Ein Plädoyer für mehr Genauigkeit, Gerechtigkeit und Gelassenheit im Umgang mit Filmsynchronisation

Alle Welt spricht deutsch. Diesem Diktum der unbedingten Vollverständlichkeit sind die im deutschen Kino veröffentlichten, massentauglichen Filme nach wie vor unterworfen. Daran hat sich auch in Zeiten von digitalem Kino, von Heimkinomedien wie DVD und Blu-ray und von neuen Filmkonfektionierungen wie Video-on-Demand nichts grundlegend geändert: Die deutsche Fassung ist mit weitem Abstand die erfolgreichste beim Publikum.

Unser Verhältnis zu synchronisierten Filmen ist paradox

Dem gegenüber findet sich auf der anderen Seite der Lagerbildung jedoch erstens eine Filmkritik wieder, die nur in seltenen Ausnahmefällen überhaupt auf die besprochene Fassung eingeht, zweitens eine Filmausbildung in Form von Filmhochschulen und Filmwissenschaft, die das Thema mitnichten fest als Grundlage in ihren Lehrplänen verankert hat, stattdessen aber Originalfassungen zum unhinterfragten Alleingültigen (v)erklärt, und drittens eine Filmproduktion, die ihre Türen bei Nachfragen noch immer vor dem «sensiblen Thema» (so die deutsche Dependance eines Hollywood-Major-Studios) verschließt und dadurch den Ruf nach Intransparenz und Verfälschung weiter schürt. Wie weit die Synchronillusion gediehen ist, lässt sich daran ablesen, dass in Radio und Fernsehen in Einspielclips aus Filmen trotz der Bezugnahme auf internationale Stars grundsätzlich nie auf den Stimmen­tausch hingewiesen wird, wobei freilich ausnahmslos die Synchronfassungen erklingen. Mittlerweile werden selbst Bloopers, verpatzte Szenen im Abspann, Making-ofs oder gar Fernsehauftritte ausländischer Stars mit «ihren» jeweiligen deutschen Synchronstimmen nachvertont, das heißt die perfekte sprachliche Illusion auch außerhalb des Hauptfilms aufrechterhalten. Doch genau hier zeigt sich wiederum die Zwiespältigkeit des Themas: Wer kennt schon synchronisierende Schauspieler jenseits vereinzelter «Stars» wie Christian Brückner (Robert De Niro) oder Manfred Lehmann (Bruce Willis) mit Namen oder gar Gesicht? Ihre Stimmen hingegen kennt jeder. Eine adäquate Würdigung der Schauspiel-, aber auch der Synchronregieleistungen, beispielsweise in Form von Namensnennungen auf Filmplakaten, im Trailer oder Vorspann, bleibt im aktuellen Filmgeschäft aus. Mitunter finden sie in einem gesonderten deutschen Abspann erst nach dem internationalen Abspann Erwähnung, also als Anhängsel des Anhängsels, wobei eben die Position bezeichnend ist.

Sagt Rick zu Ilsa wirklich «Ich schau dir in die Augen, Kleines?»

OmU-Fetischismus

Die argwöhnischen Fans tauschen sich derweil munter in Online-Foren über das Für und Wider bestimmter Besetzungen aus und geben auch schon mal Übersetzungsvorschläge, etwa zu laufenden Serien, die bereits im Original, jedoch noch nicht in einer Synchronisation erschienen sind. Grundskeptische OmU-Fetischisten, die der Synchronisation generell misstrauen und damit ein Phänomen der Massenrezeption ausklammern, verweisen in einem kritischen Diskurs gerne auf den Stimmentausch, vergessen jedoch oft, dass häufig bereits im Original durch zusätzliche nachträgliche Sprachaufnahmen Studio- statt Direktton verwendet wird. Dass Synchronisation auch als bewusstes filmsprachliches Mittel zum Erzielen einer bestimmten Ästhetik eingesetzt wird, haben unter anderem Rainer Werner Fassbinder mit Angst essen Seele auf (1974) und jüngst Ingo Haeb mit Das Zimmermädchen Lynn (2014) eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Schließlich verrät die Synchronisation viel über unser Medienrezeptionsverhalten. Das lässt sich in vergleichenden Studien der Original- und der deutschen Stimmen, der Dialoge, aber auch der Besetzungen (Timbre, Charakter) ablesen, besonders gut natürlich bei mehrfach synchronisierten Filmen – mithin einem Kuriosum, das viel über die Umstände der jeweiligen Entstehung aussagt, über marktorientierte Filmverleiher, die solche Neufassungen in Auftrag geben, aber auch über veränderte Geschmäcker des konsumierenden Publikums. Auch diese Fassungen sind Teil der Filmgeschichte, die es zu bewahren, zu schützen und zugänglich zu halten und zu machen gilt. Sie sollten daher ebenso Aufgabe der einschlägigen Institutionen der Filmvermittlung sein wie die Originalfassungen.

Nils Daniel Peiler
Eine ausführliche Fassung des Beitrags wurde im Magazin Filmdienst 15/2015 veröffentlicht.

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DUBBING. Die Übersetzung im Kino
Film im Transferprozess