Liebesbeziehungen in Fernsehserien – romantisch oder destruktiv?

Die Idee zu meiner Arbeit entstand nach der Lektüre von Richard David Precht, „Liebe, ein unordentliches Gefühl“. Dieses unerschöpfliche und stets aktuelle Thema birgt so viele unterschiedliche Facetten. Mich persönlich hat insbesondere die Verbindung von neuro- und paarpsychologischen Erkenntnissen und filmwissenschaftlichen Ansätzen der Serienforschung fasziniert und über viele Jahre beschäftigt.

Der Titel meines Buches ist einem Dialog des 1919 verfassten Romans Night and Day von Virginia Woolf entnommen, in dessen Verlauf sich der Protagonist Ralph Denham nach der Ablehnung seines Heiratsantrages vor die Frage gestellt sah, was unter Liebe zu verstehen sei; er hegte die Vermutung, dass es sich hierbei lediglich um eine Geschichte handele, «die man sich über eine andere Person ausdenkt».

Dieser vor nun rund 100 Jahren aufgeworfenen Frage ist die Untersuchung unter mehreren Aspekten nachgegangen. Wäre sie gefordert, Mr. Denham aus heutiger Perspektive eine Antwort zu geben, würden die vorliegenden Befunde seine Hypothese nicht uneingeschränkt bestätigen können. Liebe, so lässt sich vorsichtig und knapp zusammenfassen, ist vermutlich nicht nur eine Geschichte.

Insbesondere die seriell dargestellte Verliebtheit, aber auch einzelne Aspekte des psychologischen Bindungsverständnisses lassen sich den Erkenntnissen der zahlreichen, auch neurowissenschaftlich-en Studien zum Thema „romantische Liebe“ und attachment gut zuordnen. Liebe scheint also mehr zu sein als etwas, das im Laufe unserer Sozialisation erworben wird, ein Gedanke, dem die Kunstwissenschaft aktuell noch mit sehr viel Vorsicht begegnet.

Sehr viel mehr ringt ein Großteil heutiger TV-Serien mit Beziehungsdarstellungen on the long run, anders als im zeitlich begrenzten Film. Serielle Figurenpaare müssen über einen längeren Zeitraum unterhaltsam und spannend bleiben, um die Zuschauerinnen und Zuschauer zur fortgesetzten Rezeption zu motivieren. Reale Liebesbeziehungen hingegen profitieren vor allem von Entschleunigung und unspektakulären Momenten gegenseitiger Zuwendung. Das Bemühen der Drehbuchautor:innen, diesen Widerspruch aufzulösen, endet aus beziehungspsychologischer Sicht in der Darstellung vorwiegend destruktiver Beziehungsmuster, entgegen dem vielfach geäußerten Vorwurf der idealisierenden medialen Darstellung von Liebesbeziehungen. Die Figuren sowohl bei GREY’S ANATOMY als auch bei IN ALLER FREUNDSCHAFT leben keinesfalls im Glück ohne Ende, sondern mehrheitlich in tendenziell desolaten, wenig wünschenswerten Verbindungen, denen es an Sicherheit und Vertrauen, Offenheit, Respekt sowie an gegenseitiger Zuwendung und wesentlichen Gesprächen ganz offensichtlich mangelt. Negative Interaktionen sind die Regel, positive Momente dürfen nur kurzfristig gelingen, um die mit der notorisch gefährdeten Aussicht auf dauerhaftes Glück verbundene Spannung aufrechtzuerhalten und das Serienpublikum an seine lieb gewonnen Figuren weiter zu binden.

Mein Fazit? Gemischte Gefühle! Zum einen fand ich es sehr lohnend, über die Psychoanalyse hinaus andere Ansätze der Psychologie in die filmwissenschaftliche Forschung einzubringen. Plakativ gesprochen: wählt man einen anderen Reiseführer, verändert sich die Wahrnehmung des Betrachteten. Als Psychologin habe ich mir jedoch auch Gedanken gemacht, wie diese „seriell verzerrten“, insgesamt doch sehr ungünstigen Beziehungsmuster in Zusammenhang stehen könnten mit unseren eigenen Partnerschaftsvorstellungen und der Idee, was Liebe sei.

Ich würde mir für die Zukunft in vielerlei Hinsicht mutigere Regiekonzepte wünschen, die die Komplexität des Konstruktes Liebe seriell differenzierter abbilden und realistischere Vorstellungen vermitteln, wie eine tragfähige, vertrauensvolle Beziehung etabliert und entwickelt werden kann. Hochqualitativ produziert, durchaus irritierend erzählt, könnte serielles Fernsehen so zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit aktuellen Beziehungswirklichkeiten beitragen.

Susanne van den Berg

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