühlte sich fast ein wenig so an, als wäre der Oktoberfestbetrieb so lange im Pause-Modus, bis unser Band endlich abgeschlossen ist. Das ist nun geschafft und er erscheint genau rechtzeitig, um sich vorfreudig auf das Oktoberfest 2022 einzustimmen.
Stephanie Großmann
Lesen Sie hier mehr über das Oktoberfest aus literatur-, kultur- und
mediensemiotischer Perspektive
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