Zur Entstehung von „Alles schon mal dagewesen: Was wir aus Pandemie-Filmen für die Corona-Krise lernen können“

Als ich mich im Januar mit guten Freundinnen und Freunden noch beim Kaffee darüber unterhielt, was immer häufiger in den Nachrichten aufflackerte, wirkte alles noch sehr fern: China stellte zwar – eindrucksvoll fürs Fernsehen inszeniert – innerhalb weniger Tage ein beachtliches Notkrankenhaus für eintausend Schwerstkranke auf, aber Wuhan ist auch sechs Zeitzonen entfernt. Die meisten in meinem Umfeld blieben auch noch gelassen, als im Februar der Bundesgesundheitsminister in seinen täglichen Pressebriefings vor der Kamera stets von einer „dynamischen Entwicklung“ sprach – Ausgang unbekannt. Als Anfang März die Lage auch in Italien eskalierte und die Bilder von auf Militärlastern geladenen Toten durch die Welt gingen, wurde wohl immer mehr Menschen bewusst: Hier kommt etwas auf uns zu, und die Atmosphäre beim Kino-Besuch war spürbar angespannt. Für mich persönlich wurde alles dann sehr konkret und im gewissen Sinne unumkehrbar, als ich in meiner Tanzsport-Gruppe meine Mitglieder Mitte März über die neuen „Hygieneregeln“ des Vereins belehren musste und Desinfektionsmittel aufstellte, dann die Universitätsbibliothek am 13. März bis auf Weiteres seine Pforten schloss, ich damit (ausgerechnet in der Endphase meines Promotionsprojekts) ins bücherarme und vergleichsweise trostlose Exil des Home Offices verbannt wurde, und schließlich am 17. März ein Familienmitglied von seiner Arbeitsstelle aus dem Ausland mit dem letzten Linienflieger in die Heimat evakuiert wurde.

Die Geschwindigkeit, mit der Covid-19 in diesem Jahr über uns alle hereingebrochen ist, hat nicht nur die meisten Menschen überall auf der Welt, sondern auch die Vielzahl der Politikerinnen und Politiker überrascht. Obwohl Experten seit Langem davor warnen, dass mit zunehmender Globalisierung früher oder später eine Pandemie zu erwarten wäre und man sich auf sie genauso gewissenhaft vorbereiten müsste wie auf alle anderen Gefahren, die mit dem sonst komfortablen modernen Leben verbunden sind, traf die Krankheit trotz allem die große Mehrheit und vor allem die Verantwortlichen überwiegend unvorbereitet. Das wiederum verwunderte mich, hatte ich doch in meiner Dissertation herausgearbeitet, wie die spätmodernen Gesellschaften vor allem durch Film und Fernsehen ihre makrosoziale Kommunikation organisieren – und welches Schreckensthema ist in den vergangenen Jahren bitte präsenter in Kino und Serien gewesen als die Pandemie?

Seit gut zehn Jahren ist es gar nicht mehr möglich, durch die Sender zu zappen oder sich durch eine Videothek zu klicken, ohne auf Serien wie „The Walking Dead“, „12 Monkeys“ und „The Rain“ oder einschlägige Blockbuster wie „World War Z“ und „Zombieland“ zu stoßen. Als ich Ende März mit einer Freundin telefonierte, wie sie den „Lockdown“ erlebt hat, meinte sie nur zu mir, dass sie in ihrem Leben inzwischen genug Zombie-Serien gesehen habe, um zu wissen, was nun wichtig ist: seinen Zwei-Wochen-Notvorrat (insbesondere an Trinkwasser) zu überprüfen, Menschenansammlungen zu meiden und notwendigenfalls eine Schutzmaske aufzusetzen, vor allem die Familie beisammenzuhalten und gut aufeinander aufzupassen. Auch ich fühlte mich ertappt, dass ich schon vor einiger Zeit nach einem Abend mit Genre-Klassikern wie „Outbreak“ eine Packung mit FFP3-Masken bestellt hatte: kostet nicht viel, wird nicht schlecht, kann man auch mal beim staubigen Umzug aufsetzen – schadet jedenfalls nicht, dachte ich mir. Als ich dann Ende März beim überfüllten Hausarzt für die Familie Rezepte abholte, war ich ganz froh, dass ich sie hatte.

Als dann schon Anfang April vielen Ärzten, Krankenhäusern und allem Anschein nach sogar der Bundesregierung die Filtermasken ausgingen und der Weltmarkt – nicht zuletzt wegen der grassierenden Spekulation – leergekauft war, wurde mir klar: Das Wissen darüber, wie man mit realen Risiken der modernen Lebensweise umgehen sollte, ist in der Gesellschaft ungleich verteilt. Nachdem ich gerade erst mit meiner Kollegin Anke Steinborn eine Beitragssammlung über das urbane Zukunftswissen von Science-Fiction-Filmen fertiggestellt hatte („Urbane Zukünfte im Science-Fiction-Film“ erscheint im September bei Springer), angesichts der geschlossenen Bibliothek meine Promotion unter erschwerten Bedingungen von zu Hause vorantreiben musste und ich abends zur Ablenkung vom realen Irrsinn in der Welt einen Pandemie-Film nach dem anderen schaute, war mir klar: Wenn wir als Gesellschaft nicht spätestens jetzt anfangen, aus den Warnungen und Vorausahnungen von Film und Fernsehen lernen, könnte sich das gravierend auf den weiteren Verlauf dieser Krise auswirken, die ja im April noch ganz am Anfang stand und die heute im August gerade erst richtig an Fahrt aufnimmt.

Autor Denis Newiak

Innerhalb weniger Wochen stand Ende Mai das Manuskript, und schon Anfang Juli war das E-Book im Handel, seit Ende Juli ist auch das gedruckte Buch erhältlich. Während sich die meisten medienwissenschaftlichen Publikationen aus guten Gründen mehr Zeit lassen und dann vor allem innerhalb des Fachdiskurses zirkulieren, war mir bei „Alles schon mal dagewesen“ wichtig, zwar ein wissenschaftlich fundiertes Buch vorzulegen, das sich aber zugleich nicht hinter einem Spezialisten-Jargon versteckt und sich zumindest darum bemüht, so viele Menschen wie möglich abzuholen, auch wenn sie weder Medienwissenschaft studiert haben noch Pandemie-Serien-Junkies sind. Mit dem Buch möchte ich angesichts der brisanten Lage zeigen, welche Verhaltensoptionen zur Bewältigung einer solchen Krise zur Disposition gestellt werden, ob einiges davon auch in der aktuellen Lage Orientierung bieten könnte – und bemühe mich gleichzeitig stets um eine kritische Distanz zum Forschungsgegenstand, weil Film und Fernsehen auch ihre ganz eigenen Kalküle und Interessen verfolgen.

Was können wir jetzt richtig machen, und was könnte falsch laufen? Was kommt da noch auf uns zu? Und wie kommen wir hier wieder raus? Diese Fragen stellen sich uns allen, jeden Tag drängen sie mehr. Deswegen bin ich sehr glücklich, dass dieses Buch noch rechtzeitig vor der vielbesagten „zweiten Welle“ erschienen ist. Es soll seinen Beitrag leisten gegen die unzähligen Ignoranten, die mit ihrer Leugnungsstrategie sich und vor allem andere schutzbedürftige Menschen in reale Lebensgefahr bringen, und gegen die Verschwörungstheoretiker, die die so wertvolle Freiheit zum kritischen demokratischen Hinterfragen arglistig für ihre eigennützigen selbstherrlichen Wirklichkeitsverdrehungen missbrauchen. Es soll denjenigen helfen, die jetzt unter weitestgehend unbekannten Bedingungen weise Entscheidungen treffen müssen, deswegen habe ich meine Freiexemplare nicht nur an meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen geschickt, sondern auch an die Verfassungsorgane und wichtige Verwaltungsbehörden. Das dortige Interesse macht mich sehr stolz und demütig, an einigen Stellen deutet sich schon eine engere Zusammenarbeit an.

Ich wünsche mir, dass wir allen bisherigen und noch kommenden schmerzhaften Verlusten zum Trotz nicht den Mut verlieren, die moderne Welt mit ihren Vorzügen und Schattenseiten stets kritisch zu hinterfragen und jetzt gemeinsam zu überlegen, wie wir aus den bereits konkreten und noch kommenden Fehlentwicklungen der spätmodernen Lebensweise – der Klimakatastrophe, der zunehmenden Vereinsamung und etwa der kommerziellen Besiedlung anderer Planeten – entgegenwirken können. In dieser Debatte brauchen sich Medien-, Film- und Fernsehwissenschaftler nicht zu verstecken, im Gegenteil: Ich glaube, wir brauchen Wissenschaft jetzt, wo unsere Lebensweise unter Beschuss zu stehen droht, noch dringender als je zuvor. Hoffentlich können wir so bald zu einem Leben zurückkehren, das man gern und gut leben werden kann.

Denis Newiak

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