Mit Limonaden-Joe auf dem Feuerwehrball
Fast jeder von uns kennt Drei Nüsse für Aschenbrödel, den herzerwärmenden Weihnachtsklassiker, viele auch Pan Tau oder Das Krankenhaus am Rande der Stadt (die Mutter aller Arztserien): Tschechoslowakische Film- und Fernsehproduktionen haben schon in den 70er Jahren Menschen begeistert. Doch das tschechische und slowakische Kino hat noch sehr viel mehr zu bieten.
Klassiker des tschechischen und slowakischen Films heißt das Buch, das 25 Filmklassiker vorstellt und zum Wiedersehen einlädt. Wir zitieren stellvertretend aus 3 Filmanalysen dieser Sammlung.
Limonaden-Joe (1964)
R: Oldřich Lipský.
Eine staubige Hauptstraße, an der sich Bretterfassade an Bretterfassade reiht. Im Vordergrund ein «General Store» und ein Wagenschmied, dazwischen Reiter, eine Kutsche, Männer mit Cowboyhüten. Schwenk in den Trigger Whiskey Saloon: Zu sehen ist eine Slapstick-Prügelszene à la Marx Brothers, bei der das Mobiliar systematisch zertrümmert wird, während Barkeeper und Pianospieler stoisch ihrer jeweiligen Tätigkeit nachgehen. Auch der Saloonbesitzer Doug Badman (Rudolf Deyl jun.) liest seelenruhig in der Zeitung, allerdings wird es ihm dann doch zu bunt. Er sorgt für Ruhe und kündigt den Auftritt der Sängerin Tornado Lou (Květa Fialová) an. Diese schreitet langsam die Treppe herunter und singt auf Tschechisch «Wenn in der Bar der Rauch wallt …», während der Barkeeper mit einem Blasebalg für den entsprechenden Nebeleffekt sorgt. Diese Eröffnungsszene steckt das Terrain für Oldřich Lipskýs Film Limonaden-Joe ab, der einerseits als Westernparodie und Musicalrevue funktioniert, wie der tschechische Untertitel «Pferdeoper» schon andeutet, andererseits aber auch als Hommage an das Stummfilmkino verstanden werden kann.
Der Feuerwehrball (1967)
R: Miloš Forman
Nachdem Forman mit Die Liebe einer Blondine (1965) ein beachtlicher internationaler Festivalhit und ein großer nationaler Kassenerfolg gelungen war, wagte er mit Der Feuerwehrball eine bis dato für ihn ungewöhnlich scharfe und offene Kritik an der tschechoslowakischen Gesellschaft: In einem Dorf findet ein Feuerwehrball statt, in dessen Verlauf nicht nur fast alle Preise der Tombola verschwinden, sondern sich auch das wertvolle Geschenk, das dem 86-jährigen Ehren-hauptmann feierlich übergeben werden soll, in Luft auflöst. Bis zuletzt glauben die überaus selbstgefällig auftretenden Feuerwehrmänner, die Situation zu beherrschen. Ihr Schönheitswettbewerb, den sie ohne Planung durchführen, scheitert an internen Konflikten und Vetternwirtschaft, aber auch an den Gästen, für deren Wünsche und Interessen sie blind sind. Als am Ende ein Feueralarm das Fest jäh unterbricht, sind die Feuerwehrmänner weder fähig, das Feuer zu löschen, noch dem alten Mann, der dadurch alles verloren hat, zu helfen.
Kolya (1996)
R: Jan Svěrák
Nur wenige tschechische Filme haben es seit 1989 zu hohen Auszeichnungen und internationaler Bekanntheit gebracht. Kolya, eine Gemeinschaftsarbeit von Jan (Regie) und dessen Vater Zdeněk (Drehbuch) Svěrák, gehört zu ihnen. Kolya feierte 1996 auf dem Filmfest in Cannes seine Premiere, erhielt 1997 den Oscar als bester fremdsprachiger Film, gewann im selben Jahr und in derselben Kategorie den Golden Globe und bekam eine Reihe weiterer internationaler wie nationaler Preise …
Kolya ist also die oft erzählte Geschichte von der Zwangsgemeinschaft eines Erwachsenen und eines Kindes, aus der eine große Freundschaft erwächst. Hier handelt es sich um einen notorischen Junggesellen und Charmeur, dem ein kleiner russischer Junge zur Betreuung überlassen wird. An dieser Situation ist der Mittfünfziger František Louka selbst nicht ganz unschuldig, hat er doch in eine Scheinhochzeit mit einer jungen Russin eingewilligt, die ihm für die auf diesem Weg erworbene tschechoslowakische Staatsbürgerschaft aus finanziellen Schwierigkeiten hilft. Nun aber hat sie sich in den Westen abgesetzt und unglücklicherweise ergibt es sich, dass ihr Sohn allein zurückbleibt. Der fünfjährige Kolya passt so gar nicht in Loukas Leben in der spätsozialistischen Tschechoslowakei: nicht zu seinem Berufsalltag als Musiker im Krematorium, wo er nach seiner politisch motivierten Entlassung aus der Tschechischen Philharmonie arbeitet, nicht zu den Nebenjobs, mit denen er versucht, sich über Wasser zu halten. …
Die Handlung, die vom Fremdeln zwischen Louka und Kolya zum bittersüßen Ende, der Trennung der beiden und der Wiedervereinigung des Kindes mit der Mutter führt, ist mehr oder weniger vorhersehbar, in der Ausführung und im Detail aber vielschichtig und gut, wenn auch nicht ohne Pathos, erzählt.
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