In diesen Tagen ist das Buch Freie Sicht aufs Kino. Filmkritik in der Schweiz, herausgegeben von Philipp Brunner, Tereza Fischer und Marius Kuhn erschienen. Wir zitieren im folgenden aus dem Beitrag von Andreas Scheiner über Die Filmkritik im digitalen Wandel. Auch wenn der Autor in erster Linie Stimmen aus der Schweiz zu Wort kommen lässt, dürften die beschriebenen Phänomene auch für andere Länder gelten.

Zeitungen sind out. Man hat es mitbekommen. Auflagen schwinden, Journalisten und Journalistinnen werden abgesagt wie früher die Baume, aus denen das Druckpapier ist. Im Kulturressort zuallererst: Als die Medienhäuser das Licht des World Wide Web erblickten und den Karren gegen die Wand fuhren, sass das Feuilleton auf dem Beifahrersitz. Es war nicht angeschnallt. In der Filmberichterstattung kam es vor rund zehn Jahren zum Crash, wie Andreas Maurer, ein ehemaliger «NZZ»-Filmkritiker, in seinem Buch «Filmriss » festhält: «Spätestens als im Marz 2010 nach 31 Jahren der Chefkritiker von ‹Variety›, Hollywoods traditionsreichstem Branchenblatt, aus Spargründen entlassen wurde, war klar: Nicht die Filmkritik ist kritisch, sondern ihr Zustand ― in der Schwebe zwischen Arglosigkeit und Bedeutungslosigkeit.» Kollege Christoph Egger klang ähnlich. Als der Mann, der 1978 seine erste Filmkritik fur die «NZZ» geschrieben hatte, 2009 vorzeitig in Pension ging, klinkte er sich mit einem Artikel aus: «Abschied von der Filmkritik». Er meinte nicht nur den eigenen; Egger beobachtete eine Entwicklung, «die zu signalisieren scheint, dass die ‹klassische›, mit der Tageszeitung verbundene Filmkritik, wie sie sich im Verlauf eines knappen Jahrhunderts etabliert hat, an ein Ende gekommen ist» … Augenfällig auch: Um 2009 und 2010 wurde die Sorge um den Berufsstand vermehrt öffentlichkeitswirksam artikuliert. Im Januar 2009 war die Filmpublizistik ein Thema an den Solothurner Filmtagen. Christian Jungen (damals «Mittelland Zeitung») moderierte ein Podium: «Print-Profis versus Blog-Banausen ». Neben Profis wie Trudy Baumann («Zuritipp») oder Martin Walder («NZZ am Sonntag») saß der «Banause» Thomas Hunziker. «Zum Auftakt», so rekapitulierte Hunziker die Veranstaltung auf filmsprung.ch, «rechnete Michel Bodmer vor, wie er früher von der ‹NZZ› für eine reguläre Filmbesprechung noch 270 Franken erhielt, mittlerweile nach zwei Kürzungsrunden jedoch nur noch 140 Franken». Die «seriöse» Filmkritik, befand Hunziker, sei also weniger durch die Konkurrenz aus dem Internet in Gefahr, als «durch die knausrigen Verleger, die für die Inhalte ihrer Blätter nur noch Hungerpreise bezahlen wollen». Wer war zuerst, der knausrige Verleger oder das Internet? Darüber ließe sich trefflich streiten …

Alle sagen das Gleiche, auch Simon Kümin: «Die Filmkritik hat an Wert verloren. » Kumin, Mitte dreißig, von Beruf Texter, hat 2016 das Onlinefilmmagazin «Maximum Cinema» mit aufgebaut und sitzt sozusagen als Vertreter der Filmkritik 2.0 am Tisch. «Man kann sich auf IMDb informieren, in Facebook-Gruppen werden Filmtipps ausgetauscht, jeder googelt seine Trailer selber», so fasst er die Sachlage zusammen. «Die Medien haben nicht mehr die Autorität wie früher Früher waren sie die einzige Quelle, die gesagt hat: Das ist gut, das ist schlecht.» Kumin sieht Vor- und Nachteile. Blum auch. Es sei gut, dass Medien Autorität verloren, sagt er. «Es ist eine Form von Demokratisierung.» ― «Trailer schauen ersetzt aber keine Rezension!», stellt Bodmer klar …

Schwatzecken statt Leserbriefe

«Neue Resonanzkorper für die Kinoaktualitat», so titelte 1998 die «NZZ» (die 1997 online ging) einen Artikel zur Filmpublizistik im Internet. «Bis vor kurzem funktionierte die Filmpublizistik innerhalb eines klassischen, wohldefinierten Rahmens: Presse, Fernsehen und Radio fungierten als Vermittler und Amplifikatoren zwischen dem Kino und seinem Publikum. Sie fügten dem Marktgeschrei der Promotion eine halbwegs unabhängige zweite Stimme hinzu.» Die konkreten Kinokonsumentinnen und -konsumenten jedoch blieben «in diesem Konzert als weitgehend statistische Größe stumm». Mit dem Internet habe sich das geändert, Gedanken zu Filmen wurden nun problemlos publik: «Der Effekt gleicht demjenigen eines Kinosaals, in dem sich die Leute plötzlich ungeniert zurufen, was ihnen durch den Kopf geht.» ― «Wo aber bleibt da die intellektuelle Auseinandersetzung?», fragt Pia Horlacher. «Ich will doch jemanden lesen, von dem ich weiß, dass er mir einen neuen Blick auf die Dinge verschafft.» Dass eine Filmkritik nicht mit der Kritik eines Films getan sei, findet auch Stefan Gubser. Für ihn funktioniert Filmkritik als «schlauer, unterhaltender und weiterbildender Text, der nicht einfach eine Entscheidungshilfe darstellt». Der Germanist sagt es so: «Wenn ich die Bücherbeilage der ‹Zeit› lese, lese ich auch eine Art Buch, ohne die Bucher zu lesen.» Findet der Austausch also zunehmend unter Ausschluss der Offentlichkeit statt?
Wie war das früher? Was sorgte für Gesprächsstoff, womit eckte man an?

Wie wissen will, wie es früher war, und wie es weitergehen kann, der muss im Buch weiterlesen: