Ein Geburtstags-Porträt der Autorin Marisa Buovolo

Als großartige Inszenatorin und begnadete Sensualistin des Kinos blickt Jane Campion auf ein Werk zurück, das die internationale Filmkultur maßgeblich geprägt und mehrere Generationen von Zuschauer:innen tief bewegt hat. Ganz frisch ist die Nachricht, dass sie am 16. August 2024 auf dem Filmfestival in Locarno mit dem Ehrenpreis Pardo d’Onore Manor geehrt wird.

Jane Campion 1990

Apropos Preise: Sie war die erste Frau, die 1993 die Goldene Palme in Cannes gewann. Danach folgten weitere renommierte Preise und Anerkennungen, aber den Oscar für die beste Regie bekam Jane Campion erst 2022 für The Power of the Dog, in dem sie sich zum ersten Mal intensiv mit Männlichkeit und queerem Begehren beschäftigt. Und dies ausgerechnet bei einer Regisseurin, die unvergessliche Frauenfiguren kreiert hat!

Aber, wie sie selbst kürzlich in einem Interview erklärt hat, sieht sie sich selbst als eine Künstlerin, die nicht durch ideologische Positionen, die vielleicht nicht immer mit ihren eigenen Überzeugungen übereinstimmen, eingeschränkt werden möchte. So fühlte sie, dass der Moment gekommen war, sich in ihrer künstlerischen Arbeit auch Männern zu widmen. Ein Statement, das sie einmal mehr als Visionärin bestätigt, die nie in festen Kategorien eingesperrt werden wollte: mit ihrer kühnen Ästhetik hat sie weibliche Innenwelten sichtbar gemacht und uns an den Kämpfen um Autonomie und sexuelle Selbstbestimmung ihrer Protagonistinnen intensiv teilhaben lassen, dabei hat sie Genregrenzen gesprengt und Konventionen herausgefordert.

Campions Heroinnen sind alle Frauen auf schmerzhafter Selbstsuche, die zwischen Reinheit und Grausamkeit, zwischen Fantasie und Realität fluktuieren. Sie sind mal leidenschaftlich, mal in sich gekehrt, rebellieren gegen die patriarchalische Norm, sind aber auch zutiefst verletzlich, wie die tragische Dawn aus Sweetie, ihrem ersten Spielfilm von 1989, und die extrem schüchterne Janet in An Angel at my Table, (1990) einem originell erzählten Biopic – voller leuchtenden Farben und elliptischen Sprünge – über das Leben der neuseeländischen Schriftstellerin Janet Frame.

Mit The Piano (1993) sprengt Jane Campion die Grenzen des klassischen Liebesfilms und der Macht- und Blickverhältnisse im Hollywoodkino: mit der stummen, verschlossenen Ada, die um 1860 von ihrem Vater mit einem neuseeländischen Siedler zwangsverheiratet wird, hat die Regisseurin eine ihrer enigmatischsten Frauenfiguren kreiert.

THE PIANO (1993)

Ist Ada in ihrem Schweigen gefangen oder von der Tyrannei der Sprache befreit? Ist sie in ihren düsteren viktorianischen Kleidern eingesperrt oder entkommt sie dadurch dem Fetischismus des männlichen Blicks? Schließlich befreit sie sich von den zerstörerischen Hüllen ihrer Selbst und entscheidet sich für Liebe und Leidenschaft gegen die Konventionen ihrer Zeit. Ein Happy End, das aber zugleich negiert wird, als am Ende Ada ihren eigenen Tod in den Tiefen des Ozeans halluziniert.

Auch Isabel steht am Ende von The Portrait of a Lady (1996) alleine vor einer geschlossenen Tür und in der letzten Szene von In the Cut (2004) verschwindet Frannie hinter einer sich schließenden Tür: mit ihren Protagonistinnen lässt uns die Regisseurin in einen furchteinflößenden Kosmos zwischen Leben und Tod blicken, zwischen der tragischen Dimension des Lebens, mit seinen Kompromissen und Bedrohungen, und der Projektion des Traumes.

Vielleicht fließen in Robin Griffin, die Protagonistin von Campions gefeierter TV-Serie Top of the Lake (2013/2017) viele Aspekte ihrer Heroinnen ein und vielleicht ist sie sogar eine Art Alter Ego der Regisseurin. Für die Realisierung der Serie ist Campion fast drei Jahrzehnte nach The Piano in ihre Heimat Neuseeland zurückgekehrt, mit der sie schon immer ein ambivalentes Verhältnis hatte. Auch Robin kehrt als Pakeha-Detektivin nach langer Abwesenheit in eine fiktive neuseeländische Stadt zurück und fordert die patriarchalische Gewalt, die in der Stadt herrscht, heraus.

Robin ist sinnlich, düster, unberechenbar, kann sich erbittert wehren und sich gleich danach äußerst zerbrechlich zeigen. Und sie erinnert einmal mehr an die radikale Sensibilität der Regisseurin für die Inszenierung weiblicher Trauer, Wut und Leidenschaft, welche ihr Werk einzigartig macht.

Marisa Buovolo

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Und hier geht es zum Buch Jane Campion und ihre Filme von Marisa Buovolo.