Ein Blick auf die Geschichte des italienischen Films

Denkt man an italienische Filme, hat man sofort ikonische Bilder vor Augen, etwa Anita Ekberg im Trevi-Brunnen, Giulietta Masina in La Strada oder man sieht Toni Servillo als Giulio Andreotti durch seinen Regierungspalast schlurfen. Nicht zu vergessen Filmdiven wie Sophia Loren, Claudia Cardinale und Monica Vitti sowie das umwerfende Genre des Italo-Westerns! Umso erstaunlicher, dass es bisher keine deutschsprachige umfassende Geschichte des italienischen Films gab. Diese Lücke füllt Irmbert Schenk mit seinem Buch, in dem die Entwicklungen des italienischen Films von seinen Anfängen 1895 bis heute dargestellt wird. Wir zitieren im Folgenden aus dem Kapitel über eine junge Generation von Filmemachern seit den 1990er-Jahren.

CINEMA PARADISO (I/F 1988) © Concorde Filmverleih
Giuseppe Tornatore

Ein Debütant dieser Jahre macht das italienische Kino international bekannt: Giuseppe Tornatore.

Sein nächster Film, Nuovo Cinema Paradiso / Cinema Paradiso (1988), macht Tornatore weltberühmt. Der in Italien zuerst 173, dann 155 Minuten lange Film (internationale Version 123 Minuten, Director’s Cut 173 Minuten) findet in Italien am Anfang kaum Publikum, erst nach Kürzungen nehmen Kritik und Zuschauer den Film allmählich wahr. Die Auszeichnungen in Italien und Cannes 1989 (Jury-Preis) und der überraschende Auslands-Oscar und der Golden Globe 1990 verhelfen dem Film zu seinem weltweiten Erfolg. Der Film beginnt in der Gegenwart und wird dann in einer großen Rückblende erzählt. Der in Rom etablierte Filmregisseur Salvatore (Jacques Perrin) kehrt nach 30 Jahren zur Beerdigung seines alten Freundes Alfredo (Philippe Noiret) in sein sizilianisches Heimatdorf zurück.

Die Rückblende zeigt das Dorfkino, das der Kirche gehört und das Alfredo nach dem Zweiten Weltkrieg als Vorführer und Mädchen für alles betreibt. Es ist der höchst populäre Unterhaltungsspot für alle im Dorf, alt und jung, reich und arm, der andere Versammlungsraum ist die Kirche. Alfredo muss die Filme vorab dem Pfarrer zur Zensur vorführen, der ihn alle anstößigen Szenen (Küsse u. Ä) herausschneiden lässt. Dem kleinen Totò (Salvatore Cascio) gelingt es allmählich, das Wohlwollen Alfredos zu erlangen, der ihn dann in die Geheimnisse der Vorführkabine einführt.

Rettet das Kino!

Als sich das Filmmaterial eines Tages entzündet und das Kino abbrennt, kann er Alfredo retten, der allerdings erblindet. Nach dem Neubau des Kinos durch einen reich gewordenen Filmliebhaber aus dem Dorf übernimmt der heranwachsende Totò (Marco Leonardi) die Projektion. Der zweite, schwächere Teil des Films behandelt die Lebensgeschichte des älterwerdenden Totò/Salvatore, von einer unglücklichen Liebesgeschichte bis zum Rat Alfredos, das Dorf für immer zu verlassen, dem er folgt. Am Ende fährt er nach der Beerdigung Alfredos, dem Besuch des geschlossenen und heruntergekommenen Kinos und einer Nacht mit der alten Liebe wieder zurück nach Rom – mit einer Filmrolle, die ihm Alfredo hinterlassen hat und in der alle einst herausgeschnittenen Szenen enthalten sind.

Was den Film einzigartig macht, sind die Szenen im Kino, die die emotionale Bedeutung des Erlebnisorts Kino für die Zuschauer, die Dorfbewohner, verdeutlichen, als Fantasie- und Fluchtort der gemeinschaftlichen Entlastung vom schwierigen Alltag der Lebenswirklichkeit im armen Sizilien der Nachkriegszeit. Dies ist mit einer zum Teil überbordenden, aber immer ‹teilnehmenden› Komik inszeniert, die auch den heutigen Zuschauer des Films anrührt. In diesem Kino werden im Rahmen der Spielhandlung eine große Anzahl von berühmten Filmen der Filmgeschichte und populärer, nationaler wie internationaler Streifen der Handlungsgegenwart vorgeführt, die der heutige Zuschauer alle in Ausschnitten sehen darf. Das bewegt ihn zusätzlich in eine Gefühlsrichtung, die auch der Handlungsgeschichte des Films insgesamt zugrunde liegt: eine melancholische Nostalgie, die eine Melange von Erinnerungen beinhaltet, an Kindheit und Jugend, an alte Gemeinschafts- und Kinoerfahrungen, zugleich aber eben auch an das unerfreuliche Ende dieser Erinnerungen durch die Veränderungen der Geschichte wie zum Beispiel den Niedergang des Kinos.

Dazu hätte es der melancholischen Trauer durch die Rahmengeschichte des als Filmregisseurs etablierten, von Sizilien abgespaltenen Salvatore gar nicht bedurft. Die Musik stammt von Ennio Morricone, womit eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Regisseur beginnt.

Irmbert Schenk

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