* 15. August 1990
One for them, one for me. Der Balanceakt zwischen den rentablen, dafür vergessenswerten Megablockbustern auf der einen Seite und den sperrigen, prestigeträchtigen Stoffen, die das Nischenpublikum der Cineasten und mit etwas Glück auch die Academy beglücken, auf der anderen, ist ein Kunststück, das nur den wenigsten gelingt. Umso erstaunlicher ist die mühelos scheinende Eleganz mit der Jungdiva Jennifer Lawrence seit ihrem Durchbruch in Debra Graniks 2010er Backwood-Familiendrama Winter‘s Bone zwischen den Welten hehrer Kunst und Box-Office-Erfolgen zu wandeln versteht.
Egal wie reibungslos die Methode Lawrence dabei auch zu laufen scheint, stehen am Anfang wie so oft das Glück und das richtige Händchen bei der Rollenwahl. So war alles andere als sicher, dass sich Suzanne Collins‘ Young-Adult-Saga um die Tribute von Panem, ein aus Versatzstücken aus William Goldings „Herr der Fliegen“, Kōshun Takamis „Battle Royale“ und einem breiten Sortiment an Dystopie-Klischees zusammengerührter Kessel Buntes, zu einem derartigen Hit in Buch- und Filmform entwickeln würde. Mit dem Kassenerfolg kamen der Aufwind und das Selbstvertrauen, riskantere Wege einzuschlagen.
Ob sich allzu viele Fans der Hunger Games später in die verschrobenen Zusammenarbeiten mit Enfant Terrible David O. Russell verirrt haben, bleibt ebenso ein Rätsel wie die Frage, ob die Bewunderer der von Lawrence gespielten Panem-Heroine Katniss Everdeen an ihren Darstellungen von Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs im schrillen Scorsese-Karaoke American Hustle oder der manischen Familiensaga Joy Gefallen fanden. Manchmal, wie im Falle der kraftvollen Tragikomödie Silver Linings, wird der Mut zum Grenzgang mit höchsten Weihen (wie dem Oscar für die beste Hauptdarstellerin 2013) belohnt, während so mancher Flirt mit goldenen Statuen, wie der schmierige Kostümschinken Serena, mit dem Mantel des Schweigens bedeckt wurde. Oft genug geht die Rechnung auf. Sogar für ambitionierte Wagnisse am Rande des Mainstreams wie das „Adam + Eva in Space“-Vehikel Passengers findet sie Zeit und der Film dank ihr zu einem größeren Publikum.
Mit ihrer Beteiligung an der X-Men-Reihe als gestaltwandelnde Mystique sicherte Lawrence sich ein zweites Franchise-Standbein, das die Kassen füllt, den Marktwert festigt und die verschrobenen Projekte am Wegesrand ermöglicht. Ohne die Starpower der furchtlosen Jennifer L. hätte sich ein grandios an allen Geschmacksgrenzen vorbeischießender filmischer Schreikrampf wie Darren Aronofskys Mother! wohl kaum realisieren lassen. Egal was man von der enthemmt-wüsten Öko-Bibel-Sause auch halten mag, lohnt das Spektakel allein für die Vorstellung, welche Verwirrung sie beim Hunger Games/X-Men-Publikum ausgelöst haben mag.
Mit dem auf Jason Matthews‘ Romanreihe basierendem Spionage-Sleaze-Fest Red Sparrow wurde 2018 der Versuch unternommen, ein weiteres Franchise auf die Beine zu stellen, mit dem sich die nächsten Herzensprojekte sichern ließen. Auch wenn die Rechnung diesmal nicht aufgehen sollte, bleibt die Lawrencesche Karriere spannend. Das nächste X-Men-Abenteuer, soviel steht fest, kommt bestimmt.
Robert Cherkowski im Filmkalender 2020
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