Johanne Hoppe erzählt, warum sie sich mit nach 1945 verbotenen NS-Filmen beschäftigt

Historische Filmvorführung: 2012 zeigt das Berliner Zeughauskino im Rahmen der Reihe Unter Vorbehalt Karl Ritters nationalsozialistischen Propagandafilm Pour le Mérite von 1938. Der Film spielt kurz vor, während und kurz nach der Weimarer Zeit und wettert nicht nur gegen die Weimarer Demokratie, sondern propagiert die Dolchstoßlegende ebenso wie eine militärische Aufrüstung. Als im Zeughauskino nach der obligatorischen wissenschaftlichen Filmeinführung das Licht ausgeht, sitze ich mit zwei Freundinnen in der Saalmitte und bin gespannt darauf, die in der Einführung angekündigten Propagandastrategien des Films näher unter die Lupe zu nehmen. Der Unterhaltungswert des Films, dessen Regisseur Karl Ritter zahlreiche Kriegsfilme zur NS-Zeit gemacht hat, ist mäßig, die Propaganda offensichtlich und plump. Als Paul Hartmann in der Rolle des Rittmeisters Prank vor einem Gericht herausschreit „Ich hasse die Demokratie!“, höre ich in der Reihe vor mir zustimmendes Gemurmel und ein nicht mehr ganz so gemurmeltes „Genau!“. Aus der gleichen Ecke kommt kurz darauf engagiertes, leises, Mitsingen, als im Film ein Soldatenlied angestimmt wird. In beiden Fällen gibt es keine Reaktionen aus dem übrigen Publikum oder von Seiten des Kinopersonals. Mein Adrenalinspiegel steigt und für die restliche Dauer des Films beschäftige ich mich mit der Frage, ob ich die Vorführung stören und die vier bis fünf sehr betagten Herren laut ansprechen soll, oder ob ich mich doch irgendwie verhört haben könnte. Doch mein Mut wird mit jeder Filmminute, die verstreicht, geringer. Als das Licht wieder angeht, erheben sich die Herren, obwohl die angekündigte und vorgeschriebene moderierte Diskussion des Films noch aussteht, im einsetzenden Geraschel und Geräusper sofort und gehen an meiner Sitzreihe vorbei Richtung Ausgang. Aus mir platzt heraus „Ja, die Nazis gehen immer als erste“ und fange mir dafür ein „Scheiß-Sozis!“ ein. Ein paar Sekunden später ist der Spuk vorbei, die Herren haben den Saal verlassen, niemand sonst scheint etwas mitbekommen zu haben und Rainer Rother, Leiter der Deutschen Kinemathek, moderiert die Diskussion um den Film.

Diese Situation ist nun fast neun Jahre her und fällt zusammen mit meiner Entscheidung, meine Dissertation dem Umgang mit NS-Propagandafilmen nach 1945 zu widmen. Über die gesamte Recherche und vor allem die Zeit der Textproduktion hat sie mich immer wieder begleitet und die für das Thema so relevanten Fragen aufgeworfen: Sollten Nazipropagandafilme noch gezeigt werden? Wie viel nutzen die von der Rechteinhaberin vorgeschriebene Einführung und moderierte Diskussion? Ist es problematisch, wenn eine Gruppe Leute sich Filme wie Pour le Mérite noch einmal zu Vergnügungszwecken anschaut? (Ja!) Wie viel Zivilcourage bringe ich selbst im Zweifel auf, mich öffentlich vorgebrachter Naziideologie entgegenzustellen?

Blick ins Filmrollenlager des Bundearchivs
Giftschrank oder Archiv? © Bundesarchiv

Die Wut, die ich in dem Moment verspürt habe, als die Altherrendelegation den Raum verlassen hat, hat mir über die Jahre immer wieder Mut und Energie gegeben, mich weiter mit dem politisch nach wie vor heiklen Thema zu befassen, auch dann, wenn die Zugänglichkeit von Quellen von institutioneller Seite sehr erschwert wurde. Schließlich ist eine solche Situation nicht nur symptomatisch für einen gesamtgesellschaftlich problematischen Umgang mit Hinterlassenschaften der NS-Diktatur, sondern deutet auch auf historische Leerstellen und politisches Versagen hin. Diesen bin ich mit meiner Dissertation akribisch auf den Grund gegangen und habe in filmarchäologischer Kleinarbeit herausgearbeitet, wie sich Staat (Ost- und Westdeutschland), Politik, Verwaltung, Wirtschaft, (Film-)Wissenschaft, Gerichtsbarkeit, Medien und Kulturinstitutionen zum Umgang mit dem problematischen Filmerbe verhalten haben. Die teils schwer erträglichen Ergebnisse lassen sich nun also genau und strukturiert nachlesen und hoffentlich nutzen, um in Bezug auf NS-Filme neue Wege der Präsentation und Rahmung einzuschlagen. Ob sich die Ideologie aus den Köpfen solcher Personen wie jenen damals im Zeughauskino noch entfernen lässt, bleibt dabei mehr als fragwürdig, doch vielleicht auch mäßig relevant – schließlich ist es auch ihnen zu verdanken, dass der Umgang mit den NS-Filmen nun eine so umfassende Aufarbeitung erfahren hat.

Johanne Hoppe
Von Kanonen und Spatzen
Die Diskursgeschichte der nach 1945 verbotenen NS-Filme
368S., Pb., € 34,00
ISBN 978-3-7410-0369-1

Erschienen im Schüren Verlag