Geboren am 9. Januar 1944
Schon in einem seiner ersten Filme gelang Harun Farocki ein Bild, das sich – sprichwörtlich – unlöschbar ins Gedächtnis einbrannte. In UNLÖSCHBARES FEUER (1969), einem der wichtigsten Agitprop-Filme der Anti-Vietnamkriegsbewegung drückte er auf seinem Arm eine brennende Zigarette aus. Mit diesem Akt der Selbstverletzung wollte er die ungleich verheerenderen Wirkungen von Napalm deutlich machen. Doch schon in diesem frühen filmischen Gehversuch zeigte sich, dass es Farocki um mehr als Schock und vordergründige politische Mobilisierung ging: Das Dokument analysierte präzise die Verstrickung von Industrie und Wissenschaft in die Ökonomie des Krieges. Ein Thema, das den Filmemacher bis heute in unterschiedlichen Ausformungen beschäftigt.
Mit seinen bislang mehr als 90 Filmen hat sich Harun Farocki einen überragenden Ruf als einer der renommiertesten Vertreter und Weiterentwickler des dokumentarischen Essays erarbeitet. Insbesondere seine Aus- und Umdeutungen eigener Aufnahmen, oftmals auch fremden Bildmaterials, sind von einer frappierenden Hellsicht und voller verblüffender Querverweise. Wie in seinem Film BILDER DER WELT UND INSCHRIFT DES KRIEGES (1988), wo er in immer neuen assoziativen Verlinkungen die unterschiedlichen Einschreibungen von Bilddokumenten aus und über Auschwitz freilegt. Eine ähnliche Methode verwendete er auch in AUFSCHUB (2007), einer seiner jüngeren Arbeiten. Darin bringt er mithilfe von Schrifttafeln und einer kontrastierenden Montage stumme historische Aufnahmen des Durchgangslagers Westerbork aus dem Jahr 1944 zum Sprechen. „Man muss keine neuen, nie gesehenen Bilder suchen“, sagte der Filmemacher einmal in einem Interview, „man muss vielmehr die vorhandenen Bilder in einer Weise bearbeiten, dass sie neu werden (…) Mein Weg ist es, nach verschüttetem Sinn zu suchen und den Schutt, der auf den Bildern liegt, wegzuräumen.“
Farocki gehörte zum ersten Jahrgang der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und wurde 1968 mit einer Reihe anderer Studenten wie Gerd Conradt oder Holger Meins von der damaligen Schulleitung relegiert. Hintergrund war der Film BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1969), in dessen Verlauf er zusammen mit seinen Co-Regisseuren Helke Sander und Ulrich Knaudt beim Bundespresseball Axel Springer einen Besuch abstattete. Von 1974 bis 1984 war Farocki Redakteur bei der Zeitschrift „Filmkritik“ und ist bis heute als Dramaturg und Mitautor an den meisten Filmen von Christian Petzold beteiligt.
Neben seinen gleichsam archäologischen Untersuchungen von Bildern beschäftigte sich der 65-Jährige in seinen Arbeiten immer wieder mit der Mechanik sozialer und ökonomischer Prozesse. In DIE BEWERBUNG (1996) etwa zeigte er die bizarre Logik von Jobbewerbungskursen, in NICHT OHNE RISIKO (2004) wiederum den dramatischen Verhandlungsmarathon zwischen einer Firma, die frisches Geld braucht, und einer Risikokapitalgesellschaft, die ihre mögliche Kreditvergabe an horrende Beteiligungs- und Zinsforderungen koppelt. Selten bekam der moderne Freibeuter-Kapitalismus ein derart prägnantes Gesicht wie in diesem knapp einstündigen Dokument. Eine präzise Standortbestimmung des bundesdeutschen Alltags um die Wendezeit gelang Farocki in LEBEN – BRD (1990). In 46 dokumentarischen Szenen entwirft er ein mosaikartiges Sittengemälde: Mitglieder eines Kochkurses diskutieren den Menüplan, verschiedene Produkte werden im Dauertest auf ihre Haltbarkeit getestet, Polizisten unterweisen Kinder in Verkehrssicherheit und eine Frau wurde von ihrem Mann geschlagen und sucht Hilfe in einer Gesprächstherapie. Das Leben einer ganzen Gesellschaft kondensiert in 80 Minuten – Farockis vielleicht größter Geniestreich.
Aus dem Filmkalender 2009
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