Zum 40-jährigen Jubiläum der MEDIENwissenschaft: Annette Schüren über den Umgang mit Kritik, über Fehldrucke und verlorene Paletten, über Kommunikation und Kompromisse

Die Zeitschrift MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews feiert ihren 40sten Geburtstag, und wir feiern 30 Jahre MEDIENwissenschaft im Schüren Verlag: 1994 haben wir den Vertrag mit den damaligen Herausgebern geschlossen, also auch ein kleines Jubiläum.

Der Markenkern der Zeitschrift sind bekanntlich Rezensionen, das heißt das Vorstellen, Würdigen und auch Kritisieren von wissenschaftlichen Arbeiten. Eine gute und faire Kritik zu schreiben, ist eine Kunst für sich, aber ich möchte jetzt einmal die Perspektive der Kritisierten beziehungsweise Besprochenen einnehmen. Ein Tummelplatz verschiedener Emotionen!

Besprochen oder nicht besprochen…?

Als Verlegerin schaut man mit gemischten Gefühlen in eine neue Ausgabe der MEDIENwissenschaft – ungefähr so wie früher, wenn man eine Klassenarbeit zurückbekommen hat: Natürlich möchte man, dass möglichst viele von den eigenen Büchern besprochen werden, und man möchte auch, dass sie möglichst gut besprochen werden. Man fühlt sich schließlich verantwortlich, dem eigenen Verlag und auch den Autor:innen gegenüber.

Wenn der erste Blick durchs Heft auf die eigenen Publikationen erfolgt ist, guckt man in einer zweiten Runde etwas entspannter, was die anderen Verlage so treiben. Die erste Reaktion ist also Freude, wenn ein eigenes Werk besprochen worden ist, denn die schlimmste Bestrafung ist gar keine Reaktion. Wir leiten die Besprechungen dann an die Autor:innen weiter, und gelegentlich beklagt sich eine:r bei uns – von Unverstand, Unerfahrenheit und Muffigkeit war schon die Rede oder auch ganz extrem mal von falschen und rufschädigenden Behauptungen. Aber das sind in vielen Jahren Einzelfälle geblieben, in der Regel freut man sich, wenn das eigene Werk das Licht der öffentlichen Wahrnehmung erblickt.

Nun sind die Rezensionen in der MEDIENwissenschaft in aller Regel sachlich und gut begründet, die Kunst der Schmähkritik findet sich eher im Feuilleton. Und natürlich beherzigen unsere Autor:innen die Regeln zum achtsamen Umgang mit Kritik, von das Feuilleton erschütternden Aktionen wie Attacken mit Hundekot ist uns nichts bekannt geworden. Der/Die Rezensent:in weiß nichts von den Mühen, die der/die Autor:in – ja und auch der Verlag – beim Publizieren vielleicht gehabt haben. Er oder sie blickt mit fremdem, kaltem Blick auf das Ergebnis, hat vielleicht etwas anderes erwartet, weiß nicht, wie sich die Autor:innen mit ihrer Arbeit gequält haben, wie unsicher sie manchmal selber sind.

Mit achtsamer Gelassenheit und hörbarem Seufzen

Arthur Schopenhauer soll gesagt haben, es gehet so wenig ein Kind ohne Makel wie ein Buch ohne Fehler in die Welt. Was Kinder betrifft, so teile ich seine Meinung nicht, was Bücher betrifft, so kann ich diese grämliche Anmerkung nicht gänzlich zurückweisen. Ich nehme das zum Anlass, um mich mit achtsamer Gelassenheit, aber mit hörbarem Seufzen an eine Reihe unfassbarer Fehler in den letzten Jahren zu erinnern, die sich dem kritischen Blick von Autor:innen und Herausgeber:innen, Herstellung und Lektorat entzogen haben, um dann beim Öffnen des Buchdeckels hämisch aus der Deckung zu kommen.

Der Klassiker ist natürlich eine falsche ISBN auf dem Buchrücken. Kann mit einem Pflaster, sprich Etikett auf dem Rücken geheilt werden, schmerzt trotzdem. Auch Seitenzahlen im Inhaltsverzeichnis zeigten gelegentlich etwas anderes an, als sie sollten. Es soll auch schon vorgekommen sein, dass der Innentitel auf Seite 3 ein bisschen anders ist als auf dem Umschlag. Entscheidend für die bibliografische Meldung im Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) ist immer der Innentitel. Ein Bildnachweis fehlt, oder es wurde vergessen, auf die Förderer hinzuweisen. Vieles kann man mit einem Erratum-Zettel notdürftig flicken. Um diese gängigen Fehler zu vermeiden, arbeiten wir vor Drucklegung eine Checkliste ab (mit Ankreuzen), das hat manches Unglück vermeiden geholfen.

Diverse Korrekturzettel und -etiketten, die so einigen Büchern beiliegen oder in sie geklebt werden.

Das bedeutet aber nicht, dass die Untergrundarmee der Fehlerteufel damit besiegt ist, es gelingt ihr immer wieder, an unerwarteter Stelle zuzuschlagen, so hatten wir neulich eine Eigenanzeige in einem Buch, in der der Name des Regisseurs der Blechtrommel falsch geschrieben war, das hat ein aufmerksamer Rezensent bemerkt und gallig angemerkt. Ich habe mich wiederum gefreut, dass unsere Anzeigen so aufmerksam gelesen werden.

Praktikantinnen und Praktikanten erschrecken wir gerne mit der Frage, was ein Hurenkind oder ein Schusterjunge ist, und warum die im Verlagswesen nichts verloren haben. Ich lasse die Frage an dieser Stelle unbeantwortet.

Vor einigen Jahren haben wir ein Buch veröffentlicht, in dem es um Farbe ging und die Autorin hatte uns ermahnt, auf eine realistische Darstellung der Farben zu achten, insbesondere beim Blau, denn Blau ist drucktechnisch die schwierigste Farbe. Wir gaben uns also richtig viel Mühe, prüften die Farbwerte, machten einen Proof und gaben das Buch mit gutem Gefühl in Druck. Als wir den Aushänger (ein ungebundenes Exemplar) aus der Druckerei bekamen, packte mich das schiere Entsetzen: Aus Blau war Lila geworden! Wie konnte das passieren? Des Rätsels Lösung war die gelbliche Färbung des Papiers, das die Blautöne lila schimmern ließ. Ich packte also den Aushänger ein und unternahm eine längere Zugfahrt, um der Autorin das suboptimale Ergebnis zu präsentieren und zu beratschlagen, wie wir damit umgehen wollen. Wir gingen essen und freundeten uns mit dem sehr feinen Lila an. Hier gilt eine alte Musikerweisheit: Do it wrong, but do it strong.

Der Druckvorgang selbst ist natürlich auch eine Fehlerquelle, so mussten wir schon mal eine Teilauflage eines Werks vernichten, weil ein Bogen doppelt eingebunden war. In der Regel sind wir mit unseren Druckereien zufrieden, aber es gibt auch schon mal Mängelrügen und Beschwerden, zu dunkel gedruckt, Fotowiedergabe schlecht, Schrift verschmiert, falsches Papier. Von Preisnachlass bis Neudruck war schon alles drin.

Beim Umschlagdruck der farbenfrohen Reihe ‹perspektiven ds› passierte auch schon
mal ein Missgeschick.

Ein heikles Thema ist auch das fehlerfreie Planen der richtigen Druckauflage. Nicht immer sprang der Funke des eigenen Optimismus auf die geneigte Leser:innenschaft über, und wir sind schonmal auf einem Teil der Auflage sitzen geblieben. Der umgekehrte Fall, ein Nachdruck wird nötig, löst ebenfalls wenig Freude aus, getreu der alten Verlegerweisheit: Gib eine Nachauflage in Druck, und der Absatz bricht sofort ein. Der Digitaldruck und die Möglichkeit, kleine Nachauflagen zu produzieren, hat in diesem Punkt die Furcht vor allzu großen Fehlern etwas entspannt.

Aber auch auf dem Lieferweg können sich noch Dramen ereignen: Paletten rutschen vom LKW, Kisten gehen im Lager verloren.

Vor einigen Jahren erwarteten wir die Lieferung einer Palette mit der Zeitschrift Filmbulletin. Es kam auch eine Palette, aber als wir genau hinguckten, merkten wir, dass wir zehn Kisten mit Ventilen bekommen hatten. Der Spediteur war schon weitergefahren. Es dauerte über einen Monat, bis die Zeitschrift wiedergefunden wurde, die Adressaufkleber der Pakete waren verloren gegangen, und sie standen als unzustellbar im letzten Winkel der Lagerhalle einer Spedition. Der Empfänger der Ventile wurde erfreulicherweise schneller gefunden, und wir wurden die Pakete rasch wieder los. Den Abonnent:innen hatten wir eine trostreiche Mail mit einem Link zum ePaper-Download geschrieben.

In diesem Inhaltsverzeichnis stimmt leider keine einzige Seitenangabe…

Dass Software, mit der man täglich zu tun hat, fehlerhaft ist, hat jede:r von uns schon einmal erlebt. Unser früheres Satzprogramm war in der Hinsicht besonders speziell, es mochte manche Wörter nicht und stellte nach Eingabe derselben, vor allem wenn sie getrennt wurden, umgehend seine Arbeit ein. Zu diesen Wörtern gehörten unter anderem ‚Kamerastil‘ oder ‚Kamerastudent‘. Wer nun dem Programm eine Abneigung gegen audiovisuelle Medien unterstellt, dem sei gesagt, dass es auch die Wörter ‚Ackergaul‘ und ‚Stangensellerie‘ nicht mochte. Wie auch immer, das ist Geschichte. Unser jetziges Satzprogramm hat andere Macken, aber nichts gegen Kinematografie.

Sehr selten hatten wir mit Plagiaten zu tun, bisher ist nur ein Fall aktenkundig geworden.

Die Redaktion und die Leser:innen der Zeitschrift MEDIENwissenschaft mussten vor einigen Jahren feststellen, dass es plötzlich eine andere Kaschierung gab – matt statt glänzend. Aber es gefiel, und so haben wir es beibehalten. In der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift, der ersten in diesem Jahr, fehlte auf dem Umschlag der Name der Zeitschrift – das haben wir nur natürlich nur gemacht, um in der Jubiläumsausgabe den Titel umso mehr strahlen zu lassen.

Umgekehrt bekommen wir die Daten für den Druck seit jeher in einem falschen Format – es fehlt ein Millimeter in der Breite. Das lässt sich aber leicht reparieren und wird von daher auch nicht mehr thematisiert.

Kein Fortschritt ohne Fehler!

Fehler entstehen in der Regel nicht aus Böswilligkeit oder Dummheit, sondern aufgrund von Unachtsamkeit, Stress, Zeitnot, fehlenden Standards oder schlicht aufgrund mangelhafter Kommunikation. Auch Experimentierfreude und Neugier, zum Beispiel beim Ausprobieren neuer Drucktechniken oder Papiersorten, kann zu unerwünschten Ergebnissen führen. Ein offener Umgang mit Fehlern und falschen Einschätzungen ist wichtig – es kann nur besser werden.

Und auch in diesem ziemlich aktuellen Impressum versteckt sich ein Fehler…

Um damit vom Speziellen ins Allgemeine zu kommen: Kein Fortschritt ohne Fehler!

Der weiße Neger Wumbaba wäre keine die Fantasie beschäftigende Figur der Popkultur geworden, wenn sich nicht Axel Hacke Mühe gegeben hätte, Verhörfehlern nachzugehen. Bekannt ist auch die Erfindung der heute sehr beliebten Post-its infolge einer fehlerhaften Klebemischung, die nicht wirklich klebte. Und das Penicillin wäre nicht erfunden worden, wenn Alexander Fleming vor dem Urlaub sein Labor richtig aufgeräumt hätte.

Um mit einer weiteren musikalischen Weisheit zu enden: Do not fear mistakes – there are none, hat Miles Davis gesagt. Er gibt uns keinen Freibrief zum Herumstümpern, er hat nur die tröstliche Botschaft, dass aus einem vergurkten Beginn beim Musizieren oder auch sonst im Leben oder beim Arbeiten noch etwas Gutes werden kann.

Wir wünschen uns und der Redaktion noch viele Jahre ein fehlerarmes Miteinander und unseren rezensierten Autor:innen die Fähigkeit zum entspannten Umgang mit Kritik.

Annette Schüren

Dieser Beitrag stammt aus der Jubiläumsausgabe 02/24 der MEDIENwissenschaft.