Stummfilmmusik im Kino mit dem Gramm Art Projekt

Für viele Musiker gehört es im wahrsten Sinne des Wortes zum Alltag, auf verschiedenen Hochzeiten zu tanzen. Neben Konzerten und Unterrichten, bildet die sogenannte Dienstleistungsmusik, also das Spielen auf privaten Feiern und Firmenevents ein festes Standbein. Auch wenn diese Art des Musizierens gelegentlich von selbsternannten „Hütern der wahren Kunst“ kritisch als Ausverkauf und Anbiederung gesehen wird, ist sie doch seit jeher ein wichtiger Teil des Lebens für Musiker. Schon in der „guten alten Zeit“ war die Untermalung von, damals noch oft höfischen Festen, ein fester Bestandteil der musikalischen Kultur und des Alltags der Musiker. Oft entstanden dort Ideen die sich später an ganz anderer Stelle wiederfanden.

Auch mit dem Gramm Art Project spielen und spielten wir neben Konzerten bei diversen Veranstaltungen jazzige Hintergrundmusik. 2016 spielten wir bei einer solchen Veranstaltung und begannen, mehr oder weniger zufällig, Geschehnisse der Feier, wie das Servieren der Hauptspeise und ähnliches musikalisch in unsere Improvisationen mit einfließen zu lassen. Danach war die Idee schnell geboren, sich ein außermusikalisches Szenario zu suchen, das bei Konzerten musikalisch umgesetzt werden sollte. Nach einigen Überlegungen begannen uns vor allen Dingen Stummfilme zu faszinieren. Auf der Suche nach einem geeigneten Film fanden wir Die Abenteuer des Prinzen Achmed von Lotte Reiniger. Seitdem kamen noch Der letzte Mann und Tabu von Friedrich Wilhem Murnau hinzu, andere Filme sind in der Planungsphase. Wichtiger als viele Filme im Programm zu haben, ist es uns, für jeden Film eine eigene musikalische Sprache zu finden.

Konsequenterweise mussten wir uns mit der Frage zu schäftigen, wie Stummfilme zu beginn des 20. Jahrhunderts vertont wurden. Neben den englischen „Complete Guide to Film Scoring“ von Richard Davis, stießen wir auch auf das Buch „Stummfilmmusik“ von Maria Fuchs. Neben Beschreibungen des Musikeralltags und ersten theoretischen Grundlagen zur Filmmusik, führt das Werk auch in ästhetische Diskussionen ein, die sich schon vor dem Stummfilm mit der Frage beschäftigten in wieweit Musik für sich selbst steht oder außermusikalische Bezugspunkte aufgreifen soll oder benötigt. Im Prinzip also die Frage die wir uns auch gestellt hatten, bevor wir auf Stummfilme kamen

Darüber hinaus fanden sich dort auch Hinweise wie Musik anhand von Kinotheken ganz praktisch vertont wurden. In diesen Kinotheken, fanden sich zu verschiedenen Szenarien und Stimmungen passende Musikvorschläge aus dem klassisch/romantischen Musikrepertoire. In der Kinothek von Giuseppe Becce fanden sich zunehmend auch kleine Eigenkompositionen des Herausgebers. Auch wenn wir mit unseren Vertonungen einen zeitgenössischeren Sound zwischen Jazz, neuer Musik und Rock erzeugen ist es doch interessant wie sehr sich die grundlegenden Ideen doch ähneln.

Hier werden passende musikalische Eleme für diverse Zurschaustellung von Liebesgefühlen vorgeschlagen (aus dem Allgemeinen Handbuch für Filmmusik, 1927 erschienen)

So greifen auch wir bei unseren Vertonungen auf bestehendes Material zurück. Im Gegensatz zur „klassischen Stummfilmmusik“ greifen wir jedoch nicht auf klassisches und romantisches Repertoire zurück, sondern komponieren für jeden Film eigene Musiktitel die an die jeweiligen Szenen angepasst werden. Im Prinzip greifen wir hier eine Vertonungspraxis auf, die zwischen den ersten Stummfilmvertonungen und Komplett auskomponierter Filmmusik wie man sie heute kennt, anzusiedeln ist. Diese komponierten Titel, dienen mit ihrem Wiedererkennungswert als Fixpunkte. Daneben gibt es, wie bereits auch im frühen Stummfilm, lange Passagen mit freierer Improvisation. Diese richtet sich naturgemäß primär nach der Handlung auf der Leinwand und unterstreicht oder konterkariert diese. Sie ist aber auch immer eine spontane Entwicklung von Ideen die genau in diesem Moment entstehen und vom jeweiligen Mitmusiker mit beeinflusst wird. Sie ähnelt damit einer „musikalischen Diskussion“ über das Geschehen auf der Leinwand. Gute Filme sind hier wie alte Bekannte bei denen man immer wieder etwas Neues entdecken, oder in anderem Licht sehen kann. Da liegt der Fokus bei jedem anschauen und vertonen ein wenig auf anderen Details liegt, ist jede Stummfilm Vertonung ein einmaliges Gesamterlebnis aus Film und Musik.

Neben einer festen Stummfilmreihe in Marburg sind wir mittlerweile im gesamtdeutschen Bundesgebiet und angrenzenden Ländern unterwegs.

Wo genau, ist immer auf der Website des Gramm Art Projects zu erfahren.

Thomas Bugert

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